Parodontologie 06.09.2012
Frühwarnsystem für zahngesunde Kinder und Jugendliche: Prophylaxe mit Konzept
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Werdende Eltern mit leuchtenden Augen in der Zahnarztpraxis, die sich früh auch um die zahngesunde Entwicklung ihres Kindes kümmern und informieren, wer kennt sie nicht? Über junge Eltern, die im Rahmen ihrer persönlichen Zahn- oder Prophylaxebehandlung ihre Kids mitbringen und an eine regelmäßige angstfreie Behandlungssituation heranführen, freut sich jede Zahnarztpraxis, die sich der Prophylaxe verschrieben hat.
Eine bewusst umgesetzte Mundhygiene im Alltag ist nicht der Regelfall, wie uns Bilder und Fälle von Nuckelflaschenkaries und Mundhygienedefiziten bei Kindern und Jugendlichen zeigen. Die Frage stellt sich, wie kann eine ambitionierte prophylaxeorientierte Zahnarztpraxis diesen negativen Erscheinungsformen begegnen? Die Antwort heißt „Prophylaxe mit Konzept“. Dass Prophylaxemaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen wirksam sind, wurde in Studien eindrucksvoll bewiesen. Seit den 70er-Jahren ist es durch Maßnahmen der Gruppenprophylaxe gelungen, die Kariesprävalenz um ca. 80% zu senken. Im Rahmen der Vierten Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS IV) wurde allerdings auch festgestellt, dass bei einer immer kleiner werdenden Gruppe von Kindern und Jugendlichen der Großteil (61,1%) der kariös erkrankten Zähne diagnostiziert wurde und dass in den ersten Lebensjahren die frühe Milchgebisskaries und auch noch immer die Nuckelflaschenkaries auftritt. Andere Erhebungen weisen darauf hin, dass zwei von drei Kindern die kostenlosen Früherkennungsuntersuchungen der gesetzlichen Krankenkassen vom 30. bis zum 72. Lebensmonat nicht in Anspruch nehmen (BARMER GEK Zahnreport 2012). Für die prophylaxeorientierte Zahnarztpraxis bedeutet dies, dass diese Patientengruppe trotz der bisherigen Erfolge auch weiterhin im Fokus gehalten werden muss, wenn sie denn erreicht werden kann. Die Zahnarztpraxis muss sich als wichtiger Teil eines Frühwarnsystems begreifen, in dem Kinder- und Hausärzte in ein professionelles Prophylaxekonzept eingebunden sind. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist auch bei dieser Patientengruppe erforderlich.
Ganzheitliche Prophylaxe mit modernen Ansätzen
Neben einer Prophylaxephilosophie, die von allen Mitarbeitern gelebt werden muss, gehören kompetente und geschulte Fachkräfte sowie eine entsprechende technische Ausstattung und zielgruppenorientierte Gestaltung der Praxis und der Behandlungsräume zu den Standardanforderungen. Ergänzend steht den Praxen eine ganze Reihe von unterstützenden Hilfsmitteln zur Verfügung. Bewährte Kommunikationskonzepte, z.B. Motivational Interviewing, ermöglichen eine flexible und individuelle Einstellung auf den jungen Patienten und versetzen die Mitarbeiterinnen in die Lage, zielgerichtet mit Bezugspersonen über Mundhygienedefizite, deren möglichen Folgen und Lösungsmöglichkeiten zu sprechen. Technische Entwicklungen unterstützen bei diesem manchmal recht schwierigen Unterfangen. Mit poppig aufgemachten elektrischen Zahnbürsten, z.B. Sonicare for Kids (Philips), kann man (angehende) Handy-Kids leichter erreichen und mit Intraoralkameras eher beeindrucken. PC-unterstützte Befund- und Dokumentationssoftware, z.B. ParoStatus.de, unterstützen die Prophylaxefachkräfte bei Befunderhebung und dem gesamten Ablauf der Prophylaxebehandlung – eine weitere Assistenz „zum Aufschreiben“ ist nicht erforderlich, frei werdende Zeit kann in die Beratung und Instruktion investiert werden. Zusätzliche Motivation hierbei bietet die Software mit einem ganz neuen Ansatz: Der Computer „spricht“ zu dem jungen Patienten.
Frühzeitig Bewusstsein wecken
Ziel muss es sein, alle Kinder und Jugendlichen frühzeitig in ein langfristiges Prophylaxekonzept einzubinden. Es muss jede Gelegenheit genutzt werden, im Rahmen des Prophylaxekonzepts und über Einbindung des sozialen Umfeldes gezielt gegen die negativen Erscheinungsformen vorzugehen. Vorrangig stehen hier die Bezugspersonen, in der Regel Eltern und Großeltern, in der Pflicht, bei Jugendlichen und Heranwachsenden kommen auch Freunde und Partner in Betracht.
Die Verantwortung des Praxisteams beginnt dabei bereits bei der Primär-Primär-Prävention, also der Beratung der werdenden Väter und Mütter. Neben dem Bewusstsein für die eigene Mundhygiene muss das Verständnis für die Ansprüche an die Zahnpflege des Kindes geweckt bzw. gestärkt und mit konkreten Informationen und Handlungshinweisen ergänzt werden. Bereits während der Behandlung und Beratung von Schwangeren können mit entsprechenden Informationen und Verhaltenshinweisen Grundlagen gesetzt werden, um die o.g. Milchgebiss- und Nuckelkaries zu vermeiden. Ein weiterer Ansatzpunkt für das präventive Herangehen an die kleinen Patienten ist die Zusammenarbeit mit Betreuungseinrichtungen wie Kindertagesstätten und Kindergärten. Hier lässt sich durch gruppenprophylaktische Maßnahmen, Information und Unterweisung der Eltern und Erzieher, ergänzend zu den Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens, wichtige Grundlagenarbeit leisten. Der Aufwand rentiert sich in aller Regel für die Praxis. Gut vorbereitete und durchgeführte Veranstaltungen haben in der angestrebten Zielgruppe über den Teilnehmerkreis hinaus einen hohen kommunikativen Verbreitungsgrad.
Altersgerecht argumentieren
Von besonderer Bedeutung ist, dass das Praxisteam sich auf die verschiedenen Alters- und Entwicklungsabschnitte einstellt, um hier die Fundamente für eine lebenslange Mundgesundheit zu setzen. Eine altersgerechte Ansprache, kombiniert mit kreativen Behandlungs- und Verhaltensformen, beseitigt Ängste und Vorbehalte und macht aus dem Kind bzw. Jugendlichen den Patienten und Kunden von morgen. Aktuelle Trends sollten mit einbezogen und argumentativ aufgegriffen werden. So tragen mittlerweile ca. 20 Prozent der Jugendlichen in den USA Zahnschmuck. Nachteile von Zungen- und Lippenpiercings können geschickt angesprochen werden. Spezielle Aktionen vor Abibällen, vor Prüfungen oder vor den Ferien, mit treffenden und griffigen Themen, sind ein weiteres kreatives Instrument zur Ansprache dieser Zielgruppe (Zielrichtung: Selbstbewusstsein, Attraktivität, Erfolg, Gewinner-Image).
Tägliche Prophylaxeroutine entscheidend
Während in der Erwachsenenprophylaxe bei fehlender Compliance des Patienten die negativen Folgen durch eine höhere Frequenz professioneller Unterstützungsmaßnahmen, vor allem durch professionelle Zahnreinigungen, kompensiert werden können, ist ein derartiger Ansatz bei Kindern und Jugendlichen abzulehnen. Junge Patienten mit festgestellt erhöhtem Erkrankungsrisiko oder häufigen kariösen Läsionen sollte sicherlich eine Prophylaxebehandlung in kürzeren Intervallen angeraten werden, der Fokus muss aber auf der häuslichen Mundhygiene liegen. Diese und die Pflegebemühungen, die die jungen Patienten betreiben, sollten von geschulten Fachkräften bestmöglich optimiert werden. Hier werden die Grundlagen für das weitere Leben, für eine lebenslange Zahngesundheit gelegt (frei nach dem Motto: Was Hänschen nicht lernt...). Je jünger die Patienten, desto größer sind die Erfolgsaussichten, wenn gleichzeitig die Eltern über die Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen vom 30. bis 72. Lebensmonat und der Individualprohylaxe vom 6. bis zum 18. Lebensjahr proaktiv informiert werden. In einigen Fällen können auch geschickt formulierte Hinweise auf vermeidbare Kosten in der Zukunft hilfreich sein.
Wenn es gelingt, Kinder und Jugendliche und in letzter Konsequenz deren Bezugspersonen davon zu überzeugen, Pflegemaßnahmen für die Zähne als Teil der täglichen Routine zu verstehen und zu akzeptieren sowie nicht so optimal gepflegte Bereiche in ihr Bewusstsein zu rücken und Chancen und Vorteile zu kommunizieren, kann das Erkrankungsrisiko dauerhaft und nachhaltig bis in das Erwachsenenalter hinein deutlich reduziert werden. Daraus ergeben sich positive Folgen für die Mund- und Allgemeingesundheit. Ein wesentlicher Erfolg ist erreicht, wenn Eltern die empfohlenen Verhaltensweisen aktiv vorleben.
Fazit
Ein „gelebtes“ professionelles Prophylaxekonzept ermöglicht ein individuell auf Kinder und Jugendliche zugeschnittenes Karies- und Parodontitisrisikomanagement auf gleichbleibend hohem Standard. Professionelle Zahnarztpraxen mit flexiblen, gut ausgebildeten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sind die Grundlage für ein leistungsfähiges „Frühwarnsystem“ im Sinne der Zahngesundheit unserer kleinen und großen Patienten.