Kieferorthopädie 06.03.2012
Aligner neuester Generation
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Im Rahmen des letztjährigen EOS-Kongresses in Istanbul wurde das vollständig digital hergestellte eCligner®-System* zur Behandlung kieferorthopädischer Zahnfehlstellungen präsentiert. Prof. Dr. TaeWeon Kim, Dr. Bruno Wilhelmy, Dr. Nils Stucki, Dr. Elif Gündüz und Dr. Helmut Gaugel stellen die Weiterentwicklung des bekannten Vorgängersystems Clear Aligner vor.
Seit sie existieren, standen zur Korrektur von Fehlbissen aller Art vornehmlich komplexe kieferorthopädische Apparaturen im Vordergrund. Bis heute assoziieren die meisten Menschen deshalb eine kieferorthopädische Behandlung mit einer metallisch glänzenden, festsitzenden Apparatur. Abnehmbare kieferorthopädische Geräte, speziell auch jene für erwachsene Patienten, werden jedoch schon viel länger verwendet als man denkt. Bereits Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die ersten transparenten kieferorthopädischen Kunststoffschienen entwickelt. Diese gerieten aber bald wieder in Vergessenheit und konnten sich vorerst nicht durchsetzen. Heute jedoch erobern sie sich sukzessive ihren Platz in der Kieferorthopädie, weil sie mittlerweile den hohen Ansprüchen gerecht werden – dies sowohl in ästhetischer Hinsicht als auch in Hinblick auf die tragespezifischen Anforderungen. Der Vorteil für die Patienten liegt dabei sicherlich in der Handhabung: Die Schienen erlauben den Patienten ein flexibles Tragen und können beispielsweise bei wichtigen Meetings herausgenommen werden. Die „Apparatefreiheit“ ist attraktiv und neu und findet daher bei vielen Patienten großen Anklang.
Transparente, herausnehmbare KFO-Apparatur
eCligner ist eine transparente, flexible, heraus- und abnehmbare kieferorthopädische Apparatur, welche mittels Tiefziehverfahren hergestellt wird. Sie besteht – ähnlich einer PET-Trinkflasche – aus PET-G, einem elastischen, klarsichtfolienartigen, nicht toxischen und biologisch verträglichen Material (Abb. 1 bis 3).
Clear Aligner und eCligner®
Die eigentliche Geburtsstunde des Clear Aligner als eigenständiges Behandlungskonzept lässt sich genau festlegen. Es war Ende 1998, als Prof. Dr. TaeWeon Kim erstmals seine Schienen zur Behandlung von Rezidivfällen einsetzte. In besagtem Jahr fand auch die erste vollständige Patientenbehandlung ausschließlich mit Behandlungsschienen statt. Seitdem fungiert Clear Aligner als Namensbestandteil mehrerer bekannter Systeme. Bei der Literaturdurchsicht zahnmedizinischer Publikationen finden sich viele Artikel, welche die Wirksamkeit solcher transparenter Apparaturen und wie sie herzustellen sind, bestätigen (McNamara, Ponitz etc.). Die Herstellung von Clear Aligner in der Praxis verlangt nach präzisen Simulationen der Zahnbewegungen. Diese beinhaltet sowohl die Ausgangslage, das gewünschte Endresultat sowie die Zwischenschritte. Das CAPRO-II-Programm (Fa. IV-Tech, Korea) ist eine Software, die aus der Überlagerung zweier Digitalaufnahmen auf dem Computerbildschirm die Bewegung jedes einzelnen Zahnes berechnet. Mithilfe eines Vakuumtiefziehgerätes werden die handgefertigten Clear Aligner aus 0,5mm, 0,625mm und 0,75mm starken Tiefziehfolien hergestellt. Zur Erreichung eines jeden einzelnen Zwischenschrittes sind drei Aligner vom Patienten in aufsteigender Folienstärke jeweils eine Woche zu tragen. Das CAPRO-II-Programm stellt eine Weiterentwicklung dar, welche mittels
einer Webkamera die Arbeit des Zahntechnikers im Labor erleichtert (Abb. 4, 5).
Dennoch hat die klinische Anwendung klar die Grenzen der handgefertigten Clear Aligner aufgezeigt. So hängt trotz CAPRO-II-Software die Qualität der Clear Aligner stark von der Erfahrung des Zahntechnikers ab. Durch zu stark wirkende Kräfte oder weil sich die Zähne nicht wie gewünscht bewegen ließen, traten in gewissen Behandlungsstadien Nebenwirkungen auf. Zur Lösung dieser Probleme wurde ein neues Programm entwickelt, die eCligner-Software. Diese berücksichtigt folgende Anforderungen (Abb. 6 bis 11):
• Basisprinzipien sind diesel-ben wie beim handgefertigten Aligner,
• verlangt genauste Berechnung des Behandlungsverlaufs in dreidimensionaler Darstellung (3-D-CAD/CAM-Verfahren),
• volle 3-D-Steuerung der Zahnbewegungen,
• 3-D-Diagnosedaten, welche den Behandlern zur Verfügung gestellt werden,
• berechnet das Behandlungsziel, die Behandlungsdauer und die Anzahl der Schienen sowie die durch die Behandlung verursachten Profiländerungen. (Durch Einbezug der Fotos und des Fernröntgens und seiner Auswertung im 3-D-Prozess werden nun auch durch die Behandlung entstehende Profiländerungen berechnet.)
• Behandlungsoptionen bei Verlust von Schienen, Behandlungsunterbrechungen und Rückfällen sowie
• webbasierte Anwendungen.
Die Wirkungsweise
Das eCligner-Softwaresystem berechnet die Aligner jedes einzelnen Behandlungsschrittes. Von jedem Behandlungsschritt wird ein dreidimensionales Acrylmodell ausgedruckt. Mit jedem Zwischenschrittmodell werden drei Aligner in verschiedenen Folienstärken hergestellt, welche je eine Woche getragen werden (fünf Zwischenschrittmodelle ergeben 15 Schienen für 15 Anwendungswochen). Der Patient trägt den eCligner täglich, und zwar durchschnittlich 17 Stunden. Heiße Getränke sollten beim Tragen der Aligner vermieden werden, da sie sich sonst verformen können. Auch durch das Genießen harter Speisen können die Aligner beeinträchtigt werden, da sie sich dann vorzeitig abnutzen könnten.
Das Einhalten der Tragedauer
ist die wichtigste Voraussetzung für die Erreichung des berechneten Behandlungszieles. Über den Behandlungsplaner wird der Behandlungserfolg gesteuert und überwacht. Er enthält das Zielresultat, die erwartete Behandlungsdauer, die Profilveränderungen und das Strippen der Zähne (falls erforderlich), wie auch deren Zeitpunkt im Verhältnis zu den Behandlungsstufen. Um in der Planungsphase Entscheidungen über Zahnextraktionen zu fällen, steht auch bei Grenzfällen ein Behandlungsplan mit Extraktionen bzw. alternativ ohne Extraktionen zur Verfügung. Die Schienen sind für die Patienten grundsätzlich angenehm zu tragen. Zudem sind die Aligner transparent und passen perfekt, ohne dabei Schmerzen zu verursachen. Die verschiedenen Folienstärken bewirken eine graduelle Zahnverschiebung von maximal 0,8mm (Abb. 12 bis 18).
Behandlung von Erwachsenen
Erwachsene benötigen eine Mindesttragezeit von 17 Stunden pro Tag. Die Reinigung erfolgt mithilfe der Zahnbürste. Heißes Wasser darf auf keinen Fall für die Schienenreinigung verwendet werden. eCligner-Aligner eignen sich für fast alle Behandlungsbereiche, u.a. Extrusions-, Intrusions-, Expansions-, Kontraktions,- Extraktions-, Nonextraktions-, Rotations- und Derotationsfälle. Die vom eCligner-Programm gelieferten 3-D-Simulationsbilder und -daten stellen die Basis zur Erreichung des Behandlungszieles dar (Abb. 19).
Behandlung bei Jugendlichen
Bereits bei Kindern im späten Wechselgebiss können die Aligner angewendet werden. In diesem Zusammenhang werden die Schienen zur Erhaltung von Zahnzwischenräumen, zur Platzge-winnung und für die Steuerung von Zahndurchbrüchen und Unterstützung des Wachstums verwendet. Anders als Erwachsene müssen Kinder diese nur acht bis zehn Stunden während der Nacht tragen. Das Tragen der Schienen beim Schlafen führt dazu, dass das tägliche Leben nicht beeinträchtigt wird (Abb. 20, 21).
Anwendungsbereiche
Die Aligner sind bei Eng- und Weitständen sowie für spezielle Anwendungen bei Implantaten und parodontalen Behandlungen geeignet. Das Alignersystem wirkt auch zur Retention des Behandlungsergebnisses nach kieferorthopädischer Behandlung und zur Vermeidung bzw. Kontrolle von Rückfällen. Im Folgenden seien einige Indikationen aufgeführt:
• Engstände (Abb. 22 bis 29)
• Weitstände (Abb. 30, 31)
• Überbisskorrektur (Abb. 32, 33)
• Schließung eines offenen Bisses (Abb. 34, 35)
• Eckzahneinreihung (Abb. 36, 37)
• Dehnung (Abb. 38, 39)
• Rezidivbehandlung (Abb. 40, 41)
• Lückenöffnung vor Implantatversorgung (Abb. 42, 43)
• Modifizierung des „Lachbildes“ (Abb. 44 bis 46)
• Bleaching gleichzeitig mit der eCligner-Behandlung (Abb. 47).
Behandlungsbeginn
Die Registrierung auf der eCligner-Website ist der erste Schritt des Behandlers. Anschließend erfolgen diese Arbeitsschritte:
1. Versenden der Silikonabformungen bzw. der Gipsmodelle zur eCligner-Agency. Die Modelle werden dort eingescannt.
2. Anschließend erfolgt das Hochladen der Patientenbilder auf der eCligner-Homepage.
3. Der Arzt erhält den Behandlungsvorschlag und bespricht diesen mit dem Patienten.
4. Wird dieser akzeptiert, erfolgt die Fallbestätigung online.
5. Nach ca. zwei bis drei Wochen werden die fertigen Korrek-turschienen an den Behand-ler mit den gedruckten Zwischenschrittmodellen versendet (Abb. 48 bis 50).
Patientenmanagement
Tragezeit
Der Behandlungsschritt gilt als vollendet, wenn sich der Aligner ohne Zwischenraum an die Zähne des Patienten schmiegt und dadurch – mangels Lufteinschlüsse – völlig transparent erscheint. Solange bei der Kontrolle die Schiene nicht völlig transparent erscheint, muss diese noch weiter getragen werden (Abb. 51, 52).
Problemlösung bei Schienenverlust, Behandlungsunterbrechungen und Rückfällen
Bei Behandlungsbeginn liefert eCligner alle Schienen inklusive der Zwischenmodelle aus Acryl auf einmal – sprich mit der gleichen Postsendung – in die kieferorthopädische Praxis. Jeder verlorene oder defekte Aligner kann somit auf dem entsprechenden Zwischenschrittmodell neu tiefgezogen werden.
Wenn der Patient die Therapie unterbrochen hat, sucht der Behandler das dem aktuellen Zahnstatus am besten entsprechende Zwischenmodell und fertigt davon ausgehend die notwendigen, fehlenden Schienen nach. Auf diese Weise kann die Behandlung jederzeit wieder aufgenommen werden. Dies stellt einen echten Vorteil im Vergleich zu anderen Systemen am Markt dar.
Bei erneuten Ausfällen kann der gleiche Prozess wiederholt werden. Es gilt, das diesem Rückfall ähnlichste Zwischenschrittmodell zu bestimmen. Die Folgeschienen werden erneut via Acrylmodelle tiefgezogen. In diesem Zusammenhang kann es auch sinnvoll sein, dem Patienten alle Zwischenschrittmodelle zu zeigen, um ihm den Behandlungsverlauf vor Beginn oder bei Wiederaufnahme aufzuzeigen (Abb. 53, 54).
Retention des Zahnbogens nach erfolgter Behandlung
Der eCligner®-Retainer erhält das erreichte Behandlungsziel. Im ersten Jahr nach der Behandlung muss der Patient den Retainer je-de Nacht tragen. Ab dem zweiten Jahr reichen drei Nächte pro Woche zur Vermeidung eines Rückfalls aus. Ab dem dritten Jahr muss er nur noch eine Nacht pro Woche getragen werden. Der Retainer wird bei der jährlichen Nachkontrolle – falls erforderlich – ausgewechselt (Abb. 55). (Originalartikel erschienen in KFO intern, 3–4/2011)