Endodontologie 27.05.2013

Der vierte Kanal



Der vierte Kanal

Bei endodontischen Erstbehandlungen ist eines der Kriterien für Erfolg das Auffinden sämtlicher Kanalsysteme. Die Literatur berichtet, dass obere erste Molaren (6er) in über 80 Prozent ein viertes Kanalsystem haben, die oberen zweiten Molaren (7er) in über 40 Prozent. In unserer Praxis fanden wir in den Jahren 2011/2012 am 6er in 80 Prozent und am 7er in 55 Prozent ein viertes Kanalsystem. Folgender Artikel widmet sich diesem Sachverhalt und bringt als Beispiel sechs Erstbehandlungen und sechs Revisionen.

Bei Revisionen in unserer Praxis von nicht erfolgreichen endodontischen Therapien zeigte sich, dass in Oberkiefermolaren in nahezu 80 Prozent der Fälle ein viertes Kanalsystem unbehandelt war. Abbildung 1 stellt die Problematik schematisch dar. Nach vorläufiger Schaffung der primären Zugangskavität ist das vierte Kanalsystem meistens durch einen Dentinüberstand verdeckt.

Abb. 1: Lage des vierten Kanalsystems.

Abb. 1: Lage des vierten Kanalsystems.

Das Abtragen desselben nach mesial führt zum instrumentierbaren Kanalanteil. Abbildung 2 zeigt das Vorgehen an einem Fallbeispiel. Durch Abtragen des Überstandes findet sich das unbehandelte vierte Kanalsystem. Bei den Falldarstellungen werden in Abbildung 3 die Erstzugänge dargestellt und in Abbildung 4 die Revisionen. Das Bildermosaik (Abb. 3) der Erstbehandlungen zeigt immer von links nach rechts: die erste Übersicht, den gefundenen vierten Kanal, die fertige Aufbereitung, das Downpack und den Backfill. Bei den Revisionen (Abb. 4) sieht man zu Anfang das Diagnose-Röntgenbild.

Abb. 2: Beispiel für Suche nach dem vierten Kanal.

Abb. 2: Beispiel für Suche nach dem vierten Kanal.

Dafür fehlt das Bild der fertigen Aufbereitung vor Abfüllung. Wegen der leichteren Orientierung und besseren Vergleichbarkeit wurden Bilder aus dem 2. Quadranten horizontal gespiegelt. Dadurch ist oben immer mesial dargestellt und links immer bukkal.

Abb. 3: Behandlungsfälle Erstzugang.

Abb. 3: Behandlungsfälle Erstzugang.

Die ersten beiden Revisionsfälle wurden behandelt, weil unvollständige Wurzelfüllungen vorhanden waren und die Zähne Zahnersatz brauchten. Bei den anderen vier waren Beschwerden vorhanden. Alle Zähne hatten unvollständige Wurzelfüllungen und/oder apikale Aufhellungen. Am ausgeprägtesten war dies immer an der mesialen Wurzel zu beobachten. Nach Schaffung des primären Zugangs und erster Orientierung im Zahn zeigte sich beim Entfernen der Verunreinigungen und der Dentinüberstände in all diesen Fällen ein unbehandeltes viertes Kanalsystem (Abb. 4; mittleres Mosaikbild bei allen Fällen).

Abb. 4: Behandlungsfälle Revision.

Abb. 4: Behandlungsfälle Revision.

Diskussion

Das Auffinden und die Reinigung sämtlicher Kanalsysteme bei Erstbehandlungen sind allgemein anerkannt mit entscheidend für eine gute Prognose. Diese Aussage wird auch durch die hier vorgestellten Revisionsfälle untermauert. Bedingung für das Auffinden aller Kanalsysteme ist unseres Erachtens das Arbeiten unter dem Dentalmikroskop. In unserer Praxis wurden seit 1990 mit Zunahme der Vergrößerungsstufe von der Lupenbrille ab 1998 mit 4,8-facher Vergrößerung und zentraler Lichtquelle hin zum Mikroskop ab dem Jahr 2002 eine immer höhere Anzahl vierter Kanalsysteme gefunden.

Zusätzlich zur adäquaten Vergrößerung und Beleuchtung muss aber auch eine professionelle und routinierte  Arbeitssystematik eingehalten werden. Hierbei ist besonders zu beachten, dass man bei der Suche nach zusätzlichen Kanalsystemen nicht zu schnell aufgibt. Aber auch das Gegenteil kann der Fall sein, dass man mit falschem Aktivismus während der Suche nach dem vermeintlich zusätzlichen Kanalsystem zu viel Zahnsubstanz opfert und damit eventuell eine Perforation setzt oder die Zahnsubstanz zu stark schwächt und damit späteren Wurzelfrakturen Vorschub leistet.

Gerade deshalb sind ein gezieltes Vorgehen und der möglichst sparsame Abtrag von Zahnsubstanz zu empfehlen. In besonderen Einzelfällen nach Abwägung aller anderen Möglichkeiten zur Befunderhebung kann ein digitales Volumentomogramm (DVT) vor oder während der Behandlung für die Therapieplanung hilfreich sein.

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