Implantologie 21.02.2011
Möglichkeiten der DVT in der Implantologie
In der Zahnmedizin wird die dreidimensionale Bildgebung zunehmend zum Standard. Der Einsatz zur Diagnostik vor operativen Eingriffen kann zu der Reduktion der Invasivität des Eingriffes, folglich zu einer Senkung des Komplikationsrisikos und damit verbunden zu geringeren postoperativen Beschwerden für den Patienten führen (Fuhrmann et al. 2003). In einer Statistik des Departments für zahnärztliche Chirurgie und Röntgenologie der Klinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Graz, über die Zuweisungen zur Computertomografie (CT) über einen Fünf-Jahres-Zeitraum (2003 bis 2007) getätigt wurden, spiegelt sich dieser Trend deutlich wider. Wurden 2003 noch 181 Patienten zum CT überwiesen, so waren es 2007 bereits 543 Patienten. Die Indikationsstellungen betrafen, abgesehen von retinierten Zähnen, Zysten, Tumoren und Kieferhöhlenpathologien, zu einem großen Teil den Bereich der Implantologie. Implantologisch interessiert in erster Linie Ausmaß und Qualität des geplanten Implantatlagers, aber auch die Verwendung der Bilddaten zur digitalen Planung am Computer und zur navigierten Implantation war Indikation für die Zuweisung zur CT. Die Computertomografie ist ein etabliertes Verfahren, das große Vorteile gegenüber der konventionellen zweidimensionalen Bildgebung bietet.
Neben der Darstellung in allen drei Raumebenen gewährleistet sie eine detailgetreue und überlagerungsfreie Abbildung im Maßstab 1:1, die eine direkte Vermessung ermöglicht. Allerdings ist das Verfahren auch nicht ohne Nachteile. Der Computertomograf ist ein Großgerät, das für das Ganzkörper-Scanning entwickelt wurde. Die Anschaffung und vor allem auch der Betrieb und die Wartung des Gerätes sind teuer. Die Untersuchung bedingt eine relativ hohe Strahlenbelastung für den Patienten. Subsumierend ist der Computertomograf somit nicht praktikabel in der zahnmedizinischen Praxis einsetzbar (Kau et al. 2005), von den strahlenschutztechnischen Sicherheitsbestimmungen dieses Gerätes und der Tatsache, dass es nur von einem Facharzt für Radiologie betrieben werden darf, einmal abgesehen.
Mit der digitalen Volumentomografie (DVT) wird eine in zahnärztlichen Praxen einsetzbare radiologische Technologie eingeführt, die eine 3-D-Bildgebung erlaubt und vom Zahnarzt betrieben werden kann.
Die digitale Volumentomografie kann die Computertomografie bei den meisten zahnärztlichen Fragestellungen ersetzen (Fuhrmann et al. 2003) und weist eine der CT entsprechende Messgenauigkeit auf (Loubele et al. 2008).
Einige Autoren führen an, dass die subjektive Bildqualität der DVT besser als die der CT sein soll (Hashimoto et al. 2003) und sie im Bereich der räumlichen Auflösung und der paraxialen Schnitte, die dem klassischen Dental-CT entsprechen, überlegen ist (Kobayashi et al. 2004). Am Department für zahnärztliche Chirurgie hat die Installation des DVT-Gerätes dazu geführt, dass der Aufwärtstrend der Anzahl der CT-Zuweisungen gestoppt wurde. Betrachtet man die Indikationen für die digitale Volumentomografie über das erste Jahr (Januar bis Dezember 2008) des Betriebs genauer, so erkennt man, dass die implantologischen Fragestellungen mit 44% von insgesamt 349 Zuweisungen den Großteil stellten (Rugani et al. 2009). Die DVT hat in vielen Bereichen die Indikationen von der CT übernommen.
Einsatzmöglichkeiten
Die Indikationen zur Anfertigung einer DVT in der Implantologie betreffen fortgeschrittene Fälle, entsprechen denen der CT und stimmen mit den Richtlinien der European Association of Osseointegration überein (Harris et al. 2002). Die dreidimensionale Bildgebung ist maßgeblich in die Entscheidung über die Wahl der therapeutischen Maßnahmen eingebunden. Sie ist angezeigt, wenn Zweifel über die dreidimensionale Ausprägung des Implantatlagers bestehen. Dies betrifft Ausmaß und Qualität des knöchernen Lagers und besonders auch die Lage und Ausprägung von sensiblen anatomischen Gebilden wie Nervenstrukturen und Kieferhöhlen. Standardindikationen sind komplexe Fälle vor horizontalen oder vertikalen internen oder externen Hartgewebsaugmentationen in ein- oder zweizeitigem Vorgehen sowie die Implantation im ästhetischen Bereich.
Die durch die DVT gewonnenen Bilddaten können im DICOM-Format exportiert und anschließend in Implantatplanungsprogrammen visualisiert werden. Somit ist es möglich, die Implantatpositionierung bereits in der präoperativen Planungsphase bzw. nach erfolgter Kieferaugmentation virtuell festzulegen. Unter Anwendung von entsprechenden Schienen im Sinne des „Backward Plannings“ nach dem „Implant follows Crown“-Prinzip können die Implantate dann entsprechend der geplanten prothetischen Versorgung ideal inseriert werden. Dies ist in Fällen, in denen eine Sofortversorgung geplant ist, unerlässlich. Des Weiteren kann die DVT auch für die Aufklärung des Patienten eingesetzt werden.
Standardindikationen
Unterkiefer – Mandibularkanal
Ein Standardbeispiel für die Notwendigkeit der dreidimensionalen Bildgebung ist der Unterkieferseitenzahnbereich. Ein am Panoramaröntgen in der Höhe suffizient scheinender Kieferkamm (Abb. 1) kann in der Breite unzureichend sein und so eine Implantation ohne vorherige Augmentation unmöglich machen. Das digitale Volumentomogramm offenbart den schmalen, spitzen Kieferkamm mit lingualem Unterschnitt, der N. alveolaris inferior lässt sich deutlich abgrenzen (Abb. 2). Somit ist vor der eigentlichen Implantation eine horizontale Augmentation des Implantatlagers notwendig. Bei einem Zweiteingriff nach der Einheilung des Augmentats ist die Implantation dann problemlos möglich (Abb. 3).
Oberkiefer – Kieferhöhle, Nasenhöhle
Im Oberkiefer sollte vor einer Sinusbodenelevation jedenfalls eine dreidimensionale Bildgebung erfolgen. Sie dient zur Diagnostik eventueller Pathologien wie verbliebener Wurzelreste oder Fremdkörper oder von krankhaften Veränderungen der Kieferhöhlenschleimhaut sowie von Besonderheiten der Anatomie. Hierzu zählt neben der Möglichkeit von Kieferhöhlensepten auch das vorhandene Knochenvolumen, das entscheidend ist, ob das weitere chirurgische Vorgehen ein- oder zweizeitig gestaltet werden kann. Eine Möglichkeit zur Übertragung der prothetisch gewünschten Position ist die Anwendung einer röntgenopaken Positionierungsschiene, anhand derer die gewünschten Positionen mit der anatomischen Situation abgeglichen und notwendige Augmentationen geplant werden können. Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung von röntgenopaken Referenzpunkten an der Schiene, die ein digitales Zusammenführen von zwei getätigten Aufnahmen – einmal mit der Schiene im Mund, einmal von der Schiene alleine mit dementsprechend geänderten Aufnahmeparametern – später erleichtert.
Das Beispiel zeigt den Fall einer Patientin, die mit dem Wunsch nach einer implantatgetragenen Oberkieferversorgung vorstellig wurde. Im digitalen Volumentomogramm, das bereits mit einer röntgenopaken Positionierungschiene angefertigt wurde (Abb. 4), zeigte sich eine für die Implantation suffiziente Knochenbreite, jedoch eine nicht ausreichende Kieferkammhöhe. Die Resthöhe war ausreichend, um eine Sinusbodenelevation simultan mit der Implantation durchführen zu können. Die Kieferhöhlen selbst waren bis auf eine geringe basale Verdickung der Sinus-Schleimhaut unauffällig, es zeigten sich keine Septen. Die Bilddaten wurden in das SimPlant®-Implantatplanungsprogramm exportiert und die Implantation virtuell durchgespielt (Abb. 5). Dabei wurde das nötige Augmentationsausmaß bestimmt und Anzahl, Position und Implantattypus festgelegt (Abb. 6).
Die Übertragung der Implantatpositionen auf den OP-Situs erfolgte mit einer Positionierungsschiene.
In der Oberkieferfrontzahnregion ist aufgrund der besonderen Bedeutung als ästhetisch sensibles Gebiet die dreidimensionale Position des Implantats besonders wichtig. Limitierende Strukturen sind hier vor allem der N. incisivus und die Nasenhöhle (Abb. 7). Die virtuelle Planung zeigte in diesem Fall, dass eine prothetisch-orientierte Implantation zum Konflikt mit dem N. incisivus führt (Abb. 8).
Navigation
In der Zahnmedizin erfolgt die Navigation in der Regel indirekt über den Einsatz von Bohrschablonen. Aufgrund der eindeutigen Positionierung sind zahngestützte Bohrschablonen am sichersten (Abb. 9). Bei fehlender Restbezahnung können Bohrschablonen auch knochen- oder schleimhautgetragen sein. Bei der Abstützung auf dem Knochen muss eine dementsprechende Lappenpräparation durchgeführt werden, die Lagerung der Schablonen auf der Schleimhaut ist aufgrund der unterschiedlichen Resilienz der Gingiva prinzipiell als nicht eindeutig anzusehen.
Bei der Generierung von Bohrschablonen ist zu bedenken, dass die dafür nötigen anatomischen Strukturen wie Nachbarzähne bzw. angrenzende kortikale Strukturen ausreichend abgebildet sein müssen, was bei der Anwendung von Geräten mit kleinen Abbildungsvolumina nicht immer gewährleistet ist.
Bei der Navigation verlagern sich die wichtigen Schritte der Bestimmung der dreidimensionalen Implantatposition und begleitender notwendiger augmentativer Verfahren unter Berücksichtigung der Anatomie in die Planungsphase. Während der Operation selbst ist die Abfolge der Bohrsequenzen dann vergleichsweise einfach und schaltet die individuelle chirurgische Kompetenz des Operateurs weitgehend aus. Dies sollte allerdings nicht zu der Annahme führen, dass für die Anwendung der navigierten Implantation, die ja gerade in komplexen Fällen oder Fällen mit geplanter Sofortversorgung zum Einsatz kommt, weniger chirurgische Erfahrung nötig wäre. Man darf keinesfalls außer Acht lassen, dass die Möglichkeit der Ungenauigkeit in der Übertragung der virtuell geplanten Implantatposition mittels Bohrschablonen von bis zu 2mm besteht (van Asche et al. 2007), ein Fakt, der vor allem bei einem „flapless“ durchgeführten Eingriff problematisch werden kann. Als Konsequenz empfehlen Hinze et al. (2009) nur die erste Pilotbohrung mit der Bohrschablone durchzuführen und die weitere Sequenz an Bohrungen herkömmlich unter Sicht vorzunehmen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob Kosten und Aufwand der Navigation dann noch für den erreichten Nutzen sprechen.
Indikation bei Komplikationen
Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet der digitalen Volumentomografie besteht bei auftretenden Komplikationen. Sie ist hilfreich, um zum Beispiel die exakte Lage von Implantaten bei auftretenden Beschwerden nach der Implantation in Hinsicht auf den möglichen Konflikt mit sensiblen anatomischen Strukturen zu verifizieren, die Integrität von Hartgewebsaugmentationen bzw. den Verlust durch auftretende Infektionen anzuzeigen oder die Lage von Fremdkörpern wie luxierten Implantatteilen zu bestimmen. So konnte zum Beispiel durch entsprechendes chirurgisches Vorgehen das frakturierte Implant, das in Regio 14 teilweise in den Sinus ragt, zugleich mit einem Sinuslift der gleichen Seite durchgeführt werden (Abb. 10).
In den Mundboden und in die Kieferhöhle luxierte Implantate konnten mithilfe der DVT lokalisiert und anschließend entfernt werden (Abb. 11 und 12).
Diskussion
All diese Indikationen können sowohl durch die Computertomografie als auch durch die digitale Volumentomografie bewerkstelligt werden. Der Vorteil der digitalen Volumentomografie liegt in zwei Faktoren. Der erste und vielleicht entscheidende Vorteil ist die Möglichkeit der Anwendung des Verfahrens in der zahnärztlichen Ordination durch den Zahnarzt selbst, ohne zusätzliche den Strahlenschutz betreffende Maßnahmen treffen zu müssen. Dies führt zu einem vereinfachten Praxismanagement, zur Erweiterung des diagnostischen Spektrums in der Praxis und zur Verbesserung des Patientenkomforts. Ein Faktor, der gerade im Bereich der kostspieligen „Dienstleistung“ Implantologie immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die Bedienung des DVT-Gerätes ist einfach, ähnlich der Bedienung eines Panoramagerätes, erfordert kaum zusätzliche technische Kenntnisse und kann somit nach entsprechender Einschulung auch durch die zahnärztliche Assistentin erfolgen.
Das zweite Entscheidungskriterium betrifft die Strahlenbelastung des Patienten. Gemäß des ALARA-Prinzips (As Low As Reasonably Achievable) ist bei jeder strahlenbelastenden Untersuchung die Methode zu wählen, die bei ausreichender diagnostischer Sicherheit die geringste Belastung für den Patienten bietet (Harris et al. 2002). Dieser Grundsatz ist auch in den Euratom-Richtlinien zur medizinischen Strahlenexposition festgelegt (Richtlinie 97/43/Euratom 1997).
Eine genaue Abschätzung der tatsächlichen Strahlenbelastung ist schwierig, weil sich die Testbedingungen und technischen Parameter der Geräte stark voneinander unterscheiden. Sicher ist, dass die Strahlendosis von der Bauart des Gerätes, von technischen Parametern (u.a. Röhrenspannung, -stromstärke) und in erster Linie vom gewählten Field of View (FOV) abhängt. Ludlow et al. (2006) beschreiben in ihrer Arbeit ein Verhältnis zwischen OPG:DVT:CT von 1:10:100. 2008 beziffern Ludlow und Ivanovic die effektive Strahlendosis beim DVT 1,5- bis 12,3-fach geringer als beim CT, wobei ein bis zu 15-facher Unterschied in der effektiven Strahlenbelastung zwischen den verschiedenen Geräten besteht. In anderen Publikationen werden Werte von ca. der Hälfte bis zu einem Fünftel und weniger der effektiven Strahlendosis des Computertomogramms angeführt (Kau et al. 2005, Möbes et al. 2000, Hol et al. 2008, Kal et al. 2008).
Limitiert ist der Einsatz der DVT durch Bildrauschen, vor allem wenn ein kleines „Field of View“ gewählt wird, und durch Artefakte rund um metallische Restaurationen, wie metallische Stiftaufbauten und vor allem auch Implantate. So ist zum Beispiel die exakte Beurteilung des periimplantären Knochengewebes häufig nicht möglich, insbesondere wenn mehrere Implantate nebeneinander inseriert sind. Die mögliche rechnerische Reduktion von Artefakten ist derzeit qualitativ nicht ausreichend. Dies ist somit der Bereich, in dem der meiste Entwicklungsbedarf besteht.
Autorin: Dr. Petra Rugani, Prof. Dr. Dr. Norbert Jakse/Graz, Österreich