Implantologie 28.02.2011

Augmentationen aus der Spritze



Augmentationen aus der Spritze

Intra- und extraorale Optimierung durch Knochenzemente und Hyaluronsäure

Im folgenden Artikel werden durch den Autor die klinische Anwendung eines neuen, leicht viskösen ­Knochenzementes auf Brushit-Basis und der Einsatz von Hyaluronsäure zur perioralen Faltenunterspritzung vorgestellt und eine Wertung dieser Verfahren vorgenommen. Fallbeispiele sollen die unterschiedlichen Indikationen im Detail erläutern.

In der Oralchirurgie, insbesondere in der Implantologie, kommen für die Regeneration von Knochen seit vielen Jahren unterschiedliche Materialien zum Einsatz. In der Praxis sind für den Anwender die gute Prospektivität, einfaches Handling, geringe Nebenwirkungen und das Vermeiden von entzündlichen Prozessen ausschlaggebend für den Erfolg in der rekonstruktiven oralen Knochenchirurgie. Bezugnehmend auf die Diskussion um bovine Ersatzmaterialien haben sich die synthetischen Materialien immer mehr in den Fokus der augmentativen Chirurgie gestellt und stellen nicht nur eine Alternative, sondern auch immer mehr das Potenzial dar, mit ebenso guten klinischen Ergebnissen in der täglichen Anwendung aufzuwarten wie die herkömmlichen, nicht synthetischen Ersatzmaterialien.


Knochenzement in der Implantologie

Bei dem hier beschriebenen Material VitalOs handelt es sich um ein Knochenregenerationszement, das in einer Applikationsspritze über ein Zweikammersystem durch Kolbendruck angemischt wird. Zwei Kalziumphosphatpasten werden dabei miteinander vermischt und ein innerhalb weniger Minuten abbindender Zement, dessen Endphase Brushit ist, kann in ossäre Defekte unterschiedlicher Art appliziert werden. Innerhalb weniger Monate wird dieser durch autologen Knochen substituiert. Brushit, nach dem amerikanischen Mineralogen G. J. Brush benannt, ist wissenschaftlich auch als DCPD bekannt (Dikalziumphosphat-Dihydrat) und ist der mineralischen Phase des Knochens sehr ähnlich. Durch den Abbindevorgang ähnelt das Material spongiösem Knochen und macht das Benutzen einer Membran überflüssig und verhindert eine Invagination von Weichgewebe in den ossären Defekt.

Fall 1
Im ersten Fall stellte sich eine 72-jährige Patientin mit dem Wunsch nach einer Optimierung des Prothesenlagers in unserer Praxis vor. In Regio 13 befand sich noch ein Teleskopzahn in situ, welcher parodontal geschädigt war und lediglich zur temporären Verankerung des Interimsersatzes diente (Abb. 1). Aufgrund des defizitären Knochenangebotes war die Insertion von vier enossalen Implantaten in Regio 14, 12, 22, 24 simultan mit einem Bone Split geplant, um der Patientin auch im Hinblick auf ihr Alter einen zusätzlichen Eingriff im Sinne einer Blockaugmentation nicht mehr zuzumuten. Nach Präparation eines Mukoperiostlappens nach Infiltrationsanästhesie erfolgte die vertikale Inzision des Knochens mittels Piezotome™ (Acteon, Mettmann) mit einer Tiefe von 10mm. Diese Tiefe ist erforderlich, um eine ausreichende Spreizung der Fragmente ohne Frakturgefahr zu gewährleisten. Auf vertikale Inzisionen des Knochens kann bei ausreichender Präparation verzichtet werden. In dem nun erweiterten Kieferkamm wurden dann drei enossale Implantate mit konischem Profil inseriert, um zu hohe Spannungsspitzen im apikalen Bereich zu vermeiden (Abb. 2). Das Implantat in Regio 14 wurde nach einem Intralift™ im ortsständigen Knochen inseriert. Der Knochenzement VitalOs (Produits Dentaires, Vevey, Schweiz) wird nun in den ossären Spalt eingebracht (Abb. 3). Für den erfolgreichen Einsatz des Materials ist es notwendig, dass der Spalt möglichst blutleer ist, um einen Kontakt des Zementes mit den Knochenwänden zu gewährleisten. Ansonsten besteht die Gefahr, dass das Material vom Blut ausgeschwemmt wird oder ohne Adhäsion an die Wände in dem Spalt verbleibt und eine vollständige knöcherne Durchbauung gefährdet wird. Das Schaffen eines möglichst blutleeren Gebietes ist bei allen augmentativen Prozeduren während der Injektionsphase und initialen Aushärtung des Zementes für eine hohe Vorhersehbarkeit erforderlich. Der postoperative Verlauf stellte sich als unauffällig dar, die ­Patientin hatte keine postoperative Schwellung und nahm prophylaktisch zwei Ibuprofen 600mg.

Nach sechs Monaten Einheilzeit stellte sich ein vollständig rekonstruierter Kieferkamm dar, alle Implantate waren vollständig osseointegriert (Periostwert -3 bis -4) und konnten mit einem CAD/CAM-gefrästen Steg (Abb. 5a, Labor Wolters, Krefeld) versorgt werden. Auf diese Art und Weise konnte der Patientin mit ­lediglich zwei chirurgischen Eingriffen eine optimal zu versorgende Implantatlösung angeboten und ein gaumenfreier Oberkiefertotalersatz eingegliedert werden. Abbildung 5b zeigt die glückliche Patientin. Interessant ist, dass der ­Patientin mehrfach lediglich die chirurgische Lösung mittels intraoraler Blockentnahme oder Beckenkammtransplantat vorgeschlagen worden ist.

Fall 2
Auch bei Insertion von Implantaten mit bukkaler Knochendehiszenz ist der Einsatz des Knochenzementes klinisch erprobt und vorhersehbar einsetzbar. Die Anlagerung des Zementes und der optimale Kontakt zur Implantatoberfläche sind, wie bereits erwähnt, Voraussetzung für eine vollständige knöcherne Durchbauung. Bei makroskopischer und mikroskopischer Darstellung ist die gute Anlagerung des Materials an die Implantatoberfläche zu erkennen (Abb. 6a und 6b). In Regio 11 ist ein massiver bukkaler Defekt zu sehen, welcher simultan mit einem Implantat und bukkaler Augmentation versorgt wurde (Abb. 7 und 8). Eine Überkonturierung des Materials über den Defekt ist zu vermeiden, da es ansonsten nach Aushärtung abgestoßen werden kann. Eine vollständige Regeneration des bukkalen Defektes ist deutlich nach sechs Monaten zu erkennen (Abb. 9).

Weitere Anwendungsbereiche


Das Material kann ebenfalls bei der Sinusaugmentation zum Einsatz kommen. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass es eher bei Sinuslifts mit lateralem Zugang sinnvoll ist, da es unter Sicht und unter kontrollierter Anhebung der Sinusmukosa (Knochendeckel) eingebracht werden sollte. Krestale Zugänge, wie beispielsweise bei dem Intralift™, erfordern Materialien, welche nicht auf hochvisköser Eigenschaften basierend die Anhebung der Schneider’schen Membran garantieren. Bei der Socket Preservation (Abb. 11 und 12) ist wie beschrieben eine Überkonturierung über den Alveolarkamm hinaus zu vermeiden. Die Lappenmobilisation ist hier unumgänglich, da eine Exposition des Materials vermieden werden sollte. Durch die Einblutung von intraossären Blutgefäßen bei der Extraktion kann es mitunter schwierig sein, das Material ohne Gefahr der Ausschwemmung in den Defekt einzubringen.

Die bukkalen Defekte, welche bei der Wurzelspitzenresektion entstehen, können ideal mit dem Material verschlossen werden. Abbildung 13 zeigt die piezochirurgische retrograde Aufbereitung nach erfolgter Resektion des Apex (Acteon, Mettmann). In unserer Praxis wird die Resektionshöhle ebenso wie der Wurzelkanal mit einem Diodenlaser dekontaminiert. Auf diese Art und Weise können Blutungen gleichzeitig gestillt werden und erlauben das Einbringen des Materials in ein trockenes ­Milieu (Abb. 14).

Hyaluronsäure

Die Aufgabe des Zahnarztes, immer mehr auch die extraorale Rehabilitation in Kombination mit Zahnersatz in Erwägung zu ziehen, stellt eine Herausforderung und Möglichkeiten dar, Grenzen der „normalen“ Zahnmedizin zu verlassen. Das Bedürfnis des Patienten nach schönen Zähnen geht weit darüber hinaus und bietet dem Behandler die Möglichkeit, weichgewebige Defizite zu optimieren oder zu korrigieren. Die komplexe Behandlung des Patienten in der Zahnmedizin expandiert in Bereiche, welche vor zehn Jahren nur müde belächelt wurden. Heute werden in einer modernen Zahnarztpraxis nicht nur Implantate gesetzt und Knochen rekonstruiert, sondern auch Ernährungsberatung, Massagen, Kosmetik und Faltenunterspritzung angeboten.

Hyaluronsäure, in der neuen Nomenklatur als HA bezeichnet, ist ein Glykosaminoglykan, das einen wichtigen Bestandteil des Bindegewebes darstellt und im Gewebe als langkettiges Polysaccharid vorliegt. Im Alterungsprozess der Haut verliert diese vor allem Wasser bzw. dessen Bindungsfähigkeit, welche durch die Injektion von Hyaluronsäure durch die hohe Fähigkeit, Wasser zu binden, kompensiert wird. Dieser Effekt hält, je nach Präparat, zwischen sechs und zwölf Monaten an. Moderne Präparate basieren auf NASHA-Basis (nicht-animalischer stabilisierender Hyaluronsäure, aus Bakterien gewonnen). In dem später beschriebenen Fall wurde hochvernetzte Hyaluronsäure (Fa. Filorga, X-HA Volume) eingesetzt (2,5 mDA).

Bei einer 56-jährigen Patientin bestand der Wunsch, die Mundwinkelfalten (Marionettenfalten) unterspritzen zu lassen, um so die Wahrnehmung durch ihre Umwelt (bislang als traurig oder schlecht gelaunt) zu verbessern. Gleichzeitig sollte der Bereich der Rima oris lateral des Tuberculums der Oberlippe augmentiert werden, da er von der Patientin als zu schmal empfunden wurde. Geplant war hier durch Injektion in die Pars intermedia (Übergang Außen-/Innenseite) eine Rotation des Richtung dorsal rotierten Lippenrotbereiches nach ventral. Nach intensiver Aufklärung und Beratung wurden in zwei Schritten die Stellen mit Hyaluronsäure augmentiert. Dieses gestaffelte Vorgehen mit einem zeitlichen Abstand der Behandlungen von einer Woche erlaubt dem Patienten und dem Behandler eine Zweitevaluation der Situation zur Beurteilung der Nachinjektion oder Belassen des Befundes. Hier kann weniger manchmal mehr sein.

Im Seitenprofil fällt die auffallend starke Verlängerung der Pars anguli oris nach caudo-lateral auf und gaben der Patientin das Gefühl des „Marionettenlächelns“, ebenso die Disproportion zwischen Oberlippen- und Unterlippenvolumen (Abb. 15a). In der Frontalansicht fiel auf, dass bei entspanntem Lippenschluss die Patientin nicht vollständig in der Lage war, die Rimae oris in Kontakt mit der Unterlippe zu bringen, da hier eindeutig ein Volumendefizit vorherrschte. Nur durch Aufeinanderpressen der Lippen war ein vollständiger Verschluss der Lippen möglich (Abb. 16a). Durch entsprechende Augmentation der Bereiche konnten die Marionettenfalten eliminiert und die Lippensituation im Verhältnis zur Unterlippe deutlich verbessert werden. Die Patientin war nach zwei Behandlungen sehr zufrieden und gab an, von ihrer Umwelt anders, nämlich positiver, wahrgenommen zu werden (Abb. 16b).

Diskussion

Die Behandlungen „aus der Spritze“, sowohl im intra- als auch im extraoralen Bereich, stellen nicht nur eine Erweiterung im Behandlungsspektrum des Arztes dar, sondern vereinfachen auch viele Behandlungsprozeduren, sowohl für den Arzt als auch für den Patienten. Vorhersehbare Ergebnisse in der augmentativen Chirurgie mit einfach anzuwendenden Augmentationsmaterialien vereinfachen die Behandlung für den Chirurgen.

Die orale Rehabilitation mit Kronen oder Implantaten ist nicht das Ende der Patientenbehandlung. Vielmehr sollte dem Patienten die Möglichkeit gegeben werden, auch im extraoralen Bereich störende Faktoren, wie tiefe periorale Falten, therapieren zu lassen oder um eine dentale Behandlung durch Optimierung im Lippenbereich aufzuwerten. Um eine Seriosität auch in diesem Metier zu etablieren, sollte der Behandler intensiv geschult sein und sich mit entsprechenden Materialien und deren Eigenschaften beschäftigen. Hyaluronsäure hat sich seit Jahren als nebenwirkungsarmes und relativ einfach anzuwendendes Augmentationsmaterial etabliert und bietet dem Behandler die Möglichkeit, dem Patienten durch eine zusätzliche Therapieform noch umfassender und damit professioneller zu behandeln. n

Abbildungen 7 sowie 10a und b mit freundlicher Genehmigung von Dr. Sérgio Alexander Gehrke (Universidade ­Federal de Santa Maria, Brazil).


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