Kieferorthopädie 28.02.2011

Selbstligierende Lingualsysteme – ein Fallbericht



Selbstligierende Lingualsysteme – ein Fallbericht

Linguale Bracketsysteme müssen neben ästhetischen Aspekten vor allem durch eine effektive Wirkungsweise sowie leichtes Handling überzeugen. Inwieweit diese Voraussetzungen beim In-Ovation® L-System gegeben sind, demonstrieren die Dres. Constanze Stubbe und Heiko Goldbecher in folgendem Beitrag.

Immer mehr Patienten wünschen sich eine „unsichtbare“ kieferorthopädische Behandlung. Um diesem Wunsch zu entsprechen, werden heutzutage viele Behandlungsmöglichkeiten angeboten. So erfüllen diverse Alignersysteme, zahnfarbene vestibuläre Multibracketapparaturen und natürlich auch Lingualbrackets den Wunsch nach einer schnellen sowie ästhe­tischen Korrektur von Zahnfehlstellungen.


Jedoch sollten ästhetische Bracketsysteme nicht nur den Patienten, sondern vor allem auch dessen Anwender, den Kieferorthopäden, überzeugen. Insbesondere Apparatureigenschaften sowie Wirkungsweise stehen hierbei im Mittelpunkt und mit ihnen wichtige Faktoren wie Torque- und Rotationskontrolle von Zahnbewegungen, aber auch die leichte Handhabbarkeit.

Im vorliegenden Artikel möchten wir auf das selbstligieren-de In-Ovation® L-System* genauer eingehen. Die konfek­tionierten Twinbrackets dieses Systems verfügen über einen 0,0180er Slot. Die Basis mit ihrer Netzstruktur bietet eine gute Retention an der Zahnoberfläche und wird vom Hersteller in zwei unterschiedlichen Größen zur Verfügung gestellt.

Wir haben in unserer Praxis mit verschiedenen Lingualsystemen gearbeitet und sind vor allem von der einfachen und schnellen Handhabung dieses Bracktesystems überzeugt. Im Gegensatz zu Alignerschienen hat der Patient nun nicht mehr die Möglichkeit, die Tragedauer der Ap­paratur zu beeinflussen. Rotationen, Veränderungen der Bisslage, ja selbst schwierigere Korrekturen lassen sich mit In-Ovation® L gut durchführen. Wie auch bei vestibulären Systemen können an den Flügeln problemlos Gummiketten, Gummifäden oder Kobayashi-Ligaturen zusätzlich befestigt werden.

Aufgrund des Speichelumflusses ist die Mundhygiene bei lingual geklebten Brackets erfahrungsgemäß besser. So konnten auch in unserer Praxis keine vermehrte Zahnsteinbildung – insbesondere an den unteren Frontzähnen – beobachtet werden, was eine gute Voraussetzung für das dauerhafte Funktionieren des Schließmechanismus der Kläppchen (Clips) darstellt.

Die Positionierung der Brackets ist sowohl direkt als auch indirekt möglich. Da die Sicht am Patienten lingual jedoch eher eingeschränkt ist, bevorzugen wir die indirekte Technik mittels Übertragungsschienen. Hierzu positionieren wir die Brackets mittels lichthärtendem Kunststoff auf das Gipsmodell und können so bis zum Aushärten des Bracketadhäsivs die gewünschte Position exakt bestimmen und beliebig korrigieren. Im Labor werden dann Silikonschlüssel und Tiefziehschienen hergestellt.

Durch die Nutzung von Übertragungstrays zum Setzen der Brackets im Mund verkürzt sich die Dauer des Behandlungstermins für Patient und Kieferorthopäden um ca. zwei Drittel. Nicht nur bei erwachsenen Patienten stößt diese Art des Bracketklebens auf positive Resonanz. Die Tiefziehschienen werden mittels eines chemisch härten­den 2-Phasen-Bracketadhäsivs im Mund eingesetzt und nach einer Aushärtungszeit von drei Minuten wieder vorsichtig entfernt. Der indivi­dualisierte Bogen kann nach Beseitigung der Wachsabdeckung und etwaig verbliebener Silikonreste in den Bracketslot eingesetzt werden. Durch den indirekten Klebevorgang wird die Bracketbasis individualisiert und der Zahnoberfläche direkt angepasst.

Dieser Arbeitsschritt ist ohne den Einsatz eines zahntech­nischen Labors möglich. Der Behandler bestimmt selbst die Schichtdicke der Kunststoffbasis und die Position der Brackets auf dem Modell. Auf diese Weise ist es möglich, die unterschiedlichsten Neigungen der Lingualflächen und vestibulär-lingualen Dickenunterschiede der einzelnen Zähne – insbesondere an den Frontzähnen – von vornhe­rein auszugleichen. Zusätzliche Biegungen I. und III. Ordnung, die sonst eventuell notwendig würden, sind somit vermeidbar.

Bei anderen Systemen hingegen erfolgt die Planung und Herstellung des gesamten Brackets inklusive der individualisierten Bracketbasis im Labor. Das bedeutet ein Verschieben von Wertschöpfung aus der kieferorthopädischen Praxis hin zum zahntechnischen Labor. Für linguale Bracketsysteme werden diverse vorkonfek­tionierte Bögen angeboten. Allerdings müssen auch diese Bögen individuell angepasst werden. Das Eingliedern des Bogens erfordert eine gewisse Übung des Behandlers, da die Sicht erschwert ist. Eine gute Lagerung des Patienten ist dabei unerlässlich, auch wird ihm manchmal etwas Geduld abverlangt.

Die Akzeptanz des Patienten gegenüber der Lingualapparatur ist sehr gut, da störende Bereiche mit Kunststoff ab­gedeckt werden können. Die Sprache ist meist nur anfangs mehr oder minder beeinträchtigt. Bereits nach wenigen Wochen ist eine Veränderung der Zahnstellung zu erkennen. Da nicht nur runde Bögen verwendet werden können, sind auch Bewegungen III. Ordnung möglich. Ein Wurzeltorque und eine damit verbundene achsengerechte Einstellung der Zähne setzen allerdings einen slotfüllenden Bogen voraus.

Insgesamt lässt sich feststellen, dass die linguale Behandlungsweise in unserer Praxis vor allem bei Erwachsenen immer beliebter wird. Die Unsichtbarkeit der Appa­ratur, der Tragekomfort nach nur kurzer Eingewöhnungszeit und nicht zuletzt ein schnell sichtbarer Behandlungserfolg locken immer mehr Patienten in die kiefer­orthopädische Praxis.

Mit dem In-Ovation® L-System steht dem Kieferorthopäden ein einfach zu bedienendes, komfortables Behandlungsmittel zur Verfügung, welches auch für Neueinsteiger eine gute Möglichkeit bietet, mit der lingualen Behandlungsweise auf unkomplizierte Art vertraut zu werden.

Vorteile:

• nach kurzer „learning curve“ zügiges Ein- und Ausligieren der Bögen
• zungenfreundliches Design für gute Selbstreinigung der Zähne
• sehr flache Brackets mit trotzdem guten Unterschnit­ten für Elastikketten
• sehr gute Rotationsübertragung durch großen mesiodistalen Flügelabstand und aktiven Verschlussclip
• durch Twin-Design gute Torqueübertragung

Nachteile:

• bei Zapfenzähnen, starken Verschachtelungen und Rotationen um mehr als 45° erst als zweites Bracket verwendbar
• geöffnete Verschlüsse müssen vor Erstellung des Silikonschlüssels mit Wachs ab­gedeckt werden
• hoher Preis

Fallbeispiel (Patientin, 27 Jahre)

Befund
• frontaler Engstand mit Un­ter­entwicklung des Zwischenkiefers
• sagittale Schneidekantenstufe 7 mm bei Rücklage des UK um drei Viertel PB mit Zwangsbiss durch Retrusion von 12 und 22
• 17 und 27 mit ausgedehnter Karies
• 18 und 28 im Durchbruch
• buccal corridors durch einen Schmalkiefer

Therapieziel
• Extraktion 17 und 27 mit anschließendem Lückenschluss
• Aufrichtung der Prämolaren und Nachentwicklung der Zahnbögen
• Auflösen des Engstandes in der Front
• dentale Kompensation der Rücklage

Therapie
• April 2008: Beginn der Therapie nach Extraktion von 17 und 27 mit Insertion der Brackets
• Oktober 2008: Befestigen
von Mini-Mold-Button auf 13, 23, 36 und 46 zum Spannen von Klasse II-Gummizügen
• Januar 2009: Kontrolle der Achsenstellung der UK-Front im DVT
• Mai 2009: Entfernung der Multibracketapparatur und Insertion eines Kleberetainers im UK (3-3) und einer 0.8mm-Miniplastschiene im OK, zusätzlich für die Nacht ein klassischer offener Aktivator.

* (Anm. d. Red.) DENTSPLY GAC Deutschland, Gräfelfing, www.gac-ortho.de

Autoren: Dr. Heiko Goldbecher und Dr. Constanze Stubbe

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