Implantologie 04.09.2017

Wirkung von kaltem Atmosphärenplasma auf Titanimplantatoberflächen



Wirkung von kaltem Atmosphärenplasma auf Titanimplantatoberflächen

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Titan besitzt ein hohes Maß an Oberflächenoxidationspotenzial. Dies hat einen hydrophoben Charakter zur Folge, der Körperzellen eine Anlagerung erschwert. Durch die Anwendung von kaltem Atmosphärenplasma (KAP) wird die Oberflächenladung positiv beeinflusst. Folgender Fachbeitrag beschreibt die Wirkung von KAP auf sandgestrahlte, säuregeätzte Titanimplantatoberflächen.

Rund 800.000 Implantate werden jährlich in der Bundesrepublik Deutschland in Ober- und Unterkiefer inseriert. Nach rund 40 Jahren Entwicklung hat sich die sandgestrahlte und säuregeätzte Oberfläche von ­Titanimplantaten als zuverlässig in der Osseointegration bewiesen. Titan besitzt in seiner Materialeigenschaft ein hohes Maß an Oberflächenoxidationspotenzial und passiviert bei Sauerstoffkontakt. Dies hat einen relativ hohen hydrophoben Oberflächencharakter zur Folge, der Körperzellen und Proteinen eine Anlagerung und Anheftung erschwert. Trotzdem liegt die durchschnittliche Verlustrate von Implantaten in der Osseointe­grationsphase bei nur rund einem Prozent im Fünf-Jahres-Zeitraum.

Hypothese

Durch die Anwendung von kaltem Atmosphärenplasma (KAP) wird die Oberflächenladung so beeinflusst, dass es zur Abspaltung der Kohlenwasserstoffverbindungen kommt, die für die hydrophobe Oberflächencharakteristik verantwortlich sind.1 Dadurch können sich polare Verbindungen wie wässrige Suspensionen, Proteine und Zellen an die behandelte Implantatoberfläche wieder anlagern und sogar leicht hochfließen. Da dieser Effekt auf der Abspaltung atomarer Verbindungen und der Änderung der Oberflächenladung beruht, kommt es zu keinen morphologischen Änderungen am Implantat selbst. Bei der Anwendung von KAP kommt es zu einem leichten Temperaturanstieg am Implantat, dieser erreicht jedoch nicht den Bereich einer möglichen Koagulation von Eiweißen.

Material und Methode

Versuchsreihe 1

Zunächst wurde unter Betrachtung der gegebenen Implantatgeometrie eine Apparatur auf Basis der KAP-Technik (plasmaONE) konstruiert und gebaut, die eine gleichmäßige Entladung und Plasmaentstehung um das Implantat ermöglicht. Eine Ständerbohrmaschine wird so modifiziert, dass sie ein gleichmäßiges Absenken und Auftauchen (Dauer 30 Sekunden) eines Prüfkörpers (Implantat) ermöglicht. Die Dokumentation erfolgt optisch mittels Kamera.

A) Ein Standardimplantat (CAMLOG C1062.4313) wird langsam in Tinte (Pelikan, schwarz) getaucht und wieder herausgezogen.

B) Ein Standardimplantat wird langsam in venöses Blut eines Probanden (Standzeit zwei Minuten) getaucht und wieder herausgezogen.

C) Ein Standardimplantat wird nach 2,5-minütiger Plasmabehandlung auf Stufe 5 langsam in Tinte getaucht und wieder herausgezogen.

D) Ein Standardimplantat wird nach 2,5-minütiger Plasmabehandlung auf Stufe 5 langsam in venöses Blut eines Probanden (Standzeit zwei Minuten) getaucht und wieder he­rausgezogen.
Versuchsreihe 2

Es werden drei Standardimplantate nach Vorbehandlung an EMTEC (Elek­tronenmikroskopie und Materialanalyse, Mannheim) gesendet:

A) Es wird eine Standardimplantat ohne Behandlung eingesendet.

B) Ein Implantat wird im plasma­IMPLANT Prototyp 2,5 Minuten auf Stufe 5 dem KAP ausgesetzt (geplante Behandlungs- und Aktivierungszeit).

C) Ein Implantat wird im plasma­IMPLANT Prototyp 12,5 Minuten auf Stufe 5 dem KAP ausgesetzt (5-fach übersteigerte Behandlung).

Die Implantate wurden mit der Deckelschraube verschraubt und an dieser Schraube dann auf einen Probenteller geklebt. Die Proben wurden dann ohne weitere Vorbereitungen im REM mit einer Auflösung von 1.000:1, 5.000:1 und 20.000:1 untersucht. Das Augen­merk gilt den Gewindespitzen. Es wur-den SE-Bilder (Bilder der Sekundär­elektronen) und RE-Bilder (Bilder rückgestreuter Elektronen) aufgenommen.

Versuchsreihe 3

Es wurde ein Standardimplantat mit einer Thermografiekamera (FLIR T460) betrachtet und anschließend aufeinander folgenden vier Zyklen Plasma mit 2,5 Minuten ausgesetzt. Unmittelbar danach wurde erneut das Implantat mit der Thermografiekamera betrachtet, um die Erwärmung festzuhalten und zu dokumentieren.

Ergebnis

Versuchsreihe 1

A) Beim Eintauchen zeigt sich eine hohe Oberflächenspannung der Tinte zum Implantat. Die Tinte wird tief entlang der Implantatoberfläche verdrängt. Beim Herausheben ist ein Abperlen zu beobachten. Es finden sich nur geringe Benetzungsbereiche mit spärlichen Tintenanlagerungen.

B) Beim Eintauchen zeigt sich eine hohe Oberflächenspannung des Bluts zum Implantat. Das Blut wird tief entlang der Implantatoberfläche verdrängt. Beim Herausheben ist ein Abperlen zu beobachten. Es finden sich nur geringe Benetzungsbereiche mit spärlichen Blutanhaftungen.

C) Bei der Berührung der Tinte zeigt sich direkt ein Anfließen der Flüssigkeit an die Implantatoberfläche. Der stärkste Effekt ist an den Gewindesteigungen und Gewinde­spitzen zu erkennen. Hier kann man ein Heraufkriechen beobachten. Im Schulterbereich ist dieser Effekt als quasi Hochschlagen festzustellen. Beim Herausheben zeigt sich die Oberfläche des Implantats vollständig benetzt, ein Abperlen ist nicht zu erkennen. Eine spärliche Oberflächenspannung ist nicht zu erkennen.

D) Bei der Berührung der Blutoberfläche zeigt sich zunächst eine leichte Eindellung und Oberflächenspannung, dann aber direkt ein Anfließen der Flüssigkeit. Der stärkste Effekt ist an den Gewindesteigungen und Gewindespitzen zu erkennen. Hier kann man ein Heraufkriechen beobachten. Im Schulterbereich ist dieser Effekt ähnlich wie an der Implantatspitze: Zunächst erhöhte Oberflächenspannung, dann schlagartiges Hochschlagen bis zur Schulterkante. Beim Herausheben zeigt sich die Oberfläche des Implantats vollständig benetzt, ein Abperlen ist nicht zu erkennen. Ab dem Schulterbereich zeigt sich eine starke Anhaftung von Proteinen, die aus dem Blut herausgehoben werden.

Versuchsreihe 2:

Die REM-Aufnahmen 1.000:1, 5.000:1 und 20.000:1 der Oberflächen im Bereich von Gewindespitzen zeigen zwischen den drei Proben keine auffälligen und wiederkehrenden Unterschiede in der Oberflächenstruktur. Oberflächenstrukturen werden in der Regel am besten in Bildern der Sekundärelektronen (SE-Bilder) wiedergegeben. Bilder der rückgestreuten Elektronen (RE-Bilder) liefern manchmal zusätzliche Informationen, daher wurden diese hier mit aufgenommen.

Versuchsreihe 3:

Das Bild der Infrarotstrahlung des Implantates zeigt in der Thermografie eine gleichmäßige Temperatur von 25 °C. Nach den vier aufeinanderfolgenden Plasmaanwendungen wurde das Implantat erneut betrachtet und eine Erhöhung der Temperatur auf 30,2 °C festgestellt. Die Temperaturverteilung erfolgte gleichmäßig über das gesamte Implantat.

Diskussion

Implantate aus Titan und Titanlegierung passivieren an der Luft und bilden eine Oxidschicht, die weitestgehend hydrophob erscheint und die Anlagerung polarer Moleküle erschwert. Die Anwendung von KAP auf Standard-Implantat­oberflächen wie der Promote-­Oberfläche (­CAMLOG) führt zu einer starken Hydrophilierung und damit zur verbesserten Anlagerung von Wasser, Proteinen und Zellen. Dass dieser Effekt keine morphologische Änderung oder gar Beschädigung der Implantat­oberfläche zur Folge hat, bestätigen die Rasterelekronen­mikroskopaufnahmen. Die Oberflächenstrukturen wurden durch Sandstrahlen und Ätzen bestimmt. Wenn also überhaupt ein Materialabtransport stattfand, beschränkt sich dieser auf den submi­kroskopischen Bereich. Anzunehmen ist daher, dass es durch den hohen Ionisa­tionsgrad zur Aufspaltung (Cracking) der Kohlenwasserstoffe und Oxide an der Implantatoberfläche kommt und diese durch ihre polare Ladung abgestoßen werden. Andere polare Moleküle wie Wasser und Proteine sowie Zellen haben nun die Möglichkeit, sich direkt an die Implantatoberfläche zu binden. Dies sollte eine schnellere und sichere Osseointegration mit vorhersagbareren Ergebnissen zur Folge haben. Die Erwärmung des Implantats infolge der Plasmaeinwirkung ist erwartungsgemäß gering und bleibt trotz unmittelbar wiederholter Anwendung unterhalb der kritischen Grenze zur Eiweißgerinnung.

Die verwendete Literatur steht hier zum Download bereit.

Dieser Beitrag ist im Implantologie Journal 9/2017 erschienen.

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