Branchenmeldungen 16.09.2015
„Die Olympischen Spiele der Kieferorthopädie“
Vom 27. bis 30. September 2015 findet im ExCel in London der 8. International Orthodontic Congress (IOC) der World Federation of Orthodontists (WFO) statt. KN sprach mit Tagungspräsident und Kieferorthopäde am Chesterfield Royal Hospital Dr. Jonathan Sandler.
Es werden ca. 5.000 Teilnehmer beim International Orthodontic Congress (IOC) in London erwartet. Erfüllt diese Zahl Ihre Erwartungen?
Die Messlatte für uns ist der World Orthodontic Congress in Paris im Jahre 2005, wo einst über 8.000 Teilnehmer verzeichnet werden konnten. Insofern hoffe ich immer noch, dass wir uns vielleicht sogar der Zahl 10.000 nähern können. Denn in 2005 waren, soweit ich gehört habe, selbst acht Wochen vor Kongressbeginn erst 800 Leute registriert gewesen. Insofern hoffen wir, dass uns die Teilnehmer in den nächsten vier, fünf Wochen regelrecht überrennen. Wir sind im Augenblick gut dabei, die Tagung in Sydney hatte rund 4.000 Teilnehmer, sodass wir den letzten IOC im Jahre 2010 schon jetzt übertroffen haben. Wir sind also sehr zuversichtlich, dass wir die Zahlen bedeutend steigern können.
Wie viele Teilnehmer erwarten Sie aus Großbritannien?
Es gibt rund 1.800 Kieferorthopäden im Vereinigten Königreich und sicherlich wird die überwiegende Mehrheit von denen dabei sein, worüber wir uns sehr freuen. Ich glaube, Europa bleibt unser größter Markt, auch wenn der Ferne Osten und Australasien auch gut dabei sind.
Nordamerika und Europa stellen kieferorthopädische Schwerpunkte dar. Wenn man nun das große Interesse von Zahnärzten außerhalb Europas betrachtet, hat der Fachbereich KFO im Rest der Welt an Bedeutung gewonnen?
Sicher, jeder möchte in diesen Fachbereich. Bis vor Kurzem kamen in Großbritannien auf jede freie Stelle zehn Bewerber. Es ist es eben eine unglaublich beliebte Spezialisierung. Sie stellt einen wunderbaren Lifestyle dar. Ist man Kieferorthopäde, sind die Patienten erfreut, wenn man ihnen sagt, dass man etwas für sie tun kann. Gehen Patienten hingegen zum Allgemeinzahnarzt, hoffen sie, dass dort nichts gemacht werden muss. Das ist einer der Anreize unseres Berufsstandes, dass die Patienten dankbar sind für das, was wir tun. Wir verändern das Leben der Leute, was sich fantastisch lohnt. Kieferorthopäden werden zudem stattlich bezahlt, was natürlich wunderbar ist.
Das hört sich so an, als dass der Fachbereich in diesem Land gut dabei ist?
Ja, das ist er. Er stellt immer noch eine freie Anlaufstelle für den Großteil der Bevölkerung dar. Die meisten Patienten müssen aktuell nicht direkt zu den Kosten kieferorthopädischer Versorgung beitragen, was einen tollen Service im Vergleich zu den meisten anderen Ländern Europas, ja sogar der ganzen Welt darstellt. Das komplette Spektrum der Kieferorthopädie wird den Patienten also durch unglaublich gut ausgebildete Spezialisten zuteil. Insofern denke ich, dass die Kieferorthopädie auf einem großartigen Stand ist.
Neue Techniken haben die Türen für Allgemeinzahnärzte geöffnet. Wie ist Ihre Meinung zum Thema Kurzzeit- oder Sechs-Monats-KFO?
Ich glaube, eines der größten Bedenken aller traditionell tätigen Kieferorthopäden stellt die Kurzzeit-KFO dar. Wenn man fachlich vertraut ist mit der Verbesserung eines Lächelns binnen sechs Monaten – was eigentlich eine falsche Bezeichnung darstellt, da die Behandlung oft sehr wohl länger als sechs Monate benötigt – dann mag das in Ordnung sein. Ich denke jedoch, dass es eine Menge an Kurzzeit-KFO gibt, die von Leuten durchgeführt wird, die möglicherweise die Bedeutung der Behandlung, welche sie verordnen, gar nicht verstehen. Oder sie haben gar keine Möglichkeit B, die für einen Kieferorthopäden wiederum besser verständlich sein würde.
Natürlich gibt es Situationen, in denen unter Umständen eine kurze Sechs-Monats-Behandlung angemessen sein könnte. Wenn dem so wäre, würde ich der Erste sein, der diesen Behandlungsansatz verschreibt. Jedoch muss ich sagen, dass über 95% der Kieferorthopädie, die ich durchführe, ca. zwei Jahre dauert. Das ist die Zeit, die eine Behandlung normalerweise in Anspruch nimmt.
Es gibt sicherlich eine Fülle an Kurzzeit-KFO-Behandlungen, die angeboten werden. Insbesondere die Erwachsenenkieferorthopädie kann hierbei jedoch sehr anspruchsvoll sein. Natürlich gibt es Fälle, die für einfachere Behandlungsverfahren oder eine kurze Therapie mit festsitzenden Apparaturen geeignet sind. Es erfordert jedoch Spezialistenwissen, um beurteilen zu können, welche Fälle dies im besten Sinne des Patienten sind.
Sie schätzen dies also als eine negative Entwicklung ein?
Ja, insgesamt würde ich dies als eine negative Entwicklung ansehen.
Zurück zum IOC, was werden die Hauptthemen des Kongresses sein?
Der Hauptkongress umfasst drei Tage, Montag bis Mittwoch, inklusive der Hauptzeremonie am Sonntag. Wir werden dabei ein breites Spektrum klinischer Themen und aktueller Forschung abdecken. 48 der weltbesten kieferorthopädischen Referenten werden dabei sein, zudem wird es neben den Keynote-Vorträgen kurze Präsentationen geben. Alles in allem werden bis zu 100 Redner bei dieser Tagung dabei sein, die all die gegenwärtigen Techniken sowie einige aktuelle kieferorthopädische Forschung präsentieren. Es wird also ein aufregendes Programm geboten.
Die „heißen“ Themen, an denen wir alle interessiert sind, sind z.B. Geräte zur temporären Verankerung. Hier haben wir drei der international führenden Speaker zum Thema eingeladen, alle drei kommen übrigens aus Deutschland oder haben deutsche Wurzeln. Auch die Alignertherapie ist aktuell ein wichtiges Thema, deren Popularität wächst. Timothy Wheeler ist hier ein anerkannter Experte in der Invisalign®-Technik und wird uns eine sehr offene und umfassende Interpretation liefern, inwieweit sich diese Technik in eine moderne KFO-Praxis einfügt.
Wird die Beschleunigung von Zahnbewegungen auch ein Thema sein?
Es wird einiges wissenschaftliches Material über die AcceleDent® Technik vorgestellt werden, sodass die Leute hier ihre eigenen Schlüsse ziehen können. Es ist sicherlich ein Bereich, an dem aktuell großes Interesse besteht. Ich kenne all diese Vibratoren, welche seit nunmehr sieben oder acht Jahren am Markt sind, und es gibt weltweit Studien, die sich damit beschäftigen und die Ergebnisse dieser sehr aktuellen Forschung werden in London präsentiert werden. So wird glaube ich Prof. Dr. Martyn Cobourne über dieses Thema sprechen. Kevin O’Brien ist hier vermutlich einer unserer bekanntesten Skeptiker. Auch er wird seine Sicht der Dinge hinsichtlich AcceleDent® demonstrieren.
Die Digitalisierung hat ihren Weg in fast jedes Fachgebiet der Zahnmedizin gefunden. Welchen Einfluss hat sie auf die Kieferorthopädie?
Intraoralscanner werden in den nächsten zehn Jahren sicherlich immer beliebter werden. Die Leute fangen gerade an, sie für die Erstellung von Aufnahmen bei ihren Patienten einzusetzen. Ich persönlich bin ganz aufgeregt, in den nächsten Monaten hier am Department endlich Intraoralscanner zu erhalten, sodass ich beginnen kann, die Invisalign®-Technik näher zu studieren. Mehrere kieferorthopädische Labore werden natürlich Modellscanner erhalten, sodass sie ihr Modellboxen-Lager leeren und alles digital archivieren können. Es bietet einige aufregende Möglichkeiten und wird sicherlich die Sammlung kieferorthopädischer Aufnahmen verändern.
Ich glaube jedoch nicht, dass die Digitalisierung per se eine bedeutende Verbesserung der Behandlungsqualität insgesamt mit sich bringt, das bleibt abzuwarten. Es gibt jetzt einige Techniken, die einem suggerieren, dass man seine Fälle digital erstellen sollte bzw. könnte bzw. die Behandlung realisiert, indem man die Bracketpositionen am Computer festlegt oder auch das Finishing der Fälle am Bildschirm umsetzt. Und dann gibt es wiederum Roboter zum Biegen der Behandlungsbögen, die jene Veränderungen, die man aus klinischer Sicht gern in den Bogen einbringen möchte, realisieren. Dies ist etwas, was ich in der Vergangenheit genau beobachtet habe. Im Moment ist es noch nicht klar. Es kling zwar wunderbar, wenn diese Dinge aktuell angepriesen werden. Klinisch muss sich damit jedoch erst noch auseinandergesetzt werden.
Der IOC findet alle fünf Jahre statt. Welchen Vorteil bringt dies im Vergleich zu jährlich stattfindenden Events mit sich?
Um die Vorfreude und Begeisterung für die Konferenz aufzubauen, ist es gut, dass diese aller fünf Jahre stattfindet. Ich mag es, sie als die Olympischen Spiele der Kieferorthopädie zu betrachten, schließlich kann man einige Jahre damit verbringen, die Vorfreude darauf aufzubauen. Wir wurden im Jahre 2006 mit dem Vertrag belohnt, insofern stellte es für mich persönlich sogar ein Neun-Jahres-Projekt dar, an der Vorbereitung dieser Tagung zu arbeiten. Ich habe ein tolles Team um mich versammeln können. Leute, mit denen ich seit vielen Jahren bei der British Orthodontic Conference zu tun habe. Ich bin sehr dankbar für dieses gesamte Team.