Parodontologie 27.03.2012

Prophylaxe mit Konzept



Prophylaxe mit Konzept

Parodontologie und Prophylaxe – zwei Begriffe, die in einer Zeit des demografischen Wandels immer stärker in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses rücken. Ergebnisse der letzten Mundgesundheitsstudie (DSM IV) belegen, dass immer mehr Menschen im fortgeschrittenen Alter über immer mehr eigene Zähne verfügen. Das ist ein an sich positiver Trend, der unter anderem auf eine wirkungsvolle Gruppen- und Individualprophylaxe in jüngeren Jahren zu­rückzuführen ist. Er hat zu einem deutlichen Rückgang kariesbedingter Zahnverluste geführt.

Die zuvor zitierte Studie zeigt aber auch, dass Erkrankungen des Zahnfleisches und des Zahnhalteapparates – Gingivitis und Parodontitis – unter der erwach­senen Bevölkerung sehr wei verbreitet sind. Das Erkrankungsrisiko nimmt mit steigendem Alter deutlich zu. Bereits in der Altersgruppe der 35- bis 44-Jäh­rigen leiden 52,7 Prozent an einer mittelschweren Form und 20,5 Prozent an einer schweren Form der Parodontitis. Das bedeutet, dass etwa drei von vier Erwachsenen im Laufe ihres Lebens an Parodontitis erkranken. Anfänglich merken es die Betroffenen oft gar nicht, da in der Frühphase keine Schmerzen empfunden werden und „gelegentliches“ Zahnfleischbluten vielfach toleriert wird. Darüber hinaus sind negative Auswirkungen auf den Gesamtorganismus zu erwarten. Wechselwirkungen mit Diabetes, arteriosklerotischen Veränderungen und Herz-Kreislauf­Erkrankungen gelten als sicher, während außerdem ein gesteigertes Früh­geburtsrisiko bei Schwangeren diskutiert wird. Unter Berücksichtigung des demogra­fischen Faktors sowie unter Einbeziehung von Umwelt- und individuellen Risikofaktoren wird deutlich, dass enorme Herausforderungen auf die Zahnarztpraxen zukommen – fachlich und organisatorisch.



Prophylaxe-Begriff
Prophylaxe ist im allgemeinen Sprachgebrauch positiv besetzt. Wenn Patienten jedoch über Prophylaxe sprechen, sprechen Sie häufig nicht über dasselbe. Professionelle Prophylaxe und professionelle Parodontaltherapie beinhalten ein in sich schlüssiges Konzept mit einer entsprechend abgestimmten Praxisorganisation und insbesondere gut ausgebildetem Fachpersonal. Ziel ist es, mit einem professionellen Risiko­management die Zahn- und Allgemeingesundheit der Patienten zu schützen. Der Patient soll dabei von Beginn an mit einbezogen werden. Er muss den Prozess verstehen und die notwendi­gen (Behandlungs-) Konsequenzen akzeptieren.

Erfolgsfaktoren
Bei der Optimierung bzw. Implemen­tierung eines Prophylaxekonzepts sind entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen:

Erfolgsfaktoren professioneller
Prophylaxekonzepte

– Prophylaxephilosphie und Prophylaxekonzept
– Qualifizierte Mitarbeiter/-innen
– Professionelle Organisation und Dokumentation
– Patientenausdruck mit Ergebnissen der Befunderhebung und Mundhygieneempfehlungen
– Professionelles Praxismanagement
– Qualitätsmanagement
– Patientenorientiertes Kommunikationskonzept
– Servicephilosophie
– Corporate Identity
– Kooperationen mit Allgemeinmedizinern

Prophylaxe-Umsetzung
Prophylaxe in der Zahnarztpraxis ist kein „wirtschaftlicher Selbstläufer“. Bei der Planung sind zwingend einige erfolgskritische Faktoren zu berücksich­tigen, die sich vom Grundsatz her an einigen wenigen prägnanten Oberthemen festmachen lassen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass eine Prophylaxephilosophie entwickelt und vom gesamten Praxisteam akzeptiert und gelebt wird – Prophylaxe ist Teamarbeit! Professionelle Prophylaxe benötigt darüber hinaus klare organisatorische Regelungen und Prozessbeschreibungen, auf deren Grundlage Investitionsentscheidungen, Wirtschaftlichkeitsberechnungen, Personalauswahl etc. erfolgen müssen. Eine Prophylaxe „light“, die nebenbei durchgeführt wird, hat kaum Chancen, sich zur neuen Kernkompetenz der Praxis zu entwickeln – Potenziale bleiben ungenutzt. Unter dem Stichwort „Reinigen mit Verstand“ werden qualifizierte und motivierte Mitarbeiter zwingend benötigt. Ohne sie ist eine erfolgreiche Implementierung nicht möglich. Patienten- und Serviceorientierung sind in diesem Umsetzungsprozess unbedingt erforderlich.

Prophylaxe-Abläufe
Professionelle und standardisierte Behandlungsabläufe in der Prophylaxe sind Grundlage weiterer individueller Behandlungskonzepte. Sie müssen auf den individuellen Befunden und Risiken des einzelnen Patienten basieren. Nach gründlicher Untersuchung und Anamnese durch den Zahnarzt, inklusive Erhebung eines PSI (Parodontaler Screening Index) zur Ermittlung des parodontalen Behandlungsbedarfs, beginnt die Prophylaxeassistentin mit der Sitzung. Klinische Parameter und individuelle Risikofaktoren bilden dabei die Basis für eine individuelle Risikoeinschätzung des Patienten mit anschließen­der individueller Therapie- und Behandlungsfestlegung. Die Risikofaktoren müssen dabei in ihrer Gesamtheit betrachtet werden. Um eine unterschiedliche Dokumen­tation der Befunde und eine unterschiedliche quantitative Einschätzung des parodontalen Risikos zu vermeiden, sind standardisierte Abläufe zwingend. Neben den zahnbezogenen Faktoren (Furkationsbeteiligung, iatrogene Faktoren, partielle Attachmentverluste) und den stellenbezogene Faktoren (ST/ PSI, Suppuration, subgingivale Mikroflora) sind die patientenbezogenen Faktoren von besonderer Bedeutung.

Patientenbezogene Faktoren
– Blutungsindex (z.B. BOP)
– Gesamtzahl der residualen Taschen (Sondierungstiefe > 5mm)
– Parodontaler Knochenabbau, Zahnverlust
– Patientenverhalten und allgemeingesundheitliche Verhältnisse
    • Rauchen
    • Systemische und genetische Faktoren
    • Medikamente
– Mundhygiene (z.B. API)
– Aktive Matrixmetalloproteinase-8 (aMMP-8) (z.B. Periomarker)

Die Komplexität der Parodontitis mit ihren zahlreichen Einflussfaktoren und dem ständigen Gegenspiel von Noxen und Immunantwort macht eine umfassende Bewertung des individuellen Risikos erforderlich. Je nach ermittelten Befunden erfolgt die Zuordnung des Patienten zu einer von drei Risikogruppen. Die Skalierung der Parameter erfolgt in den Stufen „niedriges“/„mittleres“ und „hohes Risiko“. Daraus ergeben sich die Empfehlungen für indivi­duelle Recallfrequenzen und Therapiemaßnahmen.

- Niedriges RisikoProphylaxesitzung alle sechs Monate
- Mittleres RisikoProphylaxesitzung alle vier bis fünf Monate 
- Hohes RisikoProphylaxesitzung alle drei Monate 


Eine erneute Risikoeinstufung nach ca. einem Jahr bietet die Möglichkeit, den Krankheitsverlauf und den Behandlungserfolg zu dokumentieren und zu verfolgen. Behandlungsschritte und Maßnahmen zur Intensivierung der Patientencompliance sowie Recallabstände können individuell angepasst werden. Ein kontinuierliches Risiko­management mit konsequenter Durchführung der Prophylaxe in risikoorientierten Zeitabständen kann bei den meisten Patienten die parodontalen Verhältnisse über längere Zeiträume stabilisieren.

Dokumentation und Qualitätssicherung
In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGP e.V.), der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK e.V.) und verschiedenen Universitäten wurde mit der Software „ParoStatus.de“ (www.ParoStatus.de) ein besonders benutzerfreundliches Programm entwickelt, dessen Befund­dokumentation und Verlaufsanalyse von der DGP e.V. akkreditiert ist (www.ParoStatus.de). Mit dem Programm werden die erho­benen Befunde sehr übersichtlich und nachvollziehbar dokumentiert, wobei die Dokumentation einem wiederkehrenden logischen Ablauf folgt. Dadurch wird kein Parameter unbeabsichtigt vergessen und die Einarbeitung in das Programm auf ein Minimum reduziert. Die Dateneingabe kann per Fußsteuerung, per kabelloser Tray-Tastatur oder alternativ per Sprachsteuerung vorgenommen werden. Ohne zusätz­liche Assistenz können so die oben genannten Parameter in wenigen Minuten lückenlos erhoben werden. Nach abgeschlossener Befunderhebung steht eine Auswertung zur Verfügung, aus der das individuelle Erkrankungsrisiko, die empfohlene Recallfrequenz sowie Behandlungs- und Therapievorschläge hervorgehen.



Motivation und Instruktion
Von entscheidender Bedeutung für die Nachhaltigkeit des Behandlungserfolges ist, dass der Patient seine Befunde und damit sein Erkrankungsrisiko sowie die entsprechenden Behandlungsempfehlungen versteht. In der Regel kann nur ein aufgeklärter und informierter Patient motiviert werden, dauerhaft die unterstützende Parodontaltherapie und die Recalltermine regelmäßig wahrzunehmen. Eine professionelle Unterstützung in diesem manchmal recht schwierigen Kommunikationsprozess stellt das ParoStatus.deSystem dar. Seine besondere Stärke liegt in der patienten­gerechten und verständlichen Aufbereitung der Daten und Befunde. Neben der Darstellung auf einem Monitor erhält der Patient einen Ausdruck („1-Blatt-Lösung“) mit einer individuellen Bewertung seiner Befunde und der Einschätzung seines persön­lichen Erkrankungsrisikos. Leicht verständliche Ausführungen zu den wesentlichen Inhalten, selbst erklärende Schaubilder sowie eine farbige Darstellung (Ampelfunktion) des Erkrankungsrisikos versetzen den Patienten in die Lage, sich mit seinen Befunden, auch zu Hause, auseinanderzusetzen. Grün bedeutet, wie man unschwer vermuten kann, alles o.k. Gelb hingegen Achtung, Vorsicht, dieser Bereich muss beobachtet werden, und Rot wird gleichgesetzt mit sofortigem Handlungsbedarf. Am Ende der Auswertung wird neben der Risikoeinschätzung auch der nächste Termin auf Grundlage der ermittelten Daten vom Programm automatisch vorgeschlagen. Das erleichtert die Kommunikation, beeindruckt den Patienten nachhaltig und wirkt neutral.

Bereits in der Behandlungs- bzw. Be­ratungssituation kann die Prophylaxemitarbeiterin anhand der Monitordarstellung Fakten und Empfehlungen aufgreifen oder auf Nachfragen des Patienten gezielt reagieren. Der weitere Behandlungsablauf und die vorgeschlagenen individuellen Recallabstände werden so für den Patienten transparent und nachvollziehbar. Der Patientenausdruck enthält darüber hinaus individuelle Handlungsemp-fehlungen für die häusliche Mundhygiene und Vorschläge für geeignete Mundhygieneprodukte. Zum Beispiel wird anhand des individuellen Zahnschemas die Verwendung geeigneter, farbig codierter Zahnzwischenraumbürstchen grafisch anschaulich dargestellt. Außerdem werden die Zahnbürsten und die Zahnpasten, die man dem Patienten individuell empfiehlt, in Text- und Bildform festgehalten. Der Patient erhält so eine Orientierung im „Werbedschungel“. Diese Art der Patienteninformation kommt dem in verschiedenen Studien belegten Bedürfnis nach verständlicher Aufklärung und Information sehr entgegen. Außerdem werden während der Recalltermine zeitraubende Wiederholungen reduziert. Die dadurch freigesetzten Zeitressourcen stehen zur Motivation bzw. Remotivation und weiteren Instruktion des Patienten zur Verfügung. Manchmal schwer zu rea­lisierende Verhaltensänderungen können so effektiv unterstützt werden.

Checkliste Prophylaxesitzung

– Einführungsgespräch
– Spülung CHX 0,20% (z.B. Curasept ADS 0,20%) ca. 1 Minute
– Untersuchung durch den Zahnarzt
– Anamnese und Befunderhebung
– Mundhygieneindices mit ParoStatus.de
– Erstellung des Risikoprofils mit ParoStatus.de
– Motivation – ggf. Intraoralkamera
– Reinigung (Schall-, Ultraschall-, Handinstrumente)
– Ausmessen der Interdentalräume (IAP-Sonde)
– Politur (ggf. Pulver-Wasserstrahl-Behandlung mit indikationsbezo­genem Pulver)
– Zungenreinigung – maschinell oder manuell
– Karies-Monitoring (Diagnodent)
– Fluoridierung
– Serviceleistung „Heißes Tuch“
– Beratung und Übung Mundhygiene (Zahnputztechnik etc.)
– Auswahl der geeigneten Hilfsmittel zur Interdentalraumreinigung und üben mit dem Patienten
– Recallplanung und Patientenausdruck erklären
– NEUER TERMIN!



Beratung, Recallplanung
Zum Ende der Prophylaxesitzung erfolgt die Besprechung und Bewertung der zusammengestellten Befundparameter mit der individuellen Risikobestimmung. Je nach Ausprägung des Karies- bzw. Parodontitisrisikos (niedrig, mittel, hoch) wird dem Patienten dargelegt, dass er im Sinne des Behandlungserfolges in Abständen von sechs, fünf oder drei Monaten zur nächsten Prophylaxesitzung wieder einbestellt wird. Die Risikoprofilauswertung mit der dazugehörigen Recall-Einstufung wird dem Patienten zur Verdeutlichung der Erläuterungen als Ausdruck mitgegeben. Wichtig ist, dass der Patient einen konkreten Termin zur nächsten Prophylaxesitzung erhält, bevor er die Zahnarztpraxis verlässt. Ihm muss deutlich werden, dass er sich in einem durchstrukturierten Behandlungsablauf befindet, der nur bei konsequenter Einhaltung Aussicht auf Erfolg hat. Bewährt hat sich auch ein Erinnerungsverfahren (Mail, Anruf, SMS etc.), mit dem der Patient rechtzeitig vor seinem nächsten Termin einen Hinweis für die bevorstehende Prophylaxesitzung erhält. Das ParoStatus.de-System (www.ParoStatus.de) bietet dazu eine neue Smartphone-App für Android und iPhone, die gerade deutschlandweit in verschiedenen Praxen getestet wird. Der Patient erhält sein individuelles Ri­sikoprofil, seine individuellen Empfehlungen und die für ihn ausgesuchten Produkte direkt auf sein Smartphone. Damit er seinen Termin nicht vergisst, erinnert ihn sein Telefon über die ParoStatus.de-App rechtzeitig daran. Denn nichts ist ärgerlicher, als sich eine Stunde für die Behandlung Zeit zu nehmen, und der Patient kommt nicht. Die Praxis erhält außerdem eine eigene Seite in der ParoStatus.de-App, über die der Patient mit der Praxis kommunizieren kann, um beispielsweise den Termin zu verschieben oder sich über Öffnungszeiten und Anfahrt zu informieren.

Fazit
Ein „gelebtes“, professionelles Prophylaxekonzept ermöglicht ein individuell auf den Patienten zugeschnittenes Ri­sikomanagement auf gleichbleibend hohem Standard. Es ist Grundlage für ein frühzeitiges Erkennen parodontaler Erkrankungen. Auf einer solchen Basis können zielgerichtet Behandlungskonzepte umgesetzt werden, die auch dem bereits parodontal erkrankten Patienten den langfristigen Erhalt seiner Zähne und seiner Allgemeingesundheit ermöglichen. Parodontologie und Prophylaxe werden auch unter dem Aspekt wachsender interdisziplinärer Zusammenarbeit einen zunehmend größeren Stellenwert im Rahmen der Zahnmedizin einnehmen. Getragen von einer rasanten demografischen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklung zeichnet sich ein Strukturwandel ab, der hohe Anforderungen an die Zahnarztpraxen und deren Personal stellen wird. Flexible und kluge, gut ausgebildete Mit­arbeiter/-innen sind künftig mehr denn je gefragt; der Kampf um die besten Köpfe hat bereits begonnen.

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