Kieferorthopädie 21.02.2011
„Einfachere und effizientere Behandlung durch Miniscrews“
Steigende Patientenwünsche und sich verändernde Therapiemethoden erhöhen die Bedürfnisse nach neuen, einfachen Verankerungssystemen und effizienteren Miniscrews. Die Minimalisierung der Komponenten, die Weiterentwicklung der Technologien und den damit verbundenen Wandel der Therapieansätze erläutert Professor Dr. Young-Cheol Park von der Yonsei Universität in Seoul, Korea, im Gespräch mit den KN Kieferorthopädie Nachrichten.
Die absolute Verankerung verändert die Therapiemethoden der Kieferorthopädie stark. Welche Faktoren haben Ihrer Meinung nach den größten Einfluss bei der Neudimensionierung der Verankerungsmaßnahmen?
Die absolute Verankerung, die momentan sehr viel Aufmerksamkeit erregt, hat mit ihren Mechaniken das Feld der Kieferorthopädie stark erweitert und so die Realisierung neuer Paradigmen und Behandlungskonzepte ermöglicht. Es ist mechanischen und biologischen Beschränkungen geschuldet, dass das klinische Erreichen des idealen Behandlungsziels bisher nicht so einfach war. Aufgrund der Miniimplantate hängt mittlerweile die Kontrolle über die Verankerung weder vom Verfahren selbst noch von der Kooperation des Patienten ab. Somit ist die Kontrolle über die dreidimensionale Zahnbewegung relativ einfach geworden. Im Zuge dessen hat sich auch die Breite von Behandlungsmöglichkeiten vergrößert, da eine sehr präzise Behandlung möglich geworden ist.
Bisher wurden kieferorthopädische Mechaniken und Behandlungen anhand der Verankerungskontrolle geplant. Mit dem Ansteigen der Ansprüche an die Paradigmen und Behandlungskonzepte (schneller, effizienter, ästhetischer) stieg auch das Bedürfnis nach einem einfachen Verankerungssystem. Mit der absoluten Verankerung ist es nun möglich, eine Behandlung zu verfolgen, die auf Behandlungsziel orientierten Paradigmen basiert.
Abb. Eine biomechanisch effiziente kieferorthopädische Behandlung ist nicht nur durch den unabhängigen Gebrauch von Miniscrews möglich geworden, sondern auch durch deren Kombination mit herkömmlichen Verankerungssystemen.
Viele bisherige Verankerungsmaßnahmen, die jeder Kieferorthopäde in seiner Ausbildung gelernt hat und die lange als Standard gegolten haben, werden ineffektiv gegenüber der absoluten Verankerung mit Minischrauben. Welche Einflüsse hat das auf das Appliance-Design?
Erstens wurde das Appliance-Design vereinfacht. Das ermöglicht einen höheren Tragekomfort für den Patienten und eine wesentliche Verbesserung der oralen Hygiene durch die Verkleinerung der Appliance. Zweitens können Miniscrews ohne anatomische Beschränkungen überall eingesetzt werden. Dadurch kann Kraft in jede gewünschte Richtung ausgeübt, das Appliance-Design vereinfacht und die Kraft allgemein effizienter angewandt werden. Drittens wird die Compliance der Patienten minimalisiert. Es bedarf keinerlei Kooperation und die Akzeptanz wird wesentlich erhöht, da sich das ästhetische Erscheinungsbild gegenüber anderen Apparaturen, wie z.B. Headgear, erheblich verbessert hat. Eine biomechanisch effiziente KFO-Behandlung ist somit nicht nur durch den unabhängigen Einsatz von Miniscrews möglich geworden, sondern gerade auch durch die Kombination mit der herkömmlichen Verankerungen.
Werden zukünftig vorwiegend vermehrt Miniscrews zur Anwendung gebracht, um die Apparaturen kleiner und differenzierter halten zu können?
Wie erwähnt, ermöglichen Miniscrews eine einfachere und effizientere Behandlung, die der Kooperation der Patienten nicht bedarf. Allerdings wird der Behandler in manchen Fällen auch davon absehen, weitere Implantate zu setzen, einfach aus Sorge um Unannehmlichkeiten für den Patienten oder Misserfolge nach Setzung der Implantate. Laut einer statistischen Untersuchung der Abteilung für KFO an der Yonsei Universität (Korea) belief sich die Fehlerrate auf lediglich 8,2%, was für eine kieferorthopädische Behandlung durchaus vertretbar ist. Daher sollte das nachhaltige Einbeziehen von Miniscrews in die Appliance-Gestaltung aus Simplizitäts- und Effizienzgründen durchaus in Betracht gezogen werden. Im Vergleich zu anderen Verfahren skelettaler Verankerung unterliegen Miniplatten und Miniscrews weit weniger Beschränkungen, was den Ort der Anwendung und Implantation selber betrifft. Die folgenden zwei Fälle sind Beispiele für eine Vereinfachung des Appliance-Design durch den Einsatz von Miniscrew-Implantaten.
Fall 1: In diesem Fall fanden wir eine Verengung der Maxilla vor, nutzten also eine RPE-Appliance zur Weitung. Splinting und Intrusion des oberen Molaren wurden nach der Platzierung des Implantats nur auf der bukkalen Seite vorgenommen. Die Intrusion der posterioren Zähne konnte so sehr effektiv ausgeführt werden.
Fall 2: In diesem Fall wurde die Intrusion durchgeführt, indem Miniscrews auf der bukkalen und palatalen Seite implantiert wurden. Die Intrusion konnte effektiv durchgeführt und das Appliance-Design vereinfacht werden, da Kräfte auf beiden Seiten angewandt wurden.
Links Fall 1: Im folgenden Fall fanden wir eine Konstriktion der Maxilla vor, sodass wir eine RPE-Vorrichtung zur Expansion nutzten. Das Splinting und die Intrusion in den oberen Molaren wurde nach bukkalseitigem Einsetzen des Implantats vorgenommen. Die Intrusion der posterioren Zähne verlief erfolgreich. Rechts Fall 2: In diesem Fall wurde die Intrusion durch das Implantieren von Minischrauben sowohl auf der bukkalen als auch auf der palatinalen Seite vorgenommen. Die Intrusion verlief erfolgreich und das Appliance-Design konnte vereinfacht werden, da Kraft auf beiden Seiten angewandt werden konnte.
Wie kombinieren bzw. ergänzen sich Gleitmechanismen, geringer Kraftaufwand und absolute Verankerung im neuen Konzept der Orthodontie?
Die en masse-Retraktion der vorderen Zähne durch Gleitmechanismen wurde mit dem Einsatz von voreingestellten Hilfsmitteln weithin gebräuchlich. Aber die en masse-Retraktion verursacht einen Rückgang der Verankerung. Wenn wir also in diesen Fällen eine absolute Verankerung gewährleisten könnten, ist es möglich, die Behandlungszeit zu verkürzen und gleichzeitig die sechs vorderen Zähne zu retrahieren. Seit wir nun aber die Miniscrews für die Verankerung implantieren und in Verbindung mit Gleitmechanismen verwenden können, umgehen wir das Widerstandszentrum und erreichen so eine Verschiebung. Mit dem Reduzieren der Wechselfrequenz der Bogendrähte reduziert der Behandler auch die Zeit, die der Patient im Stuhl verbringt. Patienten werden sich mehr als zufrieden mit der schnellen Veränderung des Erscheinungsbildes zeigen und so wesentlich besser kooperieren.
Sind Kombinationen vom Skeletal Anchorage System (SAS) und Absolute Anchorage System zusammengehörig oder kann man die Verankerungsformen trennen, kombinieren oder gegenseitig ersetzen? Wo genau liegen aus Ihrer Sicht die Grenzen?
Das Absolute Anchorage System gewährleistet, dass unbewegliche Teile zur Verankerung benutzt werden können. Wenn wir extraorale Hilfsmittel, Implantate oder Onplants verwenden, vermeiden wir ungewollte Bewegungen. Herausnehmbare Apparaturen haben den Nachteil, dass sie der starken Kooperation der Patienten bedürfen und jeden Tag neu angewandt werden müssen. Daher haben sich Miniimplantate mittlerweile weitestgehend durchgesetzt. Die skelettale Verankerung hat sich als Teil der absoluten Verankerung nicht nur in der Kieferorthopädie, sondern auch in beinahe jedem anderen Feld durchgesetzt.
Ganz allgemein bedeutet das kieferorthopädische Implantatsystem eine skelettale Verankerung; im engeren Sinne meint man damit ein System, das aus skelettaler Verankerung und Schrauben besteht. Der Begriff der Knochenverankerung hat eine weitere Verbreitung als der der skelettalen Verankerung. Die Miniscrews, die wir am KFO-Institut der Universität von Yonsei verwenden, können mit der Miniplatte verglichen werden: Es gibt keinerlei anatomische Beschränkungen, sie kann an jedem Ort eingesetzt werden und seit das chirurgische Vorgehen vergleichsweise einfach geworden ist, kann die Beeinträchtigung des Patienten auf ein Minimum reduziert werden. Zusätzlich sind Miniscrews wirtschaftlich günstig und ermöglichen durch ihre geringen Ausmaße eine bessere Oralhygiene. Es gibt Bedenken über den Verankerungswert der Miniscrews, doch sie bieten die 250–350 g Widerstand, den man in der KFO benötigt.
Führen die neuen Verankerungsverfahren zu minimierten Apparaturen, die jeweils an den benötigten Stellen mit kleinen Teillösungen in Miniform existieren werden? Oder bleibt die Multibracketapparatur weiterhin eine der am meisten angewandten?
Eine solide Verankerung verhindert reaktive Zahnbewegungen, die von der Planung bis zum Verlauf der Behandlung ein neues Paradigma, neue Behandlungskonzepte, eine gänzlich neue Behandlung ermöglicht. Folglich können Miniscrews die Verankerung herstellen, während die Zahnbewegung aber durch Brackets erreicht wird, die nur an den nötigsten Stellen angebracht werden. Es konnte außerdem, ganz abgesehen von unterstützender Behandlung, bei Patienten mit leichteren Fällen von Engstand oder Rotation die Protrusion mit einem Minimum von Hilfsmitteln und Miniscrews behandelt werden, ohne dass Brackets benötigt wurden.
Allerdings sollte nach wie vor die Anwendung von Multibrackets in Betracht gezogen werden, wenn ein Fall von umfangreichen Problemen vorliegt. Die effektivste und erfolgreichste Behandlung wird sicherlich erreicht, wenn konventionelle Hilfsmittel und Miniscrews zweckmäßig miteinander kombiniert werden.