Kieferorthopädie 21.02.2011

30 Jahre Twin Block

Erfahrungen des Geräteentwicklers Dr. Clark

Im Jahre 1977 schuf Dr. William J. Clark eine Apparatur zur Korrektur falscher Bisslagen – den Twin Block. Heute – über drei Jahrzehnte später – stellt der Einsatz dieses Geräts eine der weltweit meistgenutzten funktionskieferorthopädischen Techniken dar. Für das folgende KN-Interview greift der Kieferorthopäde aus Schottland auf seinen umfangreichen Erfahrungsschatz zurück und gibt wertvolle Empfehlungen für den klinischen Alltag.

Welches ist Ihre bevorzugte Altersgruppe beim Einsatz der Twin Block-Apparatur?

Das frühe bleibende Gebiss stellt einen idealen Zeitpunkt für eine Einphasenbe-handlung dar, denn häufig stimmt dieses mit dem pu­bertären Wachstumsschub für eine bes­te Entwicklungsreaktion überein. Gleichwohl kann für Patienten mit einem großen Overjet eine frühe Behandlung indiziert sein, insbesondere dann, wenn die Schneide­zähne vorstehen und anfällig für Brüche sind. Dies erfordert häufig zwei Behandlungsphasen mit einem Finishing, um die Okklusion im bleibenden Ge­biss zu verfeinern.

Welche Tragezeit emp­fehlen Sie (24/7) und was wäre hierbei das Minimum, um positive Effekte zu er­kennen?

Positive Effekte können in­nerhalb der ersten drei Behandlungsmonate beobachtet werden, wobei die Muskelanpassung bei ganztägigem Tragen der Apparatur sehr schnell auftritt. Die Patienten entwickeln eine beständige Lippenkompetenz und beobachten während die­ser Phase deutliche Verbesserungen des Erscheinungsbildes ihres Gesichts.

Mehr Zeit jedoch ist für die knöcherne Anpassung als Re­aktion auf die funktionelle mandibuläre Weiterentwicklung erforderlich. Eine Forschungsarbeit in Adelaide un­ter Verwendung von MRT-Scans bestätigte, dass nach sechsmonatiger Twin Block-Therapie für gewöhnlich die Kondylen in die Fossa gleno­idalis verlagert werden. Um sicherzustellen, dass die knöcherne Umgestaltung in der Fossa glenoidalis abgeschlossen ist, wird empfohlen, das Tragen des Twin Blocks für weitere drei Monate fortzusetzen, bevor auf ein nächtliches Tragen zur Retention reduziert wird oder man mit einer festsitzenden Apparatur fortfährt, sofern dies erforderlich ist.

Der Behandlungszeitraum beim Wechselgebiss ist länger, wobei eine langsame Wachstumsperiode sowie funktionelle Retention erforderlich sein können, um die Korrektur während des Übergangs vom Wechsel- zum bleibenden Gebiss zu erhalten. Zwölf bis 18 Mona­te sollten die Twin Blocks getragen werden, gefolgt von einer Retention für die Behandlung im frühen Wechselgebiss. Nachts können sie dann als Retainer getragen werden.

Bevorzugen Sie die Ein- oder Zweiphasenbehandlung? Und können Sie diesbezüglich ein paar Empfehlungen geben?

Die Wahl zwischen der ein- oder zweiphasigen Therapie hängt vom individuellen Patienten und dem Schweregrad der Malokklusion ab. Patienten mit einer ausgeprägten Klasse II/1-Malokklusion könnten in ihren Ent-wicklungsjahren ein eingeschränktes Selbstbewusstsein entwickeln und somit dem Necken durch ihresgleichen ausgesetzt sein. Auch sind die vorderen Schneidezähne sehr bruchanfällig. Dann ist eine Frühbehandlung zum Reduzieren des Oberjets indiziert, gefolgt – sofern notwendig – von einer zweiten Phase im bleibenden Gebiss. Eine weniger ausgeprägte Malokklusion könnte zunächst akzeptiert und im bleibenden Gebiss dann im Rahmen einer Einphasenbehandlung korrigiert werden.

Was ist Ihr bevorzugter Konstruktionsbiss (Kante-Kante, stimmige Mitten)?

Für einen Overjet bis 10mm bei einem Patienten mit tiefem Überbiss und horizontalem Wachstumsmuster ferti­ge ich normalerweise einen Kante-zu-Kante-Biss an den Schneidezähnen mit 2mm inter-inzisalem Raum. Bei einer ähnlichen Malokklusion mit einem Overjet von mehr als 10mm kann der Patient die Kanten der Schneidezähne (Kante-Kante) nicht bequem treffen und die Registrierung des Anfangsbisses somit zwischen 8 und 10mm liegen, um eine teilweise Reduzierung des Overjets zu erzielen. Nach drei bis vier Monaten, wenn eine Muskelanpassung erfolgt ist, kann der Patient nun bequem einen Kante-zu-Kante-Biss auf den Schneidezähnen ausführen und die unteren Schneidezähne vor den oberen Schneidezähnen schließen. Nun wird eine zwei­te Bissregistrierung wie oben beschrieben genommen – Kante-zu-Kante mit 2mm inter-inzisalem Raum. Die Twin Blöcke werden aktiviert, um die Korrektur abzuschließen.

Patienten mit vertikalem Wachstum und einem anterioren offenen Biss verfügen über eine schwache Musku­latur und können eine große mandibuläre Vorwärtsstellung nicht so leicht beibehalten. Hier ist die Bissregistrierung weniger fordernd und es wird eine schrittweise Aktivierung der Blöcke benötigt. Hierfür kann eine okklusale Schraube in die Blöcke inseriert werden.

Wird die Mehrzahl der Fälle mit einem oder mehreren Twin Blocks erfolgreich abgeschlossen?

In den 33 Jahren, in denen ich den Twin Block anwende, kann ich die Zahl der Fälle, bei denen ich mehr als eine Twin Block-Apparatur angepasst habe, um die Behandlung abzuschließen, an weniger Fingern abzählen, als meine Hände aufweisen.2

Verwenden Sie auch eine alternative FKO-Apparatur?

In einigen Fällen des Wechselgebisses kann ich den Bio-nator wählen, je nach Alter und Entwicklungsstadium. Dies wür­de sich anbieten, wenn die durchgebrochenen Zähne keine adäquate Retention für Halteklammern aufweisen.

Was halten Sie von Twin Block-Modifikationen wie die Bite Jumping Screw?

Ich halte den Einsatz der Bite Jumping Screw zur schrittweisen Vorverlagerung bei Fällen vertikalen Wachstums mit Klasse II-Malokklusion für geeignet. Als ich diese Schraube zum ersten Mal sah, stellte ich sofort fest, dass diese eine Anwendungsmöglichkeit zur stufenweisen Aktivierung der Reverse Twin Blöcke bei der Korrektur von Klasse III-Malok­klusionen haben würde. Die Aktivierung funktionskiefer­orthopädischer Apparaturen zur Korrektur von Klasse III-Anomalien ist begrenzter als bei Klasse II-Fehlstellungen. Der Unterkiefer kann während er sich nach vorn bewegt, nicht zurückgleiten. Die aktive Komponente muss daher in der Apparatur integriert sein. Reverse Twin Blöcke können eine Kombination aus sagittalen Schrauben, Dreiwegschrauben und okklusalen Schrauben verwenden, um den Oberkiefer vorzuschieben. Die Bite Jumping Screw hat eine Aktivierungsspanne von 6mm und ist somit ideal für diesen Zweck geeignet.

Fallbilder einer 14-jährigen Patientin

Die Erweiterung der Maxilla und das Proklinieren der Schneidezähne lösen die Malokklusion auf und erleichtern die Vorverlagerung des Unterkiefers, um die distale Okklusion zu verbessern.

Eine Klasse II/2-Malokklusion mit retroklinierten oberen Schneidezähnen und bukkal verlagerten oberen Eckzähnen erfordert eine Bogenentwicklung, um die verlagerten Eckzähne eingliedern zu können. Eine kurzweilige Behandlung mit Twin Blocks zur Korrektur der distalen Okklusion wird gefolgt vom Einsatz einer transversalen TransForce-Apparatur zur Verbreiterung der maxillären Bogenform und zum Vorschieben der Schneidezähne, damit die Eckzähne eingegliedert werden können. In dieser Phase wird eine feste Apparatur im OK eingebracht, um die kieferorthopädische Korrektur abzuschließen.


 



1 Chintakanon, K, Turker, K.S, Sampson, W, Wilkinson T, & Townsend G, (2000): Effects of Twin-block theapy on protrusive muscle functions. Am. J. Orthod. & Dentofac. Orthop, 118, 392–396.
2 Clark W.J. (2010): Design and management of Twin Blocks: Reflections after 30 years of clinical use. In Press to be published in the Journal of Orthodontics.

Kurse mit Dr. William J. Clark sind auch nach über 30 Jahren Twin Block heiß begehrt. So wird es z.B. am 3./4. Dezember 2010 am Universitätsklinikum Regensburg ein zweitägiges Seminar geben. Nähere Informationen unter www.realkfo.com

Mehr Fachartikel aus Kieferorthopädie

ePaper