Endodontologie 31.05.2012

Schmerzfrei – Ein Anästhesie-Update



Schmerzfrei – Ein Anästhesie-Update

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Die Wunschvoraussetzung für den Beginn einer zahnärztlichen Behandlung ist sowohl für den Behandler als auch den Patienten eine ausreichende Anästhesie des Behandlungsgebiets. Gerade in der Endodontie spielt die Schmerzfreiheit schon aus psychologischer Sicht eine sehr wichtige Rolle. Um diese zu gewährleisten und etwaige Komplikationen zu vermeiden, sollten daher Gründe für das Ausbleiben oder abgeschwächte Vorhandensein einer Anästhesie und optimale Anästhesiekonzepte gekannt werden.

Eine ausreichende Anästhesiewirkung im Oberkiefer ist, außer bei anatomischen Anomalien oder bei Vorhandensein pathologischer Umstände, in mehr als 95% der Fälle zu erreichen. Der anatomisch relativ leichte Zugang zu größeren Nerven und die Knochenstruktur spielen hier eine große Rolle.1 Eine ausreichende pulpale Anästhesie im Unterkiefer ist deutlich schwieriger zu gewährleisten. Die angegebenen Erfolgsquoten für die Blockade des Nervus alveolaris inferior reichen von 80 bis 85%2 bis auf 25% bei Molaren herunter.3 Dies hat zur Folge, dass man bei dem Wunsch nach einer vollständigen Schmerzausschaltung eventuell auf weitere zusätzliche Anästhesietechniken zurückgreifen muss.

Wenn der Schmerz bleibt

Es gibt eine Vielzahl von Gründen und Erklärungsversuchen für das Ausbleiben einer profunden Anästhesietiefe:

Rothaarige Patienten

Es gibt in der Medizin Untersuchungen, die zeigen, dass Patienten mit roten Haaren resistenter gegenüber Anästhesiewirkstoffen sind. 4,5

Frühere Probleme bei der Anästhesie

Patienten, die über bereits eine früher nicht erfolgreiche Anästhesiewirkung berichten, sind gefährdeter.2

Anästhesieversager bei Schmerzpatienten

Ein oft genannter Grund für das Ausbleiben einer profunden Anästhesie geht von einem lokalen erniedrigten pH-Wert des entzündeten Gewebes aus. Dieser führt in der Folge zu einer verminderten Verfügbarkeit der basischen nervmembrangängigen Form des Anästhetikums. Allerdings lässt sich hierdurch nicht das Ausbleiben einer ausreichenden Anästhesietiefe eines unteren Molaren erklären, bei dem die Blockade des Nervus alveolaris inferior in einiger Entfernung
vom entzündeten Gewebe und damit auch erniedrigten pH-Wert erfolgt. Ein anderer Erklärungsversuch beruht auf dem ver­änderten Ruhepotenzial und der verminderten Erregungsschwelle der Nerven im Entzündungsgebiet.6,7 Es wurde gezeigt, dass Lokalanästhetika aufgrund der erniedrigten Erregungsschwelle keine Impulsweiterleitung verhindern konnten.8 Das Ausbleiben einer ausreichenden Anästhesie kann auch mit den Natriumkanälen zusammenhängen. Zum einen wurde gezeigt, dass diese in irreversibel entzündeten Pulpen vermehrt gebildet werden,9 zum anderen könnten es Tetrodotoxin-resistente (TTXr) Natriumkanäle sein, die resistenter gegen Lokalanästhetika sind.10 Oftmals wird auch aufgrund von klinischen und anatomischen Studien11,12 der Nervus mylohyoideus als Grund für einen Anästhesieversager genannt. In einer klinischen Studie konnte eine zusätz­liche Anästhesie des Nervus ­mylohyoideus keine stärkere Anästhesietiefe ­erreichen als eine alleinige Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris ­inferior.13 Kreuzinnervationen vom kontralateralen Nervus alveolaris inferior werden ebenfalls als mögliche Gründe für eine unzureichende Anästhesietiefe genannt. Kreuzinnervation gibt es im Bereich der Inzisivi,14 eine Empfehlung zur bilateralen Anästhesie des Nervus alveolaris inferior wird aber nicht gegeben.

Die intraossäre Technik

Für den Kliniker ist es daher wichtig, zusätzliche Anästhesietechniken zur Ergänzung der konventionellen Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior (konventionelle Technik, Gow-Gates-Technik, Vazirani-Akinosi-Technik) zur Verfügung zu haben. Hierbei wird auf die intraossäre Anästhesie eingegangen, wobei drei intraossäre Techniken unterschieden werden: die traditionelle intraossäre Technik sowie zwei Modifikationen, die intraligamentäre und die intraseptale Injektion.1 Im Folgenden wird auf die traditionelle intraossäre Anästhesie näher eingegangen. Das Einbringen einer Anästhesielösung in den interproximalen Knochen wird seit Beginn des 20. Jahrhunderts praktiziert.15 Mithilfe der intraossären Anästhesie steht dem Kliniker eine nützliche zusätzliche Anästhesietechnik bei Fehlschlagen einer Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior zur Verfügung. Nusstein et al. zeigten eine Erfolgsquote von 82% für die intraossäre Anästhesie nach Fehlschlagen einer konventionellen Leitungsanästhesie.16 Bigby et al. fanden eine Erfolgsquote von 86% nach erfolgloser Leitungsanästhesie.17 Die intraossäre Anästhesie erlaubt das Einbringen der Lokalanästhetika direkt in den benachbarten spongiösen Knochen des zu anästhesierenden Zahnes. Die optimale Stelle für die Perforation der Kortikalis ist distal des zu anästhesierenden Zahnes,18,19 eine Ausnahme sind obere und untere Molaren, bei diesen sollte eine Stelle mesial ausgewählt werden.18,19 Zwei Millimeter apikal einer Geraden durch den Gingivalrand der Zähne und einer vertikalen Linie durch die Interdentalpapille liegt die richtige Injektionsstelle.1 Normalerweise tritt die Wirkung sofort ein.16

Verschiedene Autoren berichten in bis zu 93% der Fälle von einer vorübergehenden Erhöhung der Herzfrequenz bei Injektion vasokonstriktorhaltiger Lokalanästhetika.16,20,21 Eine materialbedingte Komplikation kann die Separation des Perforators sein. In verschiedenen Studien wird über eine 1%ige Separation der Perforatoren der Sta­bident- und X-Tip-Systeme berichtet, d.h., dass sich der Metallperforator vom Plastikschaft löst,16,19 jeder Metallperforator konnte ohne Probleme mit einem Nadelhalter entfernt werden. Diese Separation ereignet sich als Folge einer zu starken Erhitzung des Metalls aufgrund einer dichten Kortikalis, weswegen der Plastikschaft schmilzt. Über einen Bruch des Metallperforators gibt es keine Berichte. Eine Schwellung und Exsudation an der Injektionsstelle entwickeln weniger als 5% der Patienten.16,22,23 Häufiger mit bis zu 15% berichten die Patienten, dass sich der Zahn beim Schließen zu hoch anfühlt.22,23 Zusammenfassend stellt Tabelle 1 noch einmal die wichtigsten Fakten der intraossären Anästhesie anschaulich dar.

Das Anesto-System

Das Anesto-System von W&H, welches speziell für die intraossäre Injektion entwickelt wurde, besteht aus einem Handstück mit dem Motoranschluss, dem Nadel­ampullenhalter, den speziellen sterilen intraossären ­Injektionsnadeln, der Schutzhülse und dem Nadelwechsler (Abb. 1). Durch eine direkte Injektion des Anästhetikums in den Knochen soll eine zielgerichtete Lokalanästhesie einzelner Zähne erreicht werden, ohne den Patienten mit langanhaltender Lippen- und Mundtaubheit zu belasten.

Schritt-für-Schritt-Anwendung
1.    Eine sterile intraossäre Nadel auf den Nadelampullenhalter schrauben.
2.    Eine Zylinderampulle mit Anästhetikum bis zum Klickgeräusch in Nadelampullenhalter einsetzen.
3.    Die Schubhülse am Anesto zurückziehen und alles ­zusammen in das Handstück setzen und Schubhülse loslassen. Die Nadel sitzt nun fest im Gerät.
4.    Mit dem Nadelwechsler die Schutzkappe von der intraossären Injektionsnadel abziehen.
5.    Schutzhülse mit dem Nadelwechsler auf die Schubhülse einrasten.
6.    Durchgängigkeit der Nadel überprüfen.
7.    Mit Verriegelungsknebel kontrollierbare Injektion von ca. 0,3ml Anästhetikalösung in die Gingiva.
8.    Intermittierende Penetration, im rechten Winkel zum Knochen am Ende der interdentalen Papille, der Kortikalis bei laufendem Motor mit einer Umdrehungszahl von 15.000–20.000UpM (CAVE: Wegen Bruchgefahr auf Beibehalten der Rotationsachse achten).
9.    Injektion der gewünschten Menge des Anästhetikums. Falls starker Druck nötig ist oder keine Bewegung des Dosierhebels möglich ist, ist ein Austausch der Kanüle nötig, da diese evtl. verstopft ist.
10.    Motorstart und Entfernung der Kanüle in Richtung der Rotationsachse.
11.    Schutzhülse nach Lösen entfernen.
12.    Nadel-Ampullen-Einheit mit dem Nadelwechsler ent­fernen und Entsorgung der Kanüle und der Ampulle.
13.    Desinfektion und Sterilisation.


Fallbeispiele

Fall 1

Eine 25-jährige Patientin stellte sich zur Beratung in unserer Praxis vor. Das angefertigte Orthopantomogramm (Abb. 2) und die Fotodokumentation (Abb. 3 und 4) zeigten multiple nicht erhaltungswürdige Zähne sowie verlagerte Weisheitszähne. Die Patientin entschied sich für die chirurgische Sanierung in einer Sitzung. Nach erfolgter Aufklärung über Komplikationsmöglichkeiten bei Applikation einer normalen Leitungsanästhesie am Nervus alveolaris inferior und der Notwendigkeit einer beidseitigen Applikation mit den damit verbundenen Risiken entschied sich die Patienten für die Anwendung der intraossären Anästhesie mittels Anesto. Der gesamte chirurgische Eingriff verlief komplikationslos und es wurde dank Anesto eine ausreichende Anästhesietiefe erreicht. In einer zweiten Gesamtsitzung drei Wochen post OP wurden die kariösen Defekte konservierend versorgt, wobei auch hier im Unterkiefer das Anesto-System zum Einsatz kam. Das postoperative Orthopantomogramm (Abb. 5) zeigt nun den Zustand nach erfolgter chirurgischer und konservierender Therapie.

Fall 2

Ein 45-jähriger männlicher Patient wurde mit der Bitte um endodontische Weiterbehandlung an Zahn 46 überwiesen. Alio loco konnte an dem an einer irreversiblen Pulpitis erkrankten Zahn keine ausreichende Anästhesietiefe für die Vitalexstirpation erreicht werden. Weder durch eine konventionelle Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior noch durch eine intraligamentäre Anästhesie oder durch eine zusätzlich durchgeführte intrapulpale Anästhesie konnte eine ausreichende Anästhesietiefe erreicht werden. Der Patient stellte sich ­daher am selben Tag in unserer Praxis vor. Abbildung 6 zeigt das Ausgangsröntgenbild. Nach erfolgter intraossärer Anästhesie konnte Kofferdam angelegt werden. Das klinische Bild nach Entfernung des provisorischen Verschlusses zeigte zwei mesiale Kanaleingänge und einen distalen Eingang (Abb. 7), jedoch war das Pulpenkammerdach aufgrund der Schmerzproblematik noch nicht vollständig abgetragen worden. Bei Schmerzfreiheit konnten unter dem dentalen Operationsmikroskop ­(Zumax OMS2350) vier Kanalsysteme gefunden und chemo-mechanisch aufbereitet werden (Abb. 8). Die ­Kanalsysteme wurden mittels der Continuous-wave-Technik (Downpack) und der Multi-Fill-(Backfill)Technik warm obturiert und der Patient wurde an den Hauszahnarzt zurücküberwiesen (Abb. 9 und 10).

Fall 3

Eine 32-jährige Patientin stellte sich mit akuten Schmerzen an Zahn 46 (Abb. 11) vor. Im Rahmen der Kontrolluntersuchung vor einem Jahr war bei Bissflügelaufnahmen bereits die Approximalkaries diagnostiziert worden. Aufgrund beruflicher Abwesenheit war es aber bis jetzt zu noch keiner Therapie gekommen. Da die Patientin bereits wieder unter zeitlichem Druck stand und an diesem Tag noch Termine wahrzunehmen hatte, entschied sie sich gegen eine konventionelle Leitungsanästhesie. Nach intraossärer Anästhesie konnte die Karies entfernt (Abb. 12) und eine dentinadhäsive Aufbaurestauration angefertigt werden (Abb. 13). Danach konnte die Patientin ihren Geschäftstermin ohne Beeinträchtigung wahrnehmen. Wir verwenden nun seit gut einem Jahr das Anesto-System in unserer Praxis und möchten es im Praxisalltag nicht mehr missen.

Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.

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