Prophylaxe 28.02.2011
Die Rolle der Antibiose in der Parodontaltherapie
Moderner Parodontaltherapie sollte gezielte und systematische Prophylaxe vorangegangen sein. Die heute gültigen Verträge haben berücksichtigt, dass chirurgische Eingriffe in den allermeisten Fällen erst als Sekundärbehandlung nötig und sinnvoll sind. Deshalb ist ein Zeitraum von drei Monaten nach erfolgter geschlossener Behandlung sinnvoll, um im Zuge der Nachbehandlung eine sogenannte Therapieergänzung zu beantragen.
Eine Möglichkeit zur Therapieergänzung kann eine offene Kürettage oder eine adäquate alternative Behandlung sein. Es könnten aber auch Maßnahmen sein, die eine komplizierte und aufwendige Behandlung wie Augmentate, Transplantate oder andere regenerative bzw. restaurative Verfahren erfordern. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass solche ausgedehnten, komplizierten und kostenträchtigen Behandlungen nicht mehr unter die Therapieergänzung fallen können.
Wie eine Primärbehandlung aussehen kann, will ich an einem Beispiel aufzeigen. Die Eingangsuntersuchung kann uns wichtige Hinweise zu einer umfangreicheren Diagnostik aufzeigen. Wie vereinbart, ist die Behandlung nach den Krankenkassenverträgen erst ab einer Taschentiefe von > 3,5mm berechnungsfähig. Dabei bleibt allerdings unberücksichtigt, ob echte oder sogenannte Pseudotaschen gemessen werden. Auch bei der den Kassenverträgen entsprechenden Diagnostik bleibt im Dunkeln, welche Keime die Taschen besiedeln und welche Therapiemaßnahmen daraus resultieren. Sollten Pseudotaschen vorhanden sein, so ist es sehr wahrscheinlich, dass ihre Tiefe mit der gesteigerten Intensität von häuslicher und professioneller Pflege abnimmt. In meiner Praxis werden demzufolge mehr Sitzungen für die PZR nötig als für die Parodontalbehandlung. Möglicherweise gehen dann auch die Taschentiefen unter die 3,5 mm zurück.
Für mich als Gutachter ist ein geschwollenes Zahnfleisch nicht das Kriterium für eine sofortige Parodontalbehandlung. Es bleibt abzuwarten, wie die PZR den Zustand zum Besseren verändert, eventuell sogar eine Parodontalbehandlung erst einmal unnötig wird. Dennoch ist es von Interesse, eine Analyse der sogenannten Markerkeime durchzuführen. Dazu werden die Taschen mit sterilen Papierspitzen sondiert. Es ist empfehlenswert, die marginalen Regionen der zu messenden Zähne zu reinigen, bevor die Papierspitzen eingeführt werden.
Die Systematik der Sondierung sollte anhand eines OPMG durchgeführt werden. Das OPMG kann uns die tiefsten Taschen zeigen, wobei zu beachten ist, dass die Vergrößerung 1 : 1,3 beträgt. Bei einem voll bezahnten Gebiss sollte man aus den tiefsten Taschen eines jeden Quadranten eine Probe entnehmen,die man zu einem Pool zusammenführt (demzufolge meistens vier Proben). Nur in Ausnahmefällen ist es nötig, eine teure Einzeluntersuchung durchzuführen. Das Labor braucht dann sechs bis acht Tage, um die Analyse durchzuführen. Man bekommt dann z.B. folgenden Befund:
Befund der durchgeführten Laboranalyse:
– A. actinomycetemcom. +++
– P. gingivalis +++
– P. intermedia neg.
– B. forsythus ++
– T. denticola ++
– Material Poolprobe
Dabei bedeutet
neg. Keime nicht nachgewiesen
+ 1.000–10.000 Keime (leicht erhöhte Keimzahl)
++ ca.100.000 (erhöhte Keimzahl)
+++ mehr als 1 Mio.Keime (stark erhöhte Keimzahl)
Wir haben dann erst eine relativ sichere Möglichkeit, eine gezielte systemische Antibiose durchzuführen. Dabei sollte berücksichtigtwerden, dass die Anaerobier mit Metronidazol oder Clindamycin anzugehen sind, während fakultative Aerobier/Anaerobier wie z.B. Actinomyces actinomycetemcomitans auf Metronidazol oder Clindamycin nicht ansprechen und bevorzugt mit Amoxicillin zu bekämpfen sind. Das bedeutet in diesem Falle, dass eine Antibiose nur sinnvoll ist, wenn sowohl Clindamycin oder Metronidazol als auch Amoxicillin angewendet wird. Die Empfehlung für die Dosierung ist demzufolge:
– 2x täglich 500mg Amoxicillin
– 2x täglich 600mg Clindamycin
über den Zeitraum von acht Tagen. Diese Dosierung beschreibt einen modifizierten Winkelhoff-Cocktail.
Die alleinige Gabe von Antibiotika führt nicht zum Therapieerfolg. Jedoch ist die Kombination von instrumentellem Debridement und gezielter Antibiose ein möglicher Weg, die Primärbehandlung im Sinne eines geschlossenen Vorgehens erfolgreich zu gestalten. In der Tabelle sind die Empfindlichkeiten der sogenannten Markerkeime auf die Antibiotika aufgeführt. Es ist demnach unsinnig, Amoxicillin zu verabreichen, wenn A.actinomycetemcom. nicht nachzuweisen war. Dem Patienten sollte auch klargemacht worden sein, dass er schließlich keine Drops verabreicht bekommt, sondern eben hochwirksame Medikamente mit den entsprechenden potenziellen Nebenwirkungen. Bei aller gebotenen Vorsicht, eine Antibiose zu empfehlen, ist die gezielte Anwendung das Mittel der Wahl, einem schwer belasteten parodontalen Gewebe die nötige Entlastung zu vermitteln, bis sich die körpereigene Abwehr wirksam zeigt und sich selber helfen kann. Denn eines muss klar sein: Parodontitis ist die adäquate Reaktion des Organismus, einen bakteriell bedingten Entzündungsherd zu beseitigen. Die Möglichkeit der Umkehr ist gegeben, wenn wir gezielt und damit effizient therapieren; denn nur ein zahnloser Mensch ist garantiert parodontitisfrei!
Autor: Dr. Wolfgang Babin/Berlin