Prophylaxe 24.08.2016

Air-Polishing – vom Power-Cleaning zum Biofilmmanagement



Air-Polishing – vom Power-Cleaning zum Biofilmmanagement

Foto: © Initiative proDente e.V.

Teil 1

Die Air-Polishing-Methode ist inzwischen zu einem fundamentalen Behandlungsbestandteil bei Zahnreinigung und Biofilmentfernung geworden. Das Indikationsspektrum für Pulverstrahl­anwendungen hat sich in den letzten Jahren enorm erweitert. Die vielfältigen neuen Erkenntnisse und Empfehlungen haben aber noch nicht die nötige Akzeptanz in den Zahnarztpraxen gefunden. Für eine bestmögliche zeitgemäße Patientenversorgung ist das aktuelle Wissen über Pulverstrahlanwendungen als wichtiger und effizienter Pfeiler in der Prophylaxe und Parodontologie ­unentbehrlich. Dieser Beitrag gibt eine Übersicht über die aktuell verfügbaren Pulver und deren Anwendungsempfehlungen und soll eine Orientierungshilfe sein bei Auswahl und Bewertung der Präparate für den individuellen Einsatz in der Praxis.

Seit mehr als 25 Jahren zählt der routinemäßige Einsatz von Pulverstrahlgeräten zur Reinigung und Politur von Zahnoberflächen in der prophylaktischen Zahnheilkunde zum Behandlungsstandard. Die enormen Fortschritte bei der Entwicklung innovativer Pulver und neuer Applikationsmöglichkeiten für Luft-Pulver-Wasser-Gemische (LPWG) haben zu einer früher nicht für möglich gehaltenen Indikationserweiterung, hoher Anwendungssicherheit und nicht zuletzt zu höherer Patientenakzeptanz geführt. Die anfänglichen Bedenken hinsichtlich hohem Substanzabtrag, Gingivaschädigung, Ausschluss subgingivaler Anwendung, Schmerzen bei und nach Anwendung, salzigem Geschmack, Gefahr durch Aerosol sowie allgemeinmedizinischen Risiken können heute bei gewissenhafter Anamneseerhebung durch adäquate Schutzmaßnahmen, alternative Pulver sowie Applikations- und Hardwareverbesserungen i.d.R. ausgeräumt werden. Dabei ist nach wie vor die korrekte Anwendung nach Herstellerempfehlungen in Bezug auf Pulverauswahl, Dauer, Häufigkeit, Lokalisation, Handstückbewegungen, Abstand, Strahlwinkel, Düsenauswahl, Absaugtechnik sowie Wasser-, Luftdruck und Kammerbefüllung zu beachten.



Abrolleffekt von kugelförmigen Kalziumkarbonat-Partikeln. (Bild: © KaVo Dental GmbH)

Anwendungsspektrum für Air-Polishing

Durch die heute zur Verfügung stehenden Pulver beschränkt sich die Air-Polishing-Anwendung nicht mehr auf reine Reinigungsmaßnahmen. Ziel ist die Beseitigung des Biofilms sowohl supra- als auch subgingival in Verbindung mit der Schaffung geglätteter Oberflächen. Man geht davon aus, dass die klinischen Ergebnisse umso besser sind, je glatter die Zahnoberfläche ist. Das gilt für Schmelzareale ebenso wie auch für gingivanahe und subgingivale Bereiche: Plaque bildet sich schneller auf einem eher rauen Gewebe und auch die Entfernung von Plaque gelingt leichter auf einer polierten Oberfläche.

Indikationen:

  • Entfernung extrinsischer Verfärbun­gen, wie Raucher-, Kaffee- und Teebeläge, z. B. durch Mundspüllösungen (Chlorhexidin)
  • Reinigung mit Entfernung der Cuticula dentis vor Konditionierung bei adhäsiven Maßnahmen (Fissurenversiegelung, KFO-Klebemaßnahmen)
  • Entfernung feiner Restablagerungen auf Zahn- und Wurzeloberflächen nach Schall-/Ultraschallanwendung bzw. erfolgtem Scaling/Root Planing (SRP)
  • Entfernung bzw. Zerstörung der Struktur des subgingivalen Biofilms im Rahmen der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) bzw. paro­dontalen Erhaltungstherapie (PET)
  • Reinigung, Politur und Biofilmmana­gement von Implantatoberflächen

Heute vermag die Pulverstrahlanwendung eine aufwendigere und traumatisierende Entfernung des subgingivalen Biofilms mittels Handscaler bzw. Ultraschallinstrumenten in einigen Fällen bereits zu ersetzen.1 Das in der Parodontitistherapie vorrangige konsequente Debridement der Wurzeloberflächen mit vollständiger Beseitigung vorhandener Konkremente erfordert nach wie vor ein mechanisch-instrumentelles Vorgehen. Wesentlich entscheidend für die Effekte beim Air-Polishing sind die verwendeten Pulver, deren Reinigungswirkung primär durch ihr Abrasionspotenzial bestimmt wird in Abhängigkeit von:

  • Härtegrad der Pulverpartikel
  • (Partikel-)Korngröße
  • Partikelform
  • Kontaktzeit des Pulversprays mit der Zahnoberfläche
  • Spraydruck
  • Aufprallwinkel
  • Konzentration und Menge

Pulverarten und -eigenschaften

Folgende Pulver stehen zur Verfügung:

  • Klassische grobe Pulver mit hohem Abtrag zur Beseitigung hartnäckiger supragingivaler Ablagerungen und Verfärbungen am Schmelz:
  • Basis: Natriumbikarbonat (NaHCO3)
  • Spezielle schwer oder nicht wasserlösliche Pulver für besondere Indikationen oder als Alternativpräparate zum Einsatz bei starken/mittelstarken Schmelzbelägen:
  • Basis: Kalziumkarbonat (CaCO3)
  • Basis: Aluminiumtrihydroxid (Al[OH]3)
  • Basis: Kalzium-Natrium-Phosphosilikat (CaNaO6PSi)
  • Wasserlösliche niedrigabrasive „Soft- und Periopulver“ für die Entfernung dezenter Beläge auf Schmelz, Dentin, Wurzelzement und Implantat­oberflächen, auch gingivanah, sowie zur subgingivalen Anwendung mit Spezialdüsen:
  • Basis: Glycin (C2H5NO2)
  • Basis: Erythritol
  • ([2R,3S]-butan-1,2,3,4-tetraol)

Natriumbikarbonat-Pulver

Das in den Praxen meistverwendete Reinigungspulver der ersten Generation wirkt stark abrasiv. Besonders bei der Entfernung sehr hartnäckiger Zahnverfärbungen (Raucherbeläge) lässt sich ein sehr guter Effekt erzielen. Wegen der verbleibenden rauen Oberfläche sind nachfolgend immer zwingend zusätzlich weitere Politurmaßnahmen erforderlich. Die einzelnen Kristalle haben eine scharfkantige unregelmäßige Form (Partikelgröße Ø 65[40]–250 µm, Härtegrad Mohs 2,8–3). Die Anwendung ist auf Schmelzareale begrenzt (Cave: Dentin und Gingiva) und sollte nicht häufiger als zweimal jährlich erfolgen. Der Spraystrahl darf nicht im rechten Winkel auf die Zahnoberfläche auftreffen und soll vom Gingivarand weggerichtet sein (Abb. 1).

Die Spraykontaktdauer beträgt maxi­mal fünf bis sieben Sekunden pro Areal bei einem Abstand zur Zahnfläche von 3–4 mm. Bisweilen treten Schmerzempfindungen auf. Kleinere Korngrößen (Ø ≈ 40 µm) verringern diese laut Herstellerangaben. Bei Anwendung von Na-Bikarbonat wird die Cuticula dentis (Schmelzoberhäutchen, Pellikel) komplett entfernt. Dies begünstigt die Konditionierung bei adhäsiven Maßnahmen. Zur Vermeidung von Verfärbungen nach Pulverstrahlbehandlung mit Natriumbikarbonat sollte aus diesem Grunde aber für zwei bis drei Stunden auf den Konsum von Kaffee, Tee, Rotwein sowie auf das Rauchen verzichtet werden.

Substanzschädigungen an Restaurationen (Keramik, Kunststoff, GIOZ, Komposit, Gold, ­Titan) in Form von Zerkratzen, Erosion oder Randspaltbildung müssen vermieden werden.2 Das wasserlösliche Pulver führte in der Vergangenheit häufig zum Verschmieren und Verstopfen der Handstück­düsen. Trotz Beimischung hydrophober Substanzen und separater Pulver- und Wasserkanalführung bei neueren Geräten ist der Wartungsaufwand erhöht. Der unangenehme salzige Geschmack kann durch Zusatzstoffe entschärft werden (Allergieanamnese beachten). Für natriumsensible Pa­tien­ten bestehen einige Kontraindikationen, welche in Teil 2 des Artikels betrachtet werden.

Produkte:
AIR-FLOW® Pulver CLASSIC, AIR-FLOW® Pulver CLASSIC COMFORT – Ø 40 µm (EMS); Air-N-Go® Classic (ACTEON); C&P Air Polishing Powder (3M ESPE); ­Cavitron® Prophy-­Jet Pulver (DENTSPLY);
Clean-Jet® Pulver (Hager & Werken); LM-Sodium B (LM-Dental AB); Omniflow
(Omni­dent); Powder Max® (Satelec–ACTEON); PROPHYflex® Pulver (KaVo);
Prophy-Mate® Cleaning Powder (NSK); SPEIKO Prophy­laxe-Pulver (SPEIKO)

Kalziumkarbonat-Pulver

Die sphärisch angeordneten Kristalle (Korngröße 45 µm, max. 100 µm) sind weniger kantig als Natriumbikarbonat-Partikel. Die Reinigungswirkung ist gut (komplette Pellikelentfernung), der „Rolleffekt“ abgerundeter Partikel (Kugeln, Pearls) soll auch bei ungünstigem Strahlwinkel geringere Schmelzschäden sowie eine Aerosolreduktion bewirken (Abb. 2). Die Anwendung wird als sanfter empfunden. Auf eine Nachpolitur sollte nicht verzichtet werden. Ein positiver Effekt ist das seltenere Verklumpen und Verstopfen von Düsen, allerdings ist ein häufigeres Reinigen der Absaugsysteme (Schläuche/Amalgamabscheider) erforderlich, da das Pulver kaum wasserlöslich ist. Die Verwendung von Kalziumkarbonat-Pulver ist eine Alternative bei notwendigem Verzicht auf natriumhaltige Pulver. Unlösliche Kalziumverbindungen können ein medizinisches Risiko bedeuten (siehe Teil 2).

Produkte:
Air-N-Go® Pearl (ACTEON); PROPHYpearls®, PROPHY Super­pearls® mit Xylitol (KaVo); FLASH ­pearl (NSK); LM-Calcium-C (LM-Dental AB)

Aluminiumtrihydroxid-Pulver
Ursprünglich fand Aluminiumpulver Verwendung in der Kariestherapie (kinetische Präparation). Es ist stark abrasiv (Ø 70–320 µm – ähnlich Natriumbikarbonat) und hat einen hohen Härtegrad (Mohs 4+). Die Anwendung an zahnärztlichen Restaurationen (Zemente, GIOZ, Adhäsiv-Komposite, Keramik) ist problematisch. Mit reduzierter Korngröße (Ø < 70 µm) kann Aluminiumpulver zur Beseitigung von hartnäckigen Verfärbungen in der Prophy­laxe eingesetzt werden (auch als Alternative zu Natriumbikarbonat-Pulver).

Produkt:
Cavitron® JET-Fresh Powder (DENTSPLY)

Kalzium-Natrium-Phosphosilikat-Pulver
Das bioaktive Glas (NovaMin®) bildet in wässriger Lösung Hydroxycarbon­apatit (schmelzähnliche Oberflächenstruktur) auf geschädigter Zahnhartsubstanz (Remineralisation). Offenbar besteht ein stärkerer Aufhellungseffekt im Vergleich zu Natriumbikarbonat. Die Korngröße variiert zwischen 150 und 280 µm, Mohs-Härte 4+. Ein wichtiger zusätzlicher Effekt ist die Reduktion von Dentinhypersensibilität durch Verschluss von Dentintubuli (Desensibilisierung).3 Die Ergebnisse bei der Beseitigung von Verfärbungen und Ablagerungen sind gut. Das Pulver darf nicht subgingival angewendet werden. NovaMin®-Pulver ist nicht für alle Handstücke geeignet. Für die punktuelle Applikation steht ein spezieller „SmarTip“ zur Verfügung. Aufgrund seines sehr geringen Natriumgehalts ist das Pulver auch für Hypertoniker und natriumsensible Patienten geeignet. Nicht anwenden bei bekannter Kieselsäureallergie.

Produkt:
Sylc® (OSspray)

Glycin-Pulver
Das wasserlösliche Glycin (Glykokoll, Aminoessigsäure) zählt zu den essenziellen Aminosäuren. Der Geschmack ist leicht süß. Aufgrund der geringen Korngröße des Pulvers sind kaum Schädigungen der Zahnhartsubstanz oder an Restaurationen zu erwarten. Glycin-Pulver zeigt gegenüber konventionellem Natriumbikarbonat eine 80 Prozent geringere Abrasivität auf der Zahnoberfläche4 und hat die Prophylaxe und speziell die parodontale Therapie und Nachsorge revolutioniert.5 Sein Einsatz ist supragingival („Soft“-Pulver: Ø ≈ 65 µm) bei leichten bis mittleren Verfärbungen, zur Zahnpolitur sowie auch subgingival („Perio“-­Pulver: Ø ≈ 18–25 µm)6 und im periimplantären Bereich möglich.1,4,7–9 Die in der Vergangenheit fast uneingeschränkt gegebene Empfehlung zum Einsatz von Glycin-Pulver der ersten Generation (Korngrößen von 65 µm) auch für subgingivale Anwendungen gilt nicht mehr. Bei flachen Taschen ≤ 3 mm kann der Spraystrahl in den Sulkus gerichtet werden. In mitteltiefen moderaten Taschen (≈ 3–5 mm) lässt sich unter Verwendung spezieller Düsen (siehe Teil 2) Perio-Pulver direkt in der Zahnfleischtasche anwenden. Der subgingivale Biofilm wird mit Glycin-Pulver schneller und schonender als mit Hand- oder Ultraschallinstrumenten entfernt7,9–14 oder zumindest dessen dreidimensionale Struktur zerstört.15

Produkte:
AIR-FLOW® Pulver SOFT – Ø 65 µm, AIR-FLOW® Pulver PERIO – Ø 25 µm (EMS); Air-N-Go® Perio (ACTEON),
ClinPro™ Prophy Powder (3M ESPE); LM-Glycine – Ø 25 µm (LM Dental AB);
MECTRON GLYCINE POWDER – Ø 25 µm
(mectron); Omniflow soft – Ø 65 µm, Omniflow PERIO pro – Ø 25 µm (Omni­dent); Perio-Mate Powder – Ø 25 µm (NSK); PROPHYflex® Perio Powder – Ø 18–22 µm (KaVo)

Erythritol (Erythrit)-Pulver

Erythrit (ein Zuckeralkohol) wird gewonnen durch mikrobiologische Umwandlung (Fermentation) natürlicher Zucker. Erythrit ist jedoch nicht kariogen, da keine Metabolisierung durch orale Bakterien erfolgt. Das wasserlösliche Erythrit ist als Nahrungsmittelzusatz uneingeschränkt zugelassen.16 Für die Verwendung als Air-Polishing-Pulver in der Zahnheilkunde ist Erythritol europaweit anerkannt, in den USA wird die Zulassung für 2017 erwartet. Allergien sind bisher nicht bekannt (Cave: CHX-Allergie). Aufgrund der ge­ringen Korngröße von ≈ 13–14 µm entsteht ein besonders dichter Pulverstrahl, Erythrit-Pulver wirkt daher besonders schonend. Es scheint zudem die Biochemie des Biofilms zu beeinflussen, über antimikrobielle Eigenschaften wurde außerdem berichtet.5,16,17 Das beigemischte Chlorhexidin dient primär der Stabilisierung des Pulvers und hat kein therapeutisches Ziel.17 Erythritol-Pulver-Wasser-Gemische können unproblematisch gingivanah am Taschen­eingang sowie auch gezielt innnerhalb der Tasche appliziert werden.5 Erythrit-Pulver eignet sich sowohl zur Entfernung von leichten Belägen und Verfärbungen, zur Zahnpolitur sowie zur Biofilmentfernung in flachen und mittleren (moderaten) Taschen8 (laut Herstellerangaben auch bei Taschentiefen bis 10 mm) und auf Implantat­oberflächen.5,8,16,17

Produkt: AIR-FLOW® Pulver PLUS mit Chlorhexidin-­Zusatz 0,3 % (EMS)

Im zweiten Teil werden spezielle Aspekte subgingivaler Anwendung, allgemeinmedizinische Kriterien, Konsequenzen für die Praxis und Praxisakzeptanz betrachtet sowie ein Indikationsüberblick und abschließend ein Ausblick gegeben.

Die Autoren versichern, dass keinerlei Interessenskonflikt besteht.

Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.

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