Zahntechnik 11.10.2011

Ein Zahn für alle Fälle



Ein Zahn für alle Fälle

Die Herstellung einer funktionellen und ansprechenden herausnehmbaren prothetischen Versorgung stellt umfangreiche Herausforderungen an den Behandler und Zahntechniker. Dabei ist die Totalprothetik leider dadurch gekennzeichnet, dass eine geringe Honorierung und der daraus resultierende limitierte Zeitaufwand für die Anfertigung einer Prothese in vielen Fällen zu einer eingeschränkt oder nicht funktionierenden prothetischen Versorgung führen. Dabei wäre es für Prothesenträger, die üblicherweise einer eher fortgeschrittenen Altersstufe angehören und denen die Nahrungsaufnahme als eines der höchsten Vergnügen geblieben ist, besonders wichtig, die Kaufunktion wieder herzustellen. Verschiedene Studien bestätigen, dass Kauprobleme einer der häufigsten Gründe für eine schlechte Ernährungssituation bei Seniorinnen und Senioren sind. Zur IDS 2011 stellte die Firma SHOFU die neue halbanatomische Zahnline Veracia SA und die patentierte Aufstellhilfe Q3-Pack vor, welche die Aufstellzeit für eine Vollprothese mit immer gleichbleibend perfekter Funktion und Anwendersicherheit erheblich reduzieren soll. Eine solche Weiterentwicklung würde für uns Zahntechniker – und damit verbunden auch für den Behandler – viele Hürden nehmen, die oft einer funktionierenden prothetischen Versorgung im Wege stehen.

Durch diese Aussage des Herstellers neugierig geworden, haben wir uns entschlossen, diese Zahnlinie näher in Augenschein zu nehmen und zu prüfen, ob dieses System praxistauglich ist. Die Veracia SA Front- und Seitenzähne sind aus der Vorlage der vollanatomischen Veracia Zahnlinie entstanden. Hier wurden nicht – wie in vielen Fällen in der Vergangenheit geschehen – völlig neue Zähne mit halbanatomischen Elementen gefertigt, sondern die funktionellen Charakteristika der Veracia Seitenzähne belassen und an exakt vorbestimmten Sektoren mit Abrasionsbereichen versehen. Anstatt die Zähne einfach mit blanken und glatten Abrasionsfacetten zu ergänzen, wurden die Okklusionsareale gezielt in funktioneller Bewegungsrichtung des Unterkiefers um konkave Freiräume erweitert. Das ermöglicht insbesondere bei der balancierten Okklusion zusätzlich eine ideale Ausgangssituation, da nach der Aufstellung an den semianatomischen Veracia SA Seitenzähnen im Artikulator so gut wie keine Einschleifkorrekturen vorgenommen werden müssen. Darüber hinaus erleichtern diese Freiräume den Patienten das Einfädeln in die statische Okklusion.

Weiterhin zeichnen sich die Veracia SA Zähne dadurch aus, dass sie systemübergreifend aufgestellt werden können. Durch einen klaren okklusalen Aufbau lassen sich die Seitenzähne auch ohne ausgefeilte anatomische Vorkenntnisse gegenseitig leicht und richtig eindeutig zuordnen, was zu einem zeitsparenden Aspekt der Laborarbeit und zu einer Steigerung der Wirtschaftlichkeit ohne Qualitätseinbußen führt. Durch die präabrasive Ausformung sind diese Zähne auch prädestiniert für die partielle und unimaxiläre Prothetik mit natürlichem antagonistischen Restgebiss sowie ihren Einsatz in der Hybrid- und Implantatprothetik. Durch die effektive reproduzierbare zentrale Okklusion, die gezielt eingearbeiteten Freiräume sowie aufgrund des abrasionsarmen Kompositwerkstoffes können totale Prothesen im Prothesenlagerbewegungsarm auch langfristig stabilisiert werden.

Bei der Schließbewegung des Unterkiefers in den okklusalen Nahkontakt hinein sowie bei den regulatorischen Kontrollbewegungen bietet die Okklusion zusätzlich genügend Freiraum, um die Prothesen unverrückbar im Prothesenlager zu stabilisieren. Dadurch kann die Atrophie der erhaltungsnotwendigen Kieferkämme aufgrund parafunktioneller lateraler Schubkräfte verzögert werden.

Falldokumentation

Bei der Patientin handelt es sich um eine 86-jährige Frau: Kassenpatientin mit Totalprothesen im Oberkiefer und Unterkiefer. Im Laufe der Jahre notwendig gewordene Unterfütterungen, Erweiterungen und mehrfache Prothesenbrüche sowie die starke Abnutzung der Seitenzähne machten eine Neuanfertigung der Prothesen notwendig. Für die Neuanfertigung wählten wir die Veracia SA Zähne mit der Q3-Pack Aufstellhilfe. Die Modelle wurden mit dem HIP-Mount nach Schöttl einartikuliert (Abb. 1).

Bei dieser Methode wird das Oberkiefermodell über die Papilla inzisiva und die Hamoli (auch Rachenbläserfalte genannt) in die Campersche Ebene gebracht und diese mit der Tischebene parallelisiert (Abb. 2). Der Unterkiefer wurde mit der verschlüsselten Registrierschablone mittelwertig einartikuliert (Abb. 3–5). Im nächsten Schritt wurden die Kieferkammmitte eingezeichnet und die Modelle analysiert (Abb. 6–8). Hierbei ergab sich, dass die Seitenzähne aus statischen Gründen im Kreuzbiss aufgestellt werden müssen. Zunächst wurden die Frontzähne im Oberkiefer und Unterkiefer nach ästhetischen Gesichtspunkten aufgestellt (Abb. 9–11) und mittels der Modellanalyse kontrolliert (Abb. 12). In unserem Fall wünschte die Patientin eine idealisierte, gleichmäßige Aufstellung, welche sich mit Veracia SA selbstverständlich problemlos realisieren ließ (Abb. 13). Nach Aufstellung der Frontzähne erfolgte nun die Aufstellung der Seitenzähne mit dem Q3-Pack. Neu und äußerst angenehm ist hierbei, dass die Zahngarnitur wachsfrei in einer Aufstellhilfe erhältlich ist (Abb. 14–15). Durch zwei einfache Handgriffe lässt sich die Zahngarnitur teilen und die Seitenzähne mit der Aufstellhilfe auf Kieferkammmitte ausrichten. Hierbei wird der 4er mit dem kleinen Fenster in der Aufstellhilfe mit der distalen Facette des Eckzahnes in Verbindung gebracht (Abb. 16). Im folgenden Schritt wurde die Aufstellung in der Sagittalen auf Kieferkammmitte ausgerichtet und in Wachs leicht fixiert. Hier sind ein Gummiband und die Markierung auf der Q3-Pack Aufstellhilfe sehr hilfreich (Abb. 17–18).

Die okklusal angebrachten Flügel der Aufstellhilfe ermöglichen eine optimale Kontrolle der okklusalen Ausrichtung in der Transversalen (Abb. 19–21). Nun wurden die Zähne durch Anschwemmen von heißem Wachs auf der Basis fixiert (Abb. 22). Nach Abkühlen des heißen Wachses wurde, durch beherzten Druck auf die Flügel der Q3-Pack Aufstellhilfe, diese von den Zähnen gelöst (Abb. 23). Nach Entfernen der Aufstellhilfe zeigte sich eine Aufstellung in korrekter Ausrichtung mit optimalen Kompensationskurven und Kontaktbeziehungen (Abb. 24–25). Auch ungeübte Zahntechniker erreichen nach Positionierung der Frontzähne problemlos dieses Ergebnis. Die Oberkieferseitenzähne wurden dann konventionell aufgestellt und mit den Unterkieferzähnen in Kontakt gebracht (Abb. 26– 27). Durch die Einbeziehung der natürlichen Abrasionsfacetten und die optimal aufeinander abgestimmten Okklusionsflächen stellt der Veracia SA sich fast selbst in perfekter Funktion auf (Abb. 28–29). Egal ob bilaterales oder lingualisiertes Konzept, oder, wie in unserem Fall, im Kreuzbiss aufgestellt, schafft der Veracia SA Effizienz und gleichbleibende Anwendersicherheit (Abb. 30). Das Anschwemmen erfolgte in der Fidibustechnik (Abb. 31); dazu wurde ein Wachsfidibus an der Spitze erwärmt,bis sich ein Tropfen bildete. Dieser wurde zur Komplettierung der Wachsbasis aufgetragen und dieser Schritt dann in zügiger Arbeitsabfolge mehrfach wiederholt. Die Vestibulär- sowie die Bukkalflächen der Zähne wurden mit einem Modellierinstrument anatomisch ausmodelliert (Abb. 32–33). Mit einem Alkohol-Torch (Abb. 34) wurde die Oberfläche kurz angeschmolzen und mithilfe einer Zahnbürste (Abb. 35) mit einer Stippelung versehen, die der Oberfläche natürlicher Gingiva ähnlich sieht. Die dadurch angeraute Oberfläche wurde, wieder mit dem Alkohol-Torch, leicht geglättet und mit einem Schaumstoffpolierer (Abb. 36) auf Hochglanz gebracht (Abb. 37). Bei der Anprobe zeigte sich schon eine stabile Adaption im Prothesenlager. Regulatorische Kontrollbewegungen sowie okklusale Statik waren ohne Beanstandung. Lediglich Zahn 13, bedingt durch die Lippendynamik der Patientin, wurde bei der Anprobe in der Länge korrigiert. Die Fertigstellung erfolgte in klassischer Gießtechnik (Abb. 38–39). Die neue prothetische Versorgung wurde von der Patientin gut angenommen. Sie fühlte sich, nach eigener Aussage, damit wohl und war von der Ästhetik und dem Tragekomfort sehr angetan (Abb. 40).

Fazit

Durch die Einbeziehung der „natürlichen Abnutzung“ und den damit verbundenen Stopps und Freiräumen bietet die neue halbanatomische Zahnlinie Veracia SA eine perfekte Symbiose von natürlicher Ästhetik und Funktion. Die Aufstellhilfe Q3-Pack verkürzt die Aufstellzeit erheblich und lässt sich bei einem Großteil prothetischer Arbeiten anwenden. Die aufgestellte Prothese ist lagestabilisiert mit allen erforderlichen Freiräumen für eine funktionelle und angenehm zu tragende Versorgung. Die neue prothetische Versorgung wurde für die Patientin schnell zu einem optisch ansprechenden und funktionierenden Wohlfühl-Zahnersatz.

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