Implantologie 18.01.2012
Sofortversorgung auf Implantate im Oberkiefer-Seitenzahnbereich
share
Im vorliegenden Fallbericht wird – anhand eines Beispiels – die Technik der Implantatinsertion mit einer Neigung von 35° im Seitenzahnbereich des Oberkiefers zwecks Vermeidung eines Sinuslifts und Sofortversorgung mit festen Brücken beschrieben.
Seit der Einführung der Technik der Insertion posteriorer (distaler) Implantate mit einer Neigung bis zu 35° (im Verhältnis zur vertikalen Achse) und den dazugehörigen vorgefertigten abgewinkelten Aufbauten für die Versorgung des zahnlosen Ober- bzw. Unterkiefers erlebt die zahnärztliche Implantologie eine Veränderung in ihrem bis dato bewährten chirurgischen und prothetischen konventionellen Denken (Maló et al. 2003, 2005, 2006). Durch die auf diese „unorthodoxe“ Art inserierten Implantate wird die Durchführung regenerativer Maßnahmen im posterioren Bereichen der atrophierten bzw. teilzahnlosen Ober- und/oder Unterkiefer vermieden und die Sofortbelastung und -versorgung ermöglicht. Klinische Studien belegen, dass die Erfolgs- und Überlebensrate der mit einer solchen Neigung inserierten Implantate mit denen vergleichbar ist, die auf konventionelle axiale Art inseriert wurden (Khatami und Smith 2008, Krekmanov et al. 2000, Hinze et al. 2010). Weitere Ergebnisse zeigten, dass kein signifikanter Unterschied bezüglich des Knochenverlustes zwischen den konventionell axial und den abgewinkelt inserierten Implantaten (unabhängig von Kiefer und/oder Region) bestand (Zambelis et al. 2007, Francetti et al. 2010).
Obwohl die abgewinkelten Aufbauten und diese Implantationstechnik für die Rehabilitation eines gesamten Kiefers entwickelt wurden, gab es nur wenige Informationen über ihre Anwendung zur Versorgung des Seitenzahnbereichs eines atrophierten Ober- bzw. Unterkiefers mit festsitzenden Brückenkonstruktionen (Roccuzzo et al. 2009, Cordaro et al. 2009). Im vorliegenden Bericht wird die sich über ein Jahr erstreckende Beobachtung eines repräsentativen Falls vorgestellt, bei dem die zahnlosen Seitenzahnbereiche des Oberkiefers mithilfe implantatgetragener Brücken rekonstruiert wurden.
Fallbeispiel
Der
Patient (51 Jahre alt, Nichtraucher), hat sich wegen der
fortgeschrittenen parodontalen Destruktion im Oberkiefer bei einem
Kollegen vorgestellt, ein Jahr vor Beginn der in diesem Bericht
beschriebenen Behandlung (Abb. 1). Die Zähne 18–14, 12 und 24
(Wurzelrest), 25–27 wurden extrahiert. Die Extraktionsalveolen wurden
mittels dPTFE-Membranen (Cytoplast, Osteogenics Biomedical, Lubbock, TX,
USA) ohne zusätzliche Verwendung von Knochenersatzmaterialien abgedeckt
(Hoffmann et al. 2008, Zafiropoulos et al. 2010). Der Mukoperiostlappen
wurde repositioniert und im Bereich der Papillen mit Einzelnähten
fixiert (Cytoplast Nahtmaterial, Osteogenics Biomedical, Lubbock, TX,
USA). Die Membranen blieben zum Teil exponiert und wurden nach vier
Wochen entfernt. Anschließend wurden die zahnlosen Bereiche mit einer
Modellgussprothese versorgt.
Ungefähr ein Jahr nach den Extraktionen im Oberkiefer stellte sich der Patient zwecks Implantatversorgung bei uns vor. Der Patient litt an einer beidseitigen chronischen Sinusitis und lehnte die Durchführung einer Sinusaugmentation ab. In Regio 16, 14, 12, 24 und 26 wurden fünf Implantate inseriert (Durchmesser 3,75mm; SoftBone, Dentegris, Duisburg). Die Implantate Regio 16, 14, 12 und 24 hatten eine Länge von 11,5mm und wurden konventionell bzw. axial inseriert, wobei in Regio 16 ein interner Sinuslift durchgeführt wurde. Das Implantat Regio 26 wurde mit einer Neigung von 35° zur vertikalen Achse inseriert und sofort mit einem abgewinkelten 35°-Titan-Aufbau (DAAS Aufbau 35°, Dentegris) versorgt (Abb. 2). Die axial gesetzten Implantate wurden geschlossen (Pickup Abdruckpfosten, Dentegris) und das mit 35° Neigung inserierte Implantat (Regio 26) wurde mithilfe eines systemspezifischen Abdruckpfostens (DAAS Abdruckpfosten, Dentegris; Abb. 3) unter Verwendung eines Polyether-Abformmaterials (Impregum; 3M ESPE, Neuss; Abb. 4) abgeformt. Anschließend wurden die Implantate mit entsprechenden Gingivaformern versorgt (Gingivaformer, ausgestellt in Höhe von 4mm bzw. DAAS Gingivaformer, Dentegris; Abb. 5).
Drei Tage nach
der Implantation wurden mithilfe von Übertragungsschlüsseln individuelle
Abutments angebracht. Zur Herstellung der individuellen Abutments
wurden Platin-Iridium-Kunststoff-Abutments verwendet (PTIR-Abutments,
Dentegris), die aus einem vorgefertigten angießbaren Basisteil aus
Platin-Iridium und einem Schraubenkamin aus rückstandslos ausbrennbarem
Kunststoff bestanden, der als Modellierhilfe diente. Für die Herstellung
des Abutments Regio 26 wurde ein systemspezifischer ausgießbarer
Kunststoffzylinder verwendet (DAAS Kunststoff-Zylinder, Dentegris). Am
selben Tag wurde sowohl ein Metallgerüst aus einer
Kobalt-Chrom-Legierung (ZENOTEC NP; Wieland, Pforzheim) als auch ein
Langzeitprovisorium aus Kunststoff (ZENO-PMMA; Wieland, Pforzheim) für
die Sofortversorgung der Bereiche 14–16, 24–26 gefräst. Das Gerüst wurde
anprobiert und anschließend wur-de das Langzeitprovisorium mit
provisorischem Zement (TempBond; Kerr, Orange, CA, USA) eingesetzt
(Abb. 6–8). Vier Monate nach Implantatinsertion und progressiver
Sofortbelastung durch das Langzeitprovisorium wurde die endgültige
Versorgung mit einem eugenolfreien provisorischen Zement
(Implant-Provisional, Alvelogro, Pomona, CA, USA) eingesetzt (Abb. 9).
Schlussfolgerung
Unter
bestimmten Bedingungen (keine aktive Parodontalerkrankung, gute
Patienten-Kooperation, gute Knochenqualität) ist eine erfolgreiche Früh-
oder Sofortbelastung von Implantaten im posterioren Oberkiefer bei
ausgewählten Patienten möglich. Für den Erfolg der Implantation und der
Versorgung/Belastung von Brückenkonstruktionen auf abgewinkelten
Implantaten spielen die Primärstabilität und das Implantatdesign eine
große Rolle (Javed und Romanos 2010, Javed et al. 2011). Anhand der bis
dato publizierten wissenschaftlichen Ergebnisse ist es nicht möglich,
evidenzbasierte Kontraindikationen (anhand der erforderlichen sowie
messbaren Werte der Primärstabilität, Knochendichte und -qualität,
Einwirkung okklusaler Kräfte) zu diskutieren. So bleiben viele Fragen
unbeantwortet und Risiken ungeklärt (Roccuzzo et al. 2009). Unserer
Meinung nach liegt der große Vorteil der Nutzung abgewinkelter
Implantate nicht unbedingt in der Möglichkeit der Sofortimplantation
und/oder Sofortbelastung, sondern erstens in der Vermeidung
augmentativer Maßnamen (z. B. Sinuslift) und zweitens in der Versorgung
mit einem festsitzenden Zahnersatz (Rosén und Gynther 2007, Aparicio et
al. 2001). Trotz der vielen positiven wissenschaftlichen Berichte sollte
sich der behandelnde Arzt des Risikos eines Implantatverlusts bewusst
sein, das mit einer Sofortimplantation bzw. Sofortversorgung und
-belastung verbunden ist. Darüber hinaus sollte er die eigenen Grenzen
definieren und die Patienten nach strengen Kriterien auswählen. n