Praxiseinrichtung 13.10.2014

Conceptual Human-Centered Design



Conceptual Human-Centered Design

Foto: © Tobias Wille/whsa

Eine professionelle Konzeption und Planung ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Praxis, in der sich der Mensch wohl, gut aufgehoben und ebenso versorgt fühlt. Der Mensch und seine Bedürfnisse sollten bei jeder Planung im Mittelpunkt stehen. Optimale funktionale Abläufe, bestmögliche medizinische Versorgung, hygienisch unbedenkliche Materialien und Details und die Umsetzung aktuellster Richtlinien sind selbstverständliche Bestandteile des Gesamtkonzeptes. Doch sollte jede Planung den Patienten auf der einen und Arzt sowie Mitarbeiter auf der anderen Seite ein optimales Umfeld bieten.

Es gibt viele Stressoren, die sich auf den Menschen auswirken: traumatische Erlebnisse bei einer vergangenen zahnärztlichen Behandlung, ein hektischer und grober Zahnarzt, unfreundliche Helferinnen, unangenehme Gerüche, Vibrationen des Bohrers, Behandlung ohne wirksame Betäubung, mangelnde Informationen über Behandlungsalternativen, mangelnde Empathie und immer die Panik und Angst vor Schmerzen. Auf all diese Faktoren kann der Planer oft keinen Einfluss nehmen. Die gut geplante Praxis kann aber durch bewusst oder unbewusst wahrzunehmende Faktoren einiges bewirken: Langes Warten in guter Atmosphäre kann kurzweiliger wirken und man entspannt, weil man vom Geruch und von Geräuschen aus den Behandlungszimmern verschont bleibt; ein Empfang in diskretem Abstand zu anderen Wartenden geschieht mit der nötigen Distanz zwischen Arbeitsplatz und Patienten. Rein bauphysikalisch muss die Praxis natürlich akustisch und klimatisch optimal konditioniert sein. Raumpsychologisch sollte der Grundriss gut organisiert und mit optimaler und kreuzungsfreier Wegeführung konzeptioniert sein. Sind alle Räume wohlproportioniert, vermitteln diese den Patienten, aber auch den Mitarbeitern, die nötige Sicherheit auf der einen und Ruhe auf der anderen Seite. Eine richtige Farb- und Materialauswahl unterstützt positive Reize und mindert visuellen Stress. Zu all diesem sind Innenraumgestalter in Form von Innenarchitekten und spezialisierten Architekten optimal ausgebildet: Gestalter, die sich insbesondere den Innenräumen widmen, müssen die Sensibilität für eine sehr feine Körnung im kleinsten Maßstab mitbringen. Hier zählt das Detail – jedes Detail! Und gerade das Detail.

Die Dentophobie ist nach der Angst vor dem öffentlichen Reden die am häufigsten auftretende Angst in der Bevölkerung.1 Sie tritt bei 60–80 Prozent der Allgemeinbevölkerung auf, wobei Intensität und Ausprägung sehr unterschiedlich sein können. Gehen wir davon aus, dass ein Großteil der Patienten mit dieser Angst mehr oder weniger ausgeprägt zu tun hat, wird klar, wie wichtig das Wohlbefinden insbesondere in einer Zahnarztpraxis ist. Fühlt sich der Patient wohl, ist dieser entspannter bei der Behandlung, wird als Patient gebunden, empfiehlt die Praxis weiter. Das Wohlfühlen beginnt beim Empfang. Eine lockere oder wohnlichere, nicht an Krankheit und Schmerz erinnernde, Atmosphäre außerhalb der Behandlungsräume ist förderlich. Der Wartebereich sollte Reize bieten, um den Aufenthalt kurzweilig zu gestalten und trotzdem einen Überblick über das Geschehen suggerieren. Ein direkter visueller, akustischer oder geruchsintensiver Kontakt zu den Behandlungsräumen sollte unbedingt vermieden werden. Hier kann die Materialwahl durchaus vom praxentypisch hygieneoptimierten Look abweichen und sogar überraschen. Es gibt inzwischen eine Unmenge an Werkstoffen, die verschiedene Materialeigenschaften optimal kombinieren. In den Behandlungsräumen wird das Optimum an neuster Technik, hygienischer Sicherheit und professionelle medizinische Versorgung erwartet, aber auch dort muss der Patient die Instrumente nicht in Gänze sehen und braucht Blickreize als Fixpunkt oder Ablenkung an der Wand oder auch an der Decke. Die Beleuchtung muss von den atmosphärischen bis hin zu den professionellen Bereichen die sich verändernden Raumfunktionen und Situationen unterstützen. Für die Wahrnehmung unserer Umwelt ist die Lichtsituation maßgeblich.

„Die Orientierung und das Bewerten eines fremden Ortes werden durch das Licht gelenkt.“2 Räume wirken auf unterschiedlichste Art und Weise, Emotionen werden hervorgerufen.3 Barrierefreiheit ist ein Muss in einer Arztpraxis. Nicht nur im Sinne von Inklusion und Behindertengerechtheit, sondern auch für die älter werdende Gesellschaft ist dies unabkömmlich. Und was für die einen notwendig ist, ist für alle anderen unter Umständen räumlicher Luxus, weil es auf Fluren und WCs nicht gewohnt beengt ist – Design for all. Inzwischen gibt es alle behindertengerechten Features und Mobiliar auch mit feinstem Design. Der Patient ist die eine Seite der Praxis – Arzt und Mitarbeiter die andere. Die Praxis als Arbeitsplatz ist der Ort, an dem sich Menschen unter Umständen länger aufhalten als in ihrem Bett. Die Beschäftigten sollten sich optimal wohlfühlen, denn auch alle dort Arbeiten den sind die Visitenkarte der Praxis. Mögliche Distanz vom Kunden und die Möglichkeit des Zurückziehens erfordern gute Grundrisse und Möbel: eine kreuzungsfreie Wegeführung von Patienten und Arzt bzw. Mitarbeitern verhindert ungewollte Kollisionen, Instrumente können ungesehen transportiert und Patienten diskret versorgt werden; Empfangstresen, die durch Lage und Aufbau sowohl Patientenzuwendung aber auch Konzentration ermöglichen. Findet sich der Mitarbeiter in einer gut gestalteten Atmosphäre von Arbeitsplatz bis hin zu den Personalräumen wieder, wirkt sich dies sehr motivierend und somit auch geschäftsfördernd aus. Geht man gerne zu einem Ort, fühlt man sich wohl und ist lange und gerne einsatzbereit. Der durch das positive Umfeld motivierte Arzt und Mitarbeiter ist genauso Multiplikator wie der entspannte Patient.

Die Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur ist dem Human-Centered Design verpflichtet. Dort ist im Wintersemester 2013/14 auf wissenschaftlicher Basis die Bachelorthesis „Zahnarztpraxis für Angstpatienten“ von Heike Bosse, betreut durch Prof. Dr. phil. A. K. Vetter und Prof. Dipl.-Ing. C. Wiewiorra, entstanden. Die Absolventin Heike Bosse hat darüber hinaus einen Leitfaden entwickelt, wie Praxen insbesondere für Angstpatienten gestaltet werden sollten. Die emotional wirksamen Gestaltungsformen werden folgendermaßen zusammenfasst: „Eine positive Atmosphäre wird durch den Einsatz spannungsvoller Materialkompositionen, die Anwendung eines ausgewogenen Farbkonzeptes und die Entwicklung einer klaren, eindeutigen Formensprache im Zusammenspiel mit aufgelockerten Elementen erzeugt. Der Einsatz natürlicher Materialien im Dialog mit Glas- und Lichtakzenten wie das Gleichgewicht zwischen raumschaffenden und raumverdrängenden Einbauten sorgen für eine angenehme und einladende Atmosphäre.4 Eine klare, uns vertraute Formensprache wirkt harmonisch statt destruktiv. So auch vertraute Farben, Grundfarben, welche eine sinnliche, sanfte und leise, helle Farbgebung haben.5 Klare Grundfarben und kraftvolle, klare Linien sind nachvollziehbar und durchschaubar.6 Materialien wie Holz, Glas, Metall und Stein sind vertraute Elemente. Natürliche, uns bekannte Elemente fördern unbewusst die Heilung.7 Die Strukturen, Farben und Formen lösen Empfindungen wie Enge, Bedrängnis und Weite aus.

Durch die Anwendung dieser Faktoren kann man kleine Räume vergrößern und große Räume behaglich machen, lange Flure verkürzen und enge Gänge breiter wirken lassen. Lautes, Starkes in der Struktur und Farbe drängt nach vorne, während Lichtes, Ebenes und Zartes zurückweichend wirkt.8 Ein komponiertes Zusammenspiel von differenzierten Lichtinseln und Effekten mit Farbimpulsen und kontrastierenden Materialien regen das Auge an.9 Der wohl komponierte Dialog der Gestaltungsformen kann Geschichten erzählen und feinfühlig auf den Patienten wirken. Gestaltungsmöglichkeiten sind im Boden eingelassene Intarsien wie die Anwendung runder Formen und ein aus Formen und Licht ausgebildetes Deckenfeld. Die verwendeten Materialien, Formen, Farben und Strukturen sollten sich bewusst durch die gesamte Praxis ziehen, um ein ruhiges Gesamtbild zu schaffen und verwandte Bereiche zu einer Einheit zu verbinden. Die Anwendung dieser Faktoren in der Praxisgestaltung, im Zusammenspiel mit der Kontrolle über Umwelteinflüsse, löst positive Empfindungen bei dem Patienten aus und verhindert Stress und Angst.“ Es gibt Menschen, die entwerfen ihre Visitenkarten selbst – genauso, wie andere sich bei Krankheit selbst versorgen. Man ist aber gut beraten, sich Profis zuzuwenden, die dementsprechend ausgebildet sind, ganzheitliche Konzepte entwickeln und diese bis ins Detail umsetzen und realisieren. Lösungen bieten viele Hersteller und Vertriebe von Praxiseinrichtungen und Ausstattungen. Innenarchitekten und spezialisierte Architekten sollten hinzugezogen werden, vor allem, wenn man keine standardisierte Lösung, sondern eine inspirierende individuelle Praxis schaffen will. Das Aufbrechen von Gewohnheiten und Hinterfragen von Standards ist guten Gestaltern zu eigen, die neue Lösungen und Wege suchen. So kann ein deutliches Alleinstellungsmerkmal durch die Praxisgestaltung nicht nur wirtschaftlich, sondern auch atmosphärisch „menschlich“ zum Erfolg führen.

Literatur

1 Jöhren, P.; Margraf-Stiksrud, J., 2002.
2, 4, 9 Teichert, Ines; Sprekelmeyer, Ralf; Steinberg, Markus: Praxis und Klinik – Gestaltung Funktion Ökonomie. Paderborn: Bonifatius GmbH 2003, S. 34, Z. 7–13/S.33.
3, 6, 7, 8 ibid., S. 57, 22, 19, 67.
5 Monz, Antje; Monz, Johan, (2001), S.19.

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