Implantologie 12.05.2014
Implantatgestützte Versorgung mit Langzeitperspektive
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Mit 69 Jahren fühlte sich die Patientin noch nicht alt. Umso mehr wollte sie auch kulinarisch ihr Leben genießen. Als es darum ging, die alte Totalprothese zu erneuern, entwickelten Zahnarzt Dr. Philip Jesch und ZT Christian Koczy gemeinsam einen langfristig sinnvollen Weg. Die implantatretinierte Stegprothese lässt sich auch in 15 Jahren noch komfortabel handhaben.
Die 69-jährige Patientin kam mit einer circa zehn Jahre alten Totalprothese in die Praxis (Abb. 1). Der schlechte Sitz des 28ers verursachte Druckstellen im Ober- und Unterkiefer und schränkte die Patientin beim Essen ein. „Ich will endlich wieder Leberkäsesemmeln und Ripperl essen können“, wünschte sie sich. Zudem war sie mit ihrem Profil unzufrieden, besonders im Bereich des Kinns (Abb. 2). Gemeinsam entschieden sich Zahnarzt und Zahntechniker für implantatgestützte Prothesen im Ober- und Unterkiefer. Da die Patientin vor einiger Zeit einen Schlaganfall erlitten hatte und auch aufgrund des Alters über die Jahre eine Verschlechterung der Motorik zu befürchten war, legte das Behandlerteam die Versorgung direkt so an, dass sie später leicht um ein PRECI-Geschiebe erweitert werden konnte. Die prothetische Beratung der Patientin fand zu einem großem Teil im Dentallabor statt. Der Zahntechniker besprach mit der Patientin Anforderungen Wünsche und erklärte die empfohlene Versorgung an Beispielarbeiten und Bildern. Eine solche persönliche Beratung kostet Zeit, bildet dann aber die Basis für eine vertrauensvolle, reibungslose Zusammenarbeit und Patientencompliance.
Die Situation genau erfassen
Basis einer funktionell passgenauen Prothese ist die exakte Analyse der Ausgangssituation. Dabei ist gerade in der Implantatprothetik die Gesichtsbogenübertragung (Abb. 4) unverzichtbar. Sie gewährleistet das korrekte Einstellen der Artikulatorachsen und der am Patienten registrierten Gelenkbahnneigungen. Die Kieferkämme waren im vorliegenden Fall so stark atrophiert (Abb. 3), dass die alte Prothese mehrfach unterfüttert, Ventilränder, eine geeignete vertikale Relation sowie die Kauebene neu bestimmt und erarbeitet wurden. Die sorgfältige Bissnahme (Abb. 5), insbesondere die korrekte Bisshöhe, liefert dem Zahntechniker wichtige Informationen über die orale Situation. Die Flächen von Ober- und Unterkieferschablone müssen dabei glatt übereinander reiben. Der Oberkieferwall verläuft entsprechend der Unterlippe. Des Weiteren werden die Mittellinie in ihrer Verlaufsstruktur von Nasenstirnfortsatz zur Kinnspitze und Eckzahnlinien anhand der Nasenbreite übertragen.
Freiraum in der Zentrik lassen
Im Seitenzahnbereich setzte der Zahntechniker Pala Idealis Zähne von Heraeus Kulzer ein (Abb. 6). Der Idealis Zahn bot mit seinen anatomisch reduzierten Höckern gleich mehrere Vorteile für den vorliegenden Fall: Die flachere okklusale Morphologie ermöglicht Freiräume in der Bewegung und eine leicht zu findende Zentrik. Das ist gerade bei älteren Patienten wichtig, wenn die muskuläre Feinkoordination nachlässt. Die weniger massive Verschlüsselung hilft der Patientin, die lange totalprothetisch versorgt war, sich schneller an die implantatgestützte Versorgung zu gewöhnen. Mit nicht allzu tiefen Fissuren sind die Zähne leicht zu reinigen. Die breitere Zahnbasis des Idealis 8 deckt zudem die darunter liegende Stegkonstruktion gut ab. Für die Front wählten wir Pala Premium Zähne. Sie sind ebenfalls auf die Anforde- rungen der Implantatprothetik zugeschnitten und lassen sich dank identischer Herstellung und Farbtreue optimal mit Idealis Zähnen kombinieren.
Grundaufstellung: Funktion und Komfort
Die Grundaufstellung (Abb. 7) erfolgte als balancierte Aufstellung mit bukkaler Reinführung. Die Balance in den Kaubewegungen stellt sicher, dass die Prothese nicht einseitig belastet wird und es zu keiner Kippbelastung kommt. Das Diskludieren erfolgt durch die bekannte dominante Eckzahnführung.
Für eine funktionell unterstützende Zahnfleischgestaltung spritzte der Zahntechniker die Grundaufstellung zwischen Wange und Aufstellung mit Leitbody auf. Dann ließ er die Patientin Sprechübungen machen (Abb. 8): Selbstlaute, breites Grinsen und Lachen – hier hilft ein Witz oder die augenzwinkernde Androhung, zu kitzeln. Wo noch Platz für Kunststoff war, blieb der Leitbody an der Grundaufstellung hängen. Hier wurde die Zahnfleischgestaltung entsprechend aufgefüllt. Das vestibuläre Ausspritzen erhöht den Tragekomfort der fertigen Prothese und stärkt die Wangenmuskulatur.
Zudem verbessert es die Hygienefähigkeit der Prothese: Zahnstein entsteht, wo Speichel und Speisereste sich halten – besonders hinten im Kiefer, wo die Atrophie am stärksten ist. Das größte Kompliment eines Patienten: „Vorher dachte ich, das sieht aber riesig aus. Jetzt habe ich das Gefühl, ich habe gar keinen Zahnersatz im Mund.“
Sekundärkonstruktion: Stabil und erweiterbar
Die Stegkonstruktion gibt der Prothese über die primäre Verblockung der Pfeiler eine hohe Stabilität und eine gute Schubverteilung. Die Stege wurden im CAD/CAM-Verfahren aus Kobaltchrom gefertigt (Abb. 11 und 12). Die Einprobe der Stegkonstruktion (Abb. 13) erfolgt in einer Sitzung mit der Einprobe der Grundaufstellung.
Damit die Versorgung bei abnehmender motorischer Fähigkeit auch in 15 bis 20 Jahren noch leicht handhabbar ist, wurde bereits ein PRECI-Anteil in der Stegkonstruktion angelegt. Der Zahntechniker muss die PRECI-Elemente später nur in die Arbeit reinklicken. Die weichen Halteelemente dienen dann als zusätzliche Resilienzhilfe, um den Doldersteg zu schonen oder diesen etwas deaktivieren zu können, ohne Tragekomfort zu verlieren. So lässt sich die Prothese für Patientin oder Pflegepersonal einfach herausnehmen und einsetzen.
Fertigstellung: Zahnfleisch individuell gestalten
Für die Prothesenbasis gilt wie für die Zähne: Die Farbe muss zum Patienten passen, damit die Prothese natürlich wirkt. Daher machte der Zahntechniker auch für das Zahnfleisch eine Farbbestimmung. Für die Individualisierung der Prothesenbasis verwendete er die Pala creactive Massen von Heraeus Kulzer (Abb. 17). Die formbaren Massen ermöglichen eine individuelle Charakterisierung, in Nuancen von transparent bis zu intensiven dunkelroten Effekten. Dabei ist darauf zu achten, dass die Prothese nicht zu rot wird.
In diesem Fall hat der Techniker zum Beispiel zwischen den Wurzeln auch mit Braun- und Violett-Tönen gearbeitet. Außerhalb des Mundes wirkt die Prothese dadurch bunter, im Mund wirkt sie umso natürlicher. So natürlich, dass ein Patient bei seinem neuen Zahnersatz im Mund erst einmal getastet hat, wo die Prothese aufhört und sein eigenes Zahnfleisch anfängt.
Hochwertiges Ergebnis, zufriedene Patientin
Die fertigen Prothesen wurden sorgfältig verpackt an die Praxis geliefert. Der hochwertige Koffer signalisierte der Patientin bei der Einprobe die Wertigkeit ihres neuen Zahnersatzes. Die Patientin fühlte sich mit den neuen Prothesen direkt wohl (Abb. 19 bis 22). An den Komfort und den festen Sitz beim Sprechen und Essen gewöhnte sie sich schnell. Heute beißt sie wieder mit Genuss in ihre heiß geliebten Rippchen. Das Ergebnis ist das Resultat der engen Abstimmung zwischen Zahnarzt und Zahntechniker und einer vertrauensvollen Beziehung der Patientin zum Behandlungsteam (Abb. 23). Gerade in der Implantatprothetik muss der Patient während der Behandlung stark mitziehen und ist zeitlich wie körperlich immer wieder gefordert. Die persönliche Beratung durch den Zahntechniker spielte in diesem Fall eine Schlüsselrolle. Sie gab der Patientin den nötigen Raum, sich ihrer Entscheidung für diese hochwertige Versorgung zu vergewissern.