Branchenmeldungen 21.02.2011
BZÄK gegen Rationierung von Narkoseleistungen bei Kindern
Bewertungsausschuss beschließt ab Januar 2009 Rationierung von Gesundheitsleistungen zu Lasten der Schwächsten
Beschluss zu Änderungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) durch den Bewertungsausschuss nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V mit Wirkung zum 01. Januar 2009
Auswirkungen der Einführung fallzahlabhängiger Regelleistungsvolumina (RLV) im kassenärztlichen Bereich auf die zahnärztliche Versorgung von Kindern bis zu zwölf Jahren und von Menschen mit Behinderungen
1. Sachstand
Der Bewertungsausschuss nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat mit Wirkung zum 01. Januar 2009 die gesetzlich vorgesehene Einführung von Regelleistungsvolumina (RLV) für Vertragsärzte beschlossen. Betroffen sind davon auch die Anästhesisten. Die Einführung der RLV gilt deshalb ebenso für die Abrechnung von Narkosen bei zahnärztlichen Eingriffen nach Kapitel 5 des EBM. Die Systematik der RLV führt speziell in der Fachgruppe Anästhesie dazu, dass wegen der statistischen Mittelung innerhalb des RLVs nur die Grundleistungen erfasst und honoriert werden. Da die ambulanten Vollnarkosen zu zahnärztlichen Eingriffen nach den Beschlüssen des Bewertungsausschusses innerhalb dieses RLVs zu erbringen sind, gibt es hierfür praktisch kein Honorar mehr. So sollen für ambulant tätige Anästhesisten bei zahnärztlichen Narkosen ab Januar 2009 über die dann geltenden RLV künftig nur noch 29 bis 49 Euro gezahlt werden, unabhängig von der Dauer der Narkose. Von dieser Summe müssen noch Materialausgaben von mind. 15 bis 25 Euro bestritten werden. Mit dieser vom Bewertungsausschuss beschlossenen Honorarabsenkung ist die häufig notwendige Vollnarkose im Rahmen der Zahnbehandlung von Menschen mit Behinderungen, von Kindern bis zu einem Alter von zwölf Jahren sowie von Menschen mit einer Zahnbehandlungsphobie nicht mehr ausreichend finanziert.
2. Wer ist betroffen und was sind die Folgen dieses Beschlusses?
Es droht eine eklatante zahnärztliche Versorgungslücke sowohl bei kleinen Kindern mit schweren kariösen Gebisszerstörungen und erblichen Zahnerkrankungen, aber auch von extrem ängstlichen und behinderten Kindern als auch für erwachsene Menschen mit Behinderungen sowie von Menschen mit einer Zahnbehandlungsphobie. Bis zu 15 Prozent der deutschen Kleinkinder leiden an schweren Zahnproblemen, die oftmals nur unter ambulanter Narkose behoben werden können. Betroffen sind ca. 70.000 Kinder pro Geburtsjahrgang. In Deutschland leben rund 1,67 Millionen Menschen, denen eine 100%ige angeborene oder erworbene Behinderung bescheinigt wird. Die Zahl mit einer amtlich anerkannten angeborenen Behinderung (Grad der Behinderung 50-100%) umfasst etwa 310.000 Personen. Zirka 40 Prozent zahnärztlichen Behandlungen müssen hier in Allgemeinanästhesie erfolgen. Als Folge der neuen Rahmenbedingungen wird keine qualitative zahnärztliche Versorgung mehr möglich sein. Es droht eine Ausgrenzung der Kleinkinder und der Menschen mit Behinderungen von einer medizinisch notwendigen Behandlung. Die ausbleibende zahnärztliche Behandlung infolge der nicht erbrachten Anästhesie hat für diesen Personenkreis die Konsequenz, dass das Kauen und Sprechen in Verbindung mit psychosozialen Einschränkungen, erschwert wird. Eine Nicht-Behandlung kann weitere allgemein- und zahnmedizinische Beeinträchtigungen nach sich ziehen:
- Bakterienherde an kranken Zähnen schädigen den Kieferknochen und beeinflussen die Allgemeingesundheit negativ.
- Verstärkte Schlaf- und Essstörungen, Einschränkungen des Immunsystems und HNO-Probleme ziehen weitere Behandlungen nach sich.
- Folgekosten für Zahnersatz und/oder Kieferorthopädie im Erwachsenenalter sind wahrscheinlich.
- Psychosoziale Störungen im Jugend- und Erwachsenenalter sind zu erwarten.
3. Fazit
Die beschlossene, radikal abgesenkte Vergütung einer Narkose bei der zahnärztlichen Behandlung von unter 12-Jährigen Kindern und von Menschen mit Behinderungen deckt weder die Materialkosten noch die Kosten für eine Anästhesieschwester. Durch die neuen Regelleistungsvolumina sinkt das Honorar der Narkoseärzte bei zahnärztlichen Eingriffen gegen Null. Eine Narkose wird unter diesen Umständen nicht erbracht und die erkrankten Zähne deshalb nicht behandelt werden können. In diesem Fall sind kleine Kinder und behinderte Patienten die Leidtragenden.
4. Lösungsvorschläge
Die Vergütung der Narkoseleistungen bei zahnärztlichen Eingriffen bei kleinen Kindern und bei Menschen mit Behinderungen muss angemessen sein. Daher muss der Beschluss des Bewertungsausschusses nach § 87 Abs. 1 Satz 1 SGB V zur Einführung von Regelleistungsvolumina für die Abrechnung von Narkosen bei zahnärztlichen Eingriffen nach Kapitel 5 EBM, der mit Wirkung zum 01. Januar 2009 gefasst wurde, rückgängig gemacht werden. Die zahnärztliche Behandlung dieses Patientenklientels ist in der GKV, dem deutlich erhöhten zeitlichen, personellen, räumlichen und apparativen Aufwand entsprechend, besser zu honorieren, und zwar außerhalb von Budget und Degression. Die Budgetierung für die Zahnbehandlung von Kindern und von Menschen mit Behinderungen ist aufzuheben. Ein Ausweg könnten Sondervereinbarungen zwischen den ambulant tätigen Anästhesisten und den Krankenkassen sein oder die gleiche Vergütung wie bei Narkosen zu anderen ambulanten Eingriffen/Operationen.
Quelle: Bundeszahnärztekammer, 12.01.09