Digitale Zahnmedizin 08.09.2022
Fallvorstellungen zur Behandlung tiefer Zahnfleischtaschen
Trotz Einhalten postoperativer Mundhygieneprotokolle und der UPT-Intervalle können tiefe Parodontaltaschen und Entzündungsreaktionen persistieren. Die folgenden Fallbeispiele sollen die Behandlungsstrecke mit dem Clean&Seal-Konzept im Rahmen der antiinfektiösen
Therapie (AIT) beziehungsweise der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) vorgestellt werden. Hierbei handelt sich um eine Kombination aus mechanischem Debridement, unterstützt durch sorgfältige Dekontamination mithilfe eines antimikrobiellen Gels auf Hypochloritbasis zur Keimreduktion und Entfernung des Biofilms, gefolgt von der Applikation von vernetzter Hyaluronsäure zur Unterstützung von Heilungsprozessen und zum Versiegeln der gereinigten Wundstelle vor einer erneuten Infektion.
Fallpräsentation 1 von Dr. Hakan Bilhan
Die Patientin, geboren 1964, stellte sich erstmals 2014 im Zustand einer unbehandelten Parodontitis mit dem Stadium 3 und Grad B in der Abteilung für Parodontologie der Universität Witten/Herdecke (UW/H) vor. Die Patientin ist Nichtraucherin und hat keine allgemeinmedizinischen Befunde. Die systematische PAR-Therapie inkl. der AIT, der chirurgischen Behandlungsphase, und anschließender UPT wurde in den Jahren 2014-2016 durchlaufen. Danach blieb die Patientin in das UPT Angebot der UW/H eingebunden. Der Zahn 36 zeigte bei der Eingangsuntersuchung anno 2014 Sondierungswerte (ST) in Höhe von 8 bis 9 mm an allen sechs Messstellen, z.T. vergesellschaftet mit PUS Entleerung. Eine Re-Evaluation an diesem Zahn ergab bei einer UPT im Jahr 2017 keine ST über 3 mm Tiefe und keine Entzündungszeichen. Der dazu gehörende Röntgenbefund zeigte eine vollständige Konsolidierung der ehemals vorhandenen Parodontaltasche an Zahn 35 distal und andeutungsweise eine radiologische Verbesserung der Stelle mesial an benachbartem Zahn 36. Dennoch rezidivierte diese Stelle mesial am Zahn 36 mit einer später persistierenden Resttaschentiefe von konstant 8 mm. Diese Stelle wurde im Rahmen weiterer UPT mehrfach instrumentiert, von einer chirurgischen Intervention wurde – bei einem parodontal unauffälligem Befund am Nachbarzahn 35 – Abstand genommen. Schließlich, um die Persistenz der ST und der damit einhergehenden Entzündung zu beenden, wurde das Clean & Seal Protokoll angewendet. Wie in unserem Protokoll vorgesehen, wurde ein gründliches Scaling & Root Planing (SRP) mit Handinstrumenten unter Infiltrationsanästhesie und einer begleitenden Anwendung des Reinigungsgels (PERISOLV) zur Unterstützung der Biofilm Entfernung durchgeführt. Nach dem Zusammenmischen der beiden Komponenten (Abb. 3) wird dafür das Gel mit einer stumpfen Kanüle tief in die Tasche eingebracht und nach einer Einwirkzeit von ca. 30 Sekunden mit dem mechanischen Scaling fortgefahren. Nach Abschluss der Instrumentierung wird die Tasche mit der kreuzvernetzten Hyaluronsäure (xHyA; hyaDENT BG, Abb. 4) zur Förderung des Heilungsprozesses gefüllt. Der Vorteil der Applikation von hyaDENT BG im Vergleich zu den Schmelz-Matrix-Proteinen ist, dass die Wundstelle weder trocken noch blutarm sein muss und keine Konditionierung der Wurzeloberfläche erfordert. Innerhalb von sieben Tagen erfolgt nochmals die Applikation von xHyA, um den Effekt einer raschen Auswaschung zu kompensieren.
Abbildung 1 zeigt den Ausgangsbefund, gekennzeichnet durch eine tiefe Tasche mesial von Zahn 36 mit einer Sondierungstiefe von 8 mm und positivem Blutungsindex (BoP+). Im Röntgenbefund wird der signifikante Knochendefekt deutlich (Abb. 2).
14 Monate nach Behandlung (Abb. 5) zeigt sich eine deutliche parodontale Verbesserung im Sinne einer signifikanten Reduktion der Tasche auf 4–5 mm Sondierungstiefe und einer entzündungsfreien Gewebesituation ohne ein Bluten auf das Sondieren (Abb. 6). Der Röntgenbefund (Abb. 7) weist auf eine knöcherne Auffüllung der Tasche hin.
Fallpräsentation 2 von Dr. Rico Jung
Der Patient stellte sich erstmals im März 2020 in der Abteilung für Parodontologie der Universität Witten/Herdecke mit einer unbehandelten Parodontitis Stadium 4 Grad C vor. Die Zähne 21 und 22 waren vital (Kältetest), wiesen einen erhöhten Lockerungsgrad (2) auf und waren nicht dolent auf Perkussion. An beiden Zähnen folgte auf das Sondieren Pusaustritt und es lag ein sekundäres okklusales Trauma vor. Die Sondierungstiefen waren auf bis zu 10 mm erhöht (Abb. 8-10).
Im Zuge der parodontalen Vorbehandlung wurden die Zähne 21 und 22 mit einer Kompositschienung verstärkt und die Vorkontakte in dynamischer und statischer Okklusion beseitigt (Abb. 11-12). In der vorab notwendigen Akuttherapie wurde ein Lokalantibiotikum (Wirkstoff Doxycyclin: Ligosan, Kulzer) subgingival appliziert. Mit einer Verzögerung, die den allgemeinen COVID-bedingten Umständen im Jahr 2020 geschuldet war, wurde im September die Antiinfektiöse Therapie (AIT) durchgeführt. Die subgingivale Instrumentierung fand unter Infiltrationsanästhesie mit Hand- und Schallinstrumenten statt. Begleitend wurde ein auf Natriumhypochlorid basierendes Reinigungsgel wie oben beschrieben (PERISOLV) subgingival appliziert. Nach dem Instrumentieren und der taktilen Kontrolle der Wurzeloberfläche, wurde die Tasche mit vernetzter Hyaluronsäure (hyaDENT BG) gefüllt und marginal benetzt.
Acht Monate nach AIT und Clean & Seal-Technik zeigten sich deutlich verbesserte klinische und röntgenologische Befunde. Die Sondierungstiefen lagen bei maximal 6 mm (Abb. 13-14) Das Röntgenbild zeigt einen Rückgang der vertikalen Knocheneinbrüche sowie einen teilweise neu gebildeten Parodontalspalt als Indiz für eine echte parodontale Regeneration. Im Rahmen der unterstützenden Parodontitistherapie konnten zunehmend verbesserte Befunde beobachtet werden, sodass im Frühjahr 2022 (Abb. 15-16) Sondierungstiefen von maximal 5 mm, ohne Pus oder Bluten auf Sondieren, gemessen wurden.
Fazit
Die adjuvante Verwendung eines Hypochlorit-Gels bei der geschlossenen subgingivalen Instrumentierung unterstützt die mechanische Entfernung des Biofilms. Durch die anschließende Versiegelung des Wundraums mit vernetzter Hyaluronsäure wird die Wundraumstabilisierung verbessert, die Wundheilung beschleunigt und regenerative Prozesse zur parodontalen Geweberegeneration unterstützt. Dadurch werden relevante Erfolgskriterien für einen vorhersagbaren regenerativen Behandlungserfolg bei komplexen Defekten erfüllt.
Autoren: Dr. Hakan Bilhan und Dr. Rico Jung