Oralchirurgie 22.06.2012
Laterale Sinusbodenaugmentation mit ultraschallgestützter Chirurgie
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Literaturübersicht und klinisches Fallbeispiel
Die Ultraschallaktivierung intraoral anwendbarer restaurativer und chirurgischer Instrumente sorgt mithilfe des sogenannten reziproken Piezoeffekts für präzise Schnittführung und minimale Belastung der benachbarten Weichgewebsstruktur. Auf der Basis der zur Verfügung stehenden Literatur gilt die laterale Sinusbodenelevation heute als wissenschaftlich fundierte Therapie. Dr. Sven Rinke gibt sowohl eine aktuelle Studien- und Literaturübersicht als auch Einblick in einen entsprechenden Patientenfall.
Vor mehr als zehn Jahren berichtete Vercelotti erstmals über die Ergebnisse einer klinischen Studie zur Nutzung eines ultraschallgestützten chirurgischen Verfahrens bei der lateralen Sinusbodenaugmentation. Da die Ultraschallaktivierung der chirurgischen Instrumente auf der Basis des Piezoeffektes erfolgte, wurde das Verfahren bei seiner Kommerzialisierung auch als „Piezosurgery“ bezeichnet. Der „Piezoeffekt“ wurde bereits um 1880 erstmals beschrieben, er bedeutet, dass man mittels mechanischen Druckes und einer Kräfteapplikation an der Oberfläche von bestimmten Festkörpern (z.B. Quarz, Turmalin, Seignettensalz und Bariumtitanat) eine messbare elektrische Ladung induzieren kann (Lambrecht 2004).
In der Folgezeit konnte der Umkehrschluss verifiziert werden, er wird als reziproker Piezoeffekt bezeichnet: Im elektrischen Feld ist die gezielte Verformung von piezoelektrischen Materialien möglich. In der Zahnmedizin wird der reziproke Piezoeffekt für die Ultraschallaktivierung von intraoral anwendbaren restaurativen und chirurgischen Instrumenten genutzt. Eine Besonderheit der ultraschallgestützten Chirurgie ist die selektive Schneidleistung der Instrumente, die zwischen Hart- und Weichgeweben unterscheidet. So können mit ultraschallgestützten Chirurgieinstrumenten Knochen bearbeitet werden, ohne dass die benachbarten Weichgewebsstrukturen bei Berührung in Mitleidenschaft gezogen werden. Außerdem wurde postuliert, dass die Anwendung atraumatischer und mit präziserer Schnittführung erfolgen könne, als bei konventionellen Verfahren mit rotierenden Instrumenten (Pavlikova et al. 2011).
Aufgrund dieser potenziellen Vorteile wurden ultraschallgestützte Chirurgieinstrumente für zahlreiche Indikationen in der oralen Chirurgie eingesetzt, von der Osteotomie verlagerter Zähne und der Gewinnung von autogenen Knochentransplantaten und der Alveolarkammspaltung bis hin zum Einsatz bei der Sinusbodenaugmentation. Ebenso wurden Anwendungsmöglichkeiten in der endodontischen Chirurgie und Parodontologie beschrieben (Schlee et al. 2006, Seshan et al. 2009). Auf der Basis der zur Verfügung stehenden Literatur gilt die laterale Sinusbodenelevation heute als wissenschaftlich fundierte Therapie mit einer vorhersagbaren Überlebens- und Erfolgsrate. Pjetursson et al. (2008) ermittelten bei der Auswertung von 48 klinischen Studien mit mehr als 12.000 Implantaten die höchsten Überlebensraten (98,3% nach drei Jahren) bei der Verwendung von Implantaten mit einer rauen Oberfläche und einer Membranabdeckung des lateralen Fensters (Pjetursson et al. 2008).
Mit einer Inzidenz von 14–56% gehört eine Perforation oder Ruptur der Schneider’schen Membran zu den häufigsten Komplikationen (Wallace 2007). Insbesondere beim Vorliegen von Underwood’schen Septen ist mit einem erhöhten Risiko einer Membranperforation zu rechnen. Klinische Studien zeigten, dass in 22–48% der Fälle Septen in der Kieferhöhle vorgefunden wurden und damit den Prozess der Membranelevation erschwerten (Shibli et al. 2007, Zijderveld et al. 2008). Der Einsatz der ultraschallgestützten Chirurgie erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der durch die selektive Schneidleistung möglichen Schonung der Weichgewebe interessant, die eine Verringerung der Komplikationsrate erwarten lässt (Schlee et al. 2006, Seshan et al. 2009, Pavilikova et al. 2011).
Literaturübersicht zu den Studien
Nach einer mehr als 10-jährigen klinischen Anwendung existieren mittlerweile mehrere klinische Studien zur Anwendung der Piezochirurgie bei der Sinusbodenelevation im Vergleich zum konventionellen Vorgehen. Daher können auf der Basis der zur Verfügung stehenden Literatur heute detaillierte Aussagen zu den klinischen Vorteilen dieses Verfahrens bei der Sinusbodenelevation getroffen werden. Vercellotti (2001) berichtet über die Ergebnisse von 21 Sinusbodenelevationen mit Anwendung eines ultraschallgestützten Chirurgieverfahrens bei 15 Patienten. Lediglich in einem Fall wurde eine Perforation der Schneider’schen Membran festgestellt. Dies entspricht einer Perforationsrate von 5%. Die geringere Perforationsrate wurde auch in einer nachfolgenden praxisbasierten Studie (Siervo et al. 2004) bestätigt.
In einer späteren Studie wurden die Ergebnisse einer Fallserie mit 100 lateralen Sinusbodenelevationen ausgewertet, bei denen die laterale Osteotomie entweder mit rotierenden Instrumenten oder mit ultraschallgestützter Chirurgie durchgeführt wurde. Bei Anwendung der rotierenden Instrumente traten in 30% der Fälle Perforationen der Membran auf, während die Perforationsrate bei Anwendung der ultraschallgestützten Chirurgie nur 7% betrug. Sämtliche Perforationen in der Gruppe mit ultraschallgestützter Osteotomie traten in der Phase der Membranelevation mit Handinstrumenten auf (Wallace et al.2007). Die geringe Perforationsrate ist in Übereinstimmung mit einer den Ergebnissen einer retrospektiven Studie mit 127 Patienten (Sohn et al. 2010). Bei der Durchführung der Sinusbodenelevation mit lateralem Zugang kam es bei Anwendung eines ultraschallgestützten Chirurgieverfahrens in 5,5% der Fälle zu einer Membranperforation.
In einer weiteren retrospektiven Studie werden die Ergebnisse von 65 Sinusbodenelevationen bei 50 Patienten ausgewertet, die in zwei privaten Praxen behandelt wurden. Alle Operationen wurden mit einem ultraschallgestützten Chirurgieverfahren durchgeführt, wobei es bei der Präparation des lateralen Knochenfensters in keinem Fall zu einer Membranperforation kam, während es zu zwei Perforationen bei der manuellen Elevation der Schneider‘schen Membran unter Anwendung von Handinstrumenten kam. In beiden Fällen lagen Underwood‘sche Septen vor. Interessanterweise berichten die Autoren über eine hohe Prävalenz von intraossalen Blutgefäßen in der lateralen Kieferhöhlenwand, wobei durch die Anwendung der Ultraschallchirurgie eine Präparation ohne Verletzung der Blutgefäße möglich war. Dies ist als weiterer Vorteil dieses Verfahrens zu werten, da es bei der Verletzung von arteriellen Gefäßen in der lateralen Kieferhöhlenwand zu ausgeprägten Blutungen kommt, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung bei der Fortführung des Eingriffs führen und nicht einfach zu stillen sind.
Während die Mehrzahl der Studien eine geringe Rate an Membranperforationen bestätigt, zeigen zwei universitätsbasierte Studien gegenläufige Ergebnisse. Barone et al. (2008) behandelten 13 Patienten mit der Indikation zum beidseitigen Sinuslift in einem Split-Mouth-Design, das heißt, auf der einen Seite wurde der Sinuslift mit rotierenden Instrumenten durchgeführt, während für die andere Seite ein ultraschallgestütztes Chirurgieverfahren angewendet wurde. Sie konnten keine Unterschiede in der notwendigen Operationszeit oder der Membranperforationsrate ermitteln. Auch in einer weiteren universitätsbasierten Studie mit gleichem Design und der Behandlung von 36 Patienten zeigten sich keine Unterschiede zwischen beiden Verfahren in Bezug auf die Perforationsrate der Schneider’schen Membran und bei der Wundheilung (Rickert et al. 2011). Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass es keinen Unterschied in der klinischen Performance gibt. Bei der Bewertung dieser Studie ist jedoch zu berücksichtigen, dass sämtliche Behandlungen von erfahrenen und gut ausgebildeten Behandlern durchgeführt wurden.
Der Effekt der Erfahrung des Behandlers wird in einer weiteren kürzlich publizierten Studie bestätigt. Zehn Behandler mit unterschiedlichem Ausbildungs- und Erfahrungsgrad wurden in einer tierexperimentellen Studie in Bezug auf die auftretenden Komplikationen verglichen. Es zeigte sich, dass Membranperforationen signifikant häufiger bei unerfahrenen Behandlern auftraten. Das größte Risiko für eine Perforation bestand, wie auch schon in anderen Untersuchungen bestätigt, bei der manuellen Elevation der Schneider’schen Membran. Die überwiegende Anzahl der Studien zeigt bei Anwendung der ultraschallgestützten Chirurgie eine vergleichsweise geringe Membranperforationsrate von 4–11%. Insbesondere die universitätsbasierten Studien zeigen jedoch auch, dass mit steigendem Erfahrungsgrad des Behandlers der Effekt der angewendeten Chirurgietechnik nur noch gering ist. Insbesondere die Phase der manuellen Membranelevation erweist sich als Risikofaktor für das Auftreten einer Perforation, wobei Underwood’sche Septen diesen Vorgang erschweren.
Der präoperativen Diagnostik kommt daher zur Vermeidung intraoperativer Komplikationen eine hohe Bedeutung zu. Neue Instrumentendesigns für ultraschallgestützte Chirurgieverfahren ermöglichen heute zudem auch die Anwendung ultraschallaktivierter Instrumente für den Prozess der Membranelevation, was vor allem bei komplexen anatomischen Situationen zu einer Erleichterung des Elevationsprozesses – insbesondere für den chirurgisch weniger versierten Behandler – führen kann. Im Rahmen einer klinischen Falldarstellung sollen die Anwendungsmöglichkeiten eines marktetablierten ultraschallgestützten Chirurgiesystems (Piezon Master Surgery, EMS, Nyon, Schweiz) dargestellt werden, wobei insbesondere die Anwendung der speziellen Sinuslift-Instrumente berücksichtigt wird.
Der Fall
Ein 58-jähriger Patient stellte sich mit einem prothetisch nicht versorgten Lückengebiss und dem Wunsch nach einer festsitzenden prothetischen Versorgung im Oberkiefer vor. Der endodontisch versorgte Zahn 16 war nicht erhaltungswürdig (Abb. 1). Nach Entfernung des Zahnes 16 und entsprechender prothetischer Planung wurde die Indikation für eine implantatgestützte Einzelzahnversorgung mit lateraler Sinusbodenelevation im 1. Quadranten gestellt. Chirurgische Führungsschablonen wurden auf der Basis einer dreidimensionalen Röntgendiagnostik mittels DVT zwölf Wochen nach der Entfernung des Zahnes 16 gefertigt. Es zeigte sich eine Restknochenhöhe von 6mm (Abb. 2), sodass ein einzeitiges Vorgehen mit Augmentation und Implantation möglich war. Als operativer Zugang wurde ein trapezförmiger Mukoperiostlappen mit nach palatinal versetzter krestaler Inzision gewählt.
Die intrasulkuläre Schnittführung erfolgte mesial mit Einbeziehung der zwei benachbarten Zähne und einer mesialen Entlassung. Die distale Entlassung erfolgte posterior der endständigen Zähne. Nach der Darstellung des Operationsgebietes wurde mit der Präparation des lateralen Knochenfensters begonnen. Grundsätzlich ist es natürlich möglich, die gesamte Präparation mit ultraschallgestützten Instrumenten durchzuführen, wobei entweder kugelförmige Diamantinstrumente (SL2) oder sägeförmige Instrumente (SL1) genutzt werden können. Dieses Vorgehen erlaubt zwar maximale Sicherheit und Kontrolle beim Osteotomieprozess, ist jedoch deutlich zeitintensiver als ein Vorgehen mit rotierenden Instrumenten.
Sobald man sich durch den Knochenabtrag der Kieferhöhle nähert, erkennt man dies an einem gräulichen Durchschimmern der Schleimhaut. In dieser Phase empfiehlt es sich, auf die ultraschallgestützten Instrumente zu wechseln und den restlichen Knochenabtrag bis zur Schneider‘schen Membran mit diesen durchzuführen. Als Instrumente sind hierbei kugelförmige Instrumente geeignet. Beim Piezon Master Surgery-System muss für die Hartgewebsbearbeitung der Modus „Surgery“ gewählt werden. Leistung und Wasserkühlung können individuell eingestellt werden. Für die laterale Augmentation beim Sinuslift hat sich eine „Power-Einstellung“ von 60–70% bei 50% Wasserkühlung gut bewährt. In diesem Zusammenhang ist es essenziell, dass die Kühlflüssigkeit in jedem Fall ausreichend gekühlt sein sollte, also erst kurz vor dem Eingriff aus dem Kühlschrank genommen wird, um eine effiziente Kühlung zu gewährleisten.
Aufgrund der selektiven Schneideigenschaften der piezoelektrischen Instrumente können selbst komplexe Weichgewebsstrukturen ohne Verletzung freigelegt werden. Im vorliegenden Fall zeigte sich in der lateralen Wand der Kieferhöhle ein vergleichsweise großes arterielles Blutgefäß. Mithilfe des ultraschallaktivierten Diamantinstruments (Instrument SL2) konnte das Gefäß dargestellt werden (Abb. 4). Eine Durchtrennung des Gefäßes hätte zu einer relativ schwer zu stillenden Blutung geführt, die den weiteren Verlauf der Operation behindert hätte. Für die nachfolgende Mobilisation der Schneider’schen Membran werden spezielle Membranelevatoren verwendet.
Zur zerstörungsfreien Mobilisation wird das Piezon Master Surgery-System dann im Modus „Standard“ betrieben. Leistung und Kühlung sollte in dieser Phase auf ca. 50% eingestellt sein. Bereits in der initialen Phase der Membranelevation zeigte sich, dass das Blutgefäß ein vollständiges Lösen verhindert. Das Gefäß wurde daher an beiden Austrittspunkten aus dem Knochen mit einer resorbierbaren Naht umstochen und abgebunden. Dadurch konnte die nachfolgende Trennung des Gefäßes ohne weitere Blutung erfolgen und die weitere Elevation der Schneider’schen Membran war möglich. Für die weitere Mobilisation der Membran wurde dann ein löffelförmiger Elevator (Instrument SL 6, EMS, Nyon, Schweiz) verwendet, der einen weitestgehenden Verzicht auf Handinstrumente ermöglicht. Insbesondere beim Vorliegen von Underwood‘schen Septen hat es sich bewährt, die Elevation der Membran weitgehend ultraschallgestützt durchzuführen, da hierbei das Perforationsrisiko im Vergleich zur Anwendung von Handinstrumenten gesenkt werden kann.
Nach der ausreichenden Elevation der Membran erfolgte das Einfüllen des xenogenen Augmentationsmaterials (Bio-Oss, Geistlich, Wolhusen, Schweiz) mit einer Einmalspritze (Abb. 9). Die erste Portion des Augmentationsmaterials wurde an der medialen Wand des Sinus maxillaris platziert und nur leicht kondensiert, Danach erfolgte die Insertion von zwei Implantaten im Bereich des 2. Prämolaren und 1. Molaren (Ankylos C/X, DENTSPLY Friadent, Mannheim). Nach der kompletten Auffüllung des subantralen Hohlraums erfolgte die Abdeckung des Augmentationsbereiches mit einer resorbierbaren Kollagenmembran (Bio-Gide, Geistlich, Wolhusen, Schweiz) und ein speicheldichter Nahtverschluss. Die postoperative Kontrollaufnahme zeigte ein lagestabiles, kompaktes Augmentat und eine prothetisch korrekte Platzierung der Implantate (Abb. 10).
Zusammenfassung
Nach mehr als 10-jähriger klinischer Anwendung ist die Verwendung ultraschallgestützter Chirurgietechniken im Rahmen einer Sinusbodenelevation ein wissenschaftlich abgesichertes Verfahren, welches die Möglichkeit bietet, das Risiko intraoperativer Komplikationen bei der Präparation des lateralen Zugangs zu senken. Da die manuelle Präparation der Schneider’schen Membran einen weiteren Risikofaktor für das Auftreten von Perforationen darstellt, sollte durch den Einsatz modifizierter Membranelevatoren eine weitgehende Mobilisation der Membran mit ultraschallgestützten Instrumenten genutzt werden, um auch in diesem Bereich das Komplikationsrisiko zu senken.