Digitale Zahnmedizin 12.11.2025
Update Pulver-Wasser-Strahltechnologie
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In den 70er-Jahren wurde der Einsatz der Pulverstrahltechnik in der professionellen Zahnreinigung möglich (EMS). Die Pulver-Wasser-Strahltechnologie hat verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Neue Geräte, neue Pulver und Handstücke wurden entwickelt und auf den Markt gebracht. Damit konnten die Einsatzgebiete für diese Technologie stetig erweitert und ihre Effektivität erhöht werden.
Zu Beginn der Ära der Pulver-Wasser-Strahltechnologie in der Prophylaxe stand die supragingivale Anwendung im Vordergrund. Das erste Pulver, das zur Anwendung kam, war Natriumbicarbonat, das ausschließlich supragingival auf gesundem Schmelz2 angewendet werden konnte. Der nächste große Schritt war die Entwicklung von Pulvern auf Glycin- basis zum subgingivalen Einsatz der Pulver-Wasser-Strahl-technik. Mit der Veröffentlichung der Arbeiten von Petersilka et al. im Jahr 20033, 4 zur subgingivalen Anwendung der Pulver-Wasser-Strahltechnik mit geringabrasiven Pulvern hat diese Technik im Praxisalltag einen hohen Stellenwert erreicht.
Grundlagen Pulver-Wasser-Strahltechnologie
Physik
Obwohl seit der Einführung der Pulver-Wasser-Strahltechnologie fast ein halbes Jahrhundert vergangen ist und Pulver-Wasser-Strahlsysteme heute weitverbreitet sind, ist das Wissen um diese Technologie immer noch gering. Zur korrekten Anwendung der Pulver-Wasser-Strahltechnik sind wenige Grundlagenkenntnisse in Physik (Geräte) und Chemie (Pulver) notwendig.
Das physikalische Prinzip der Pulver-Wasser-Strahltechnik ist die Freisetzung kinetischer Energie. Das durch Druckluft beschleunigte Pulver und Wasser treffen auf die zu bearbeitenden Zahnhartsubstanzen und reinigen diese. Die kinetische Energie (E=m*v²/2) hängt zum einen von der Beschleunigung ab, die wiederum vor allem vom Gasdruck (bar), von der Gasdichte (Luft) und der aerodynamischen Form der Körner bestimmt wird. Die andere physikalische Einflussgröße ist die Masse, die wesentlich durch die Korngröße, Partikelverteilung, den Agglomerationszustand und die Dichte des verwendeten Pulvers bestimmt wird. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass die für das sub- und supragingivale Biofilmmanagement notwendige Reinigungswirkung von der kinetischen Energie, den Pulvereigenschaften und der Arbeitstechnik (Geräte, Düsen, Aufprallwinkel) abhängt. Die Geräte und Pulver, die in der Pulver-Wasser-Strahltech- nologie zum Einsatz kommen, wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Die Anzahl der wissenschaftlichen Arbeiten hat heute ein Ausmaß erreicht, das es schwer macht, den Überblick zu behalten.3–35
Pulver
„Pulver ist nicht gleich Pulver“, so lässt sich das Fazit für die unterschiedlichen Pulverarten ziehen, die in der Pulver-Wasser-Strahltechnik verwendet werden. Neben ihren Einsatzgebieten unterliegen alle Pulver bestimmten medizinisch-fachlichen und gesetzlichen Anforderungen. Die wichtigsten Grundvoraussetzungen sind die Wasserlöslichkeit und Biokompatibilität, die immer gewährleistet sein müssen. Die Pulverpartikel und -stoffe müssen durch die Löslichkeit leicht „abtransportiert“ werden können und was noch wichtiger ist, sie dürfen nicht in der Lunge verbleiben. Weitere Voraussetzungen sind:
- Gesundheitsverträglichkeit: Anwendung der Norm EN ISO 10993-1:2009; keine Sensibilisierung möglich; keine/geringe Zytotoxizität; keine/geringe Irritationen / Hautsensibilisierung; keine systemische Toxizität; keine Schäden an den Zähnen; keine Verstoffwechselung.
- Zulassung als Medizinprodukt: „Medizinprodukt bezeichnet einen Gegenstand oder einen Stoff, der zu medizinisch therapeutischen oder diagnostischen Zwecken für Menschen verwendet wird, wobei die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im Unterschied zu Arzneimitteln primär nicht pharmakologisch, metabolisch oder immunologisch, sondern meist physikalisch oder physikochemisch erfolgt.“
- Lebensmittelkonformität: Muss nicht gegeben sein, wenn man allerdings zugelassene Zusatzstoffe für Lebensmittel verwendet, ist bereits die Biokompatibilität abgeklärt.
- Sonstige Kriterien: Geruchsfreiheit, guter Geschmack, geringe Staubentwicklung während der Behandlung, gute Relation von Reinigungswirkung zu Abrasivität, Riesel- und Fließfähigkeit, kontinuierlicher Volumen-/Massenstrom während der Behandlung, nicht hygroskopisch, Lagerstabilität, keine schädlichen Abbauprodukte durch Temperatur und/oder Ultraviolettstrahlung, Zeit, pH-Wert 5–9, keine Kontamination (keine Verunreinigung durch Mikroorganismen oder schädliche Substanzen).
Natriumbicarbonat war das erste Pulver, das in der Pulver-Wasser-Strahltechnik zur Anwendung kam. Natriumbicarbonat ist gut geeignet, supragingival Biofilm und Verfärbungen auf gesundem Schmelz2 auch an schwer zugänglichen Stellen (Zahnengstände, Brackets, Fissuren, Grübchen, Zahnzwischenräume usw.) zu entfernen.
Mit der Einführung minimalinvasiver Pulver3,4 und der damit verbundenen Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Pulver-Wasser-Strahltechnik von supragingival nach subgingival stieß die Pulver-Wasser-Strahltechnik in neue Dimensionen vor. Mit wenigen Ausnahmen (sehr starke Verfärbungen) kommen heute überwiegend niedrigabrasive Pulver auf Glycin- oder Erythritolbasis zum Einsatz, diese Pulver haben die Prophylaxe revolutionär verändert.
Natriumbicarbonat
Natriumbicarbonat/Natriumhydrogencarbonat (Abb. 1) ist ein weißes kristallines Pulver, das sich bei Temperaturen oberhalb 56 Grad unter Abspaltung von Wasser und Kohlendioxid zersetzt. In wässriger Umgebung reagiert Natriumbicarbonat basisch und kann somit Säuren neutralisieren. Durch diese Eigenschaft des Hydrogencarbonat-Anions HCO3 hat es eine zentrale Bedeutung als wichtigster Blutpuffer bei der Regulierung des Säure-Base-Haushalts im menschlichen Körper.
Natriumbicarbonat ist eine traditionell lang bekannte chemische Substanz, mit vielfältigen Anwendungen im Bereich der Lebensmittel und Medizin (z. B. Backpulver, Treibmittel, Neutralisationsmittel, Anwendung bei metabolischer Azidose).
- Geschmack: leicht alkalisch
- Chemical Abstracts Service (CAS) Nr. 144-55-8
- chemische Formel: NaHCO3
- Dichte: 2,2 g/ml
- Löslichkeit: 96 g/l – pH-Wert: 7,8
- Partikelgröße: 40–250 µ
Einsatzgebiet: Natriumhydrogencarbonat sollte ausschließlich supragingival auf gesundem Schmelz zur Entfernung von Biofilm und Verfärbungen eingesetzt werden.
Glycin
Glycin/Glykol (Abb. 2) ist die einfachste stabile Aminosäure, sie ist nicht essenziell und kann vom menschlichen Körper selbst hergestellt werden. Glycin kommt in fast allen eiweißreichen Lebensmitteln vor, da es ein häufiger Baustein fast aller Proteine ist. Es wirkt im Körper unter anderem als Radikalfänger und Neurotransmitter, ferner findet man Glycin z. B. im Kollagen – einem wichtigen Bestandteil von Sehnen, Knochen, Haut und Zähnen. Glycin ist ein zugelassenes Nahrungsergänzungsmittel (E 640) ohne Höchstmengenbegrenzung, das zur Unterstützung verschiedener Körperfunktionen beiträgt. In der Lebensmittelindustrie wird es häufig als Geschmacksverstärker oder Feuchthaltemittel verwendet.
- Geschmack: leicht süß
- Chemical Abstracts Service (CAS) Nr. 56-40-6
- Chemische Formel: C2H5NO2
- Dichte: 1,60 g/ml
- Löslichkeit: 250 g/l
- pH-Wert: 6,2
- Partikelgröße: 25–65 µ
Einsatzgebiet: Glycin ist besonders gut geeignet zum subgingivalen Biofilmmanagement.
Erythritol
Erythritol/Erythrit (Abb. 3) ist ein weißes kristallines Pulver mit angenehm süßem Geschmack (60–70 Prozent der Süßkraft von Zucker). Chemisch gesehen gehört es zu den Zuckeralkoholen (Polyolen). Erythrit kommt in geringen Mengen in der Natur vor, z. B. in Honig, Weintrauben, Melonen, Pilzen usw. Hergestellt wird Erythritol heute durch mikrobiologische Umwandlung (Fermentation) natürlicher Zucker.
Aufgrund seines süßen Geschmacks wird Erythritol als Zuckeraustauschstoff verwendet. Im Körper wird Erythritol vollkommen aufgenommen (>90 Prozent im Dünndarm), nicht metabolisiert und unverändert über den Urin wieder ausgeschieden, kleine Mengen finden sich im Stuhl. Erythritol besitzt für den menschlichen Körper nahezu keine Kalorien, nur ca. 0,2 kcal/g – dies entspricht 5 Prozent des kalorischen Wertes von Zucker und hat somit auch einen glykämischen Faktor von 0. Zusätzlich ist es für Diabetiker geeignet, da es weder das Glukoseplasma noch den Insulinspiegel anhebt. Orale Bakterien können Erythritol nicht metabolisieren, d. h. es ist nicht kariogen, sondern zahnfreundlich und von der Food Chemical Codex (FCC) for European Food Additives zugelassen. In einer Untersuchung von 202336 wurden die Erythritwerte von Menschen vor dem Hintergrund von Herzinfarkt, Schlaganfall und anderen Herz-Kreislauf-Ereignissen in einer Dreijahresspanne untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass Menschen, die besonders viel Erythrit im Blut haben, ein deutlich erhöhtes Risiko für diese Erkrankungen haben. Diese Nebenwirkungen treten bei den geringen Mengen, die in der Prophylaxe verwendet werden, nicht auf.
- Geschmack: süß
- Chemical Abstracts Service (CAS) Nr.: 149-32-6
- chemische Formel: C4H10O4
- Dichte: 1,45 g/ml
- Löslichkeit: 100 g/l
- pH-Wert: neutral
- Partikelgröße: 14 µ
Einsatzgebiet: Erythritol ist als Universalpulver sowohl zur supragingivalen Verfärbungs- und Biofilmentfernung als auch zum subgingivalen Biofilmmanagement geeignet.
Trehalose
Für die supra- und subgingivale Reinigung wurde 2016 ein weiteres Süßungsmittel, die Trehalose, vorgestellt. Dieses gut wasserlösliche Disaccharid ist nicht kariogen und für Diabetiker geeignet. In der Natur kommt Trehalose in Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen vor. Im Jahr 2018 zeigte ein Bericht in Nature 37, dass die Clostridium-Difficile-Infektionen in jüngster Zeit zugenommen haben und zu einem dominanten nosokomialen Erreger in Nordamerika und Europa geworden sind. Zwei epidemische Ribotypen haben einzigartige Mechanismen entwickelt, um niedrige Konzentrationen des Disaccharids Trehalose zu metabolisieren. Es wurde der Schluss gezogen, dass Trehalose als Nahrungsmittelzusatzstoff in der menschlichen Ernährung dazu beigetragen haben könnte, die Entstehung von Clostridium-Difficile-Infektionen zu begünstigen und zur Hypervirulenz beizutragen. Diese Nebenwirkungen treten mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den geringen Mengen, die in der Prophylaxe verwendet werden, nicht auf.
- Geschmack: süß
- Chemical Abstracts Service (CAS) Nr. 6138-23-4
- chemische Formel: C12H22O11
- Dichte: 1,58 g/ml
- Löslichkeit: 523 g/l
- pH-Wert: 6,5
- Partikelgröße: 30 und 65 µm
Einsatzgebiet: Trehalose ist als Universalpulver sowohl zur supragingivalen Verfärbungs- und Biofilmentfernung als auch zum subgingivalen Biofilmmanagement geeignet
Neue Update-Themenreihe für das gesamte Team
Angesichts der Vielzahl neuer wissenschaftlicher Arbeiten und des schnell voranschreitenden technischen Fortschritts in der professionellen Prophylaxe ist es für Zahnärztinnen, Zahnärzte und das Praxisteam sehr schwierig, das relevante Wissen und damit den fachlichen Stand der Praxis auf dem Laufenden zu halten. Wir wollen durch diese neue Themenreihe über neue wissenschaftliche Erkenntnisse und den technischen Fortschritt in der professionellen Prophylaxe informieren.
- Update Pulver in der Pulver-Wasser-Strahltechnologie
- Update der Gerätetechnologie und Anwendung im Biofilmmanagement
- Update der Anwendung der Pulver-Wasser-Strahltechnologie in der Parodontologie
- Update der Anwendung der Pulver-Wasser-Strahltechnologie in der Implantologie
- Update Einsatz der Pulver-Wasser-Strahltechnologie im Rahmen der systematischen Prophylaxe
Tagatose
Mit der Tagatose ist seit Kurzem ein weiteres Süßungsmittel als Pulver zum Einsatz in der Pulver-Wasser-Strahltechnik auf dem Markt. Dieser Zucker gehört zur Gruppe der Ketohexosen, das sind Monosaccharide mit sechs Kohlenstoffatomen. D-Tagatose eignet sich als Süßstoff, da er – verglichen mit Fructose – bei 92 Prozent Süßkraft nur 38 Prozent des physiologischen Brennwerts besitzt. D-Tagatose kommt in der Natur, wenn auch in geringer Menge, in einigen Milchprodukten vor. Kommerziell wird D-Tagatose aus Lactose gewonnen.
Andere Pulverarten
Auf dem Dentalmarkt sind außer den bereits genannten Pulversubstanzen auch Calcium-Natrium-Phosphosilikat, Aluminiumtrihydroxid, Calciumcarbonat und Hydroxylapatit erhältlich. Da diese nicht wasserlöslich sind, werden sie im vorliegenden Beitrag nicht weiter ausgeführt.
Fazit
Die Indikationen für die Anwendung der Pulver-Wasser-Strahltechnologie wurde durch die Entwicklung neuer minimalabrasiver, somit substanzschonender Pulver auf Glycin- oder Erythritolbasis in den vergangenen Jahren von der supragingivalen Behandlung auf die subgingivale Behandlung ausgeweitet. Die Vorteile der Pulver-Wasser-Strahltechnologie liegen auf der Hand: Schneller, sicherer, komfortabler für Patienten und Behandler und keine bzw. nur geringste Schädigung von Zahnhartsubstanzen, von Weichgewebe und von Restaurationen.3–36
Damit die Vorteile dieser modernen Technologie voll zum Tragen kommen, ist es notwendig, sich neben den physikalischen und gerätetechnischen Grundlagen mit den zur Anwendung kommenden Pulvern auseinanderzusetzen. Die Checkliste soll bei der Auswahl der Pulver behilflich sein (Tab. 1). Zusammengefasst kann festgestellt werden, dass die Pulver-Wasser-Strahltechnik heute der Goldstandard im Biofilm- und Verfärbungsmanagement ist.38