Wissenschaft und Forschung 25.03.2013
Mundwasser gegen Krebs?
Orale Desinfektionsmittel induzieren Apoptose in humanen oralen Tumorzellen
Bei Zahnfleischentzündungen werden oft desinfizierende Mundwasser
empfohlen. Die darin enthaltenen Wirkstoffe könnten zukünftig vielleicht
noch einen ganz anderen Anwendungsbereich finden: Wie Wissenschaftler
in der Zeitschrift Angewandte Chemie berichten, verstärken Chlorhexidin
und Alexidin den programmierten Zelltod und könnten bei
Krebserkrankungen des Mund- und Rachenraumes wirksam sein.
Zuweilen werden bei etablierten Pharmaka noch weitere Wirkungen
entdeckt, als die, für die sie eigentlich zugelassen waren. Man denke
etwa an Acetylsalicylsäure (Aspirin, ASS), ein geläufiges Mittel gegen
Schmerzen und Fieber, das inzwischen auch Thrombose-gefährdeten
Patienten verordnet wird, um deren Blut dünnflüssiger zu halten. Das
Team um Thorsten Berg ist überzeugt, dass viele niedermolekulare
Wirkstoffe, die bereits zugelassen sind, bis dato unbekannte Aktivitäten
gegenüber Wechselwirkungen zwischen Proteinen zeigen, die therapeutisch
interessant sein könnten.
Anhand einer für die menschliche Gesundheit relevanten
Protein-Protein-Wechselwirkung wollten die Wissenschaftler von der
Universität Leipzig, dem Max-Planck-Institut für Biochemie, dem Center
for Integrated Protein Science in München, dem Helmholtz-Zentrum
München, der Technischen Universität München sowie der ETH Zürich dies
beweisen: der Wechselwirkungen zwischen zwei Proteinen, deren
Interaktion die Apoptose, also den programmierten Zelltod, steuert.
Beide Proteine stammen aus derselben Proteinfamilie. Das Protein Bad
löst den Zelltod aus. Das andere (Bcl-xL) ist sein Gegenspieler, es
bindet an das apoptosefördernde Protein und hemmt es auf diese Weise.
Die Wissenschaftler führten ein Screening mit einer Sammlung von mehr
als 4.000 Substanzen durch, einer so genannten Substanzbibliothek. Ein
Großteil der enthaltenen Verbindungen sind klinisch genutzte kleine
Moleküle. Mit Bindungsversuchen wurde ermittelt, welche der Substanzen
die Bindung der beiden Ziel-Proteine inhibiert. Um die Spezifität der „Treffer“ zu beurteilen, wurde zudem deren Wirkung auf andere
Protein-Protein-Wechselwirkungen getestet.
Berg und seine Kollegen wurden fündig: Chlorhexidin, die aktive
Komponente kommerzieller oraler Desinfektionsmittel, wie Chlorhexamed,
Chlorhexal, Periogard, Corsodyl und Chlorohex, sowie Alexidin, die
Wirkkomponente von Esemdent, hemmen die Bindung des
Apoptose-Gegenspielers an den Apoptose-Auslöser. Chlorhexidin wirkt
spezifisch, Alexidin zeigt weitere, aber sehr viel schwächere Wirkungen
auf weitere Proteine.
Warum sind Apoptose-Proteine interessant? Die Apoptose ist in
Tumorzellen verringert, die Zellen sterben nicht ab und wuchern immer
weiter. Ein Grund ist, dass sie zu viel des apoptosehemmenden Proteins
herstellen. In Versuchen an Zellkulturen verschiedener Zungen- und
Rachenkarzinome lösten beide Wirkstoffe eine verstärkte Apoptose aus.
Diese Wirkung ist deutlich stärker als bei gesunden Zellen. Eine
therapeutische Nutzung könnte daher möglich sein.
Die Forscher hoffen, weitere Protein-Protein-Wechselwirkungen als Ziele
für zugelassene niedermolekulare Wirkstoffe ausmachen zu können.