Branchenmeldungen 18.09.2025

Internationale Auszubildende in der Kieferorthopädie



Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen auch in Kieferorthopädiepraxen zunehmend an Bedeutung. Frau Dr. Christina Essers berichtet im Interview von ihren langjährigen Erfahrungen mit internationalen Auszubildenden und erläutert, wie Integration und Einarbeitung in ihrem Team erfolgreich gelingen.

Internationale Auszubildende in der Kieferorthopädie

Foto: Dr. Christina Essers

Vor wenigen Wochen ereignete sich ein tragischer Unfall, bei dem zwei ihrer Auszubildenden, die Zwillingsbrüder Minh und Quang aus Vietnam, ihr Leben verloren. Dr. Essers spricht offen über die große Verantwortung, die sie als Arbeitgeberin in einer solchen Situation trägt. Sie gewährt einen persönlichen Einblick in die damit verbundenen Herausforderungen und bürokratischen Hürden und beschreibt den menschlichen Zusammenhalt, der in Zeiten wie diesen spürbar wird.

Liebe Frau Dr. Essers, vielen Dank, dass Sie sich trotz der schweren Umstände zu dem Interview mit uns bereit erklärt haben. Erzählen Sie uns doch bitte zunächst etwas über Ihre allgemeinen Erfahrungen mit Auszubildenden aus dem Ausland.

In meiner Praxis haben wir inzwischen sechs Auszubildende aus dem Ausland beschäftigt. Bereits vor vielen Jahren beispielsweise eine junge Frau aus Ghana, die wir erfolgreich zur Zahnmedizinischen Fachangestellten ausgebildet haben. Mit der Zeit kamen dann weitere hinzu sowie auch die vietnamesischen Zwillinge Minh und Quang, die sich initiativ bei uns beworben haben. In der Regel kommen die Auszubildenden aber über eine Agentur zu uns. Wir arbeiten beispielsweise mit Herrn Widmann zusammen, der mit seiner Agentur „Viet-Agentur“ Auszubildende vermittelt. Der Aufnahmeprozess ist heute deutlich einfacher als in der Vergangenheit, da sich die Regularien geändert haben. Unsere Erfahrungen sind sehr positiv. Natürlich ist die Sprache am Anfang eine Herausforderung, aber viele sprechen gut Englisch, was den Einstieg erleichtert.

Wie läuft das Onboarding der Auszubildenden ab?

Das Onboarding beginnt bei uns bereits vor der Ankunft in Deutschland. Über einen externen Partner erhalten die Auszubildenden einige Wochen vor ihrer Ausreise ein digitales Vorbereitungsprogramm. So bringen sie bereits erste fachliche und organisatorische Kenntnisse mit und starten nicht bei null.

Vor Ort gestalten wir den Einstieg so leicht wie möglich. Gerade in den ersten Monaten ist der Alltag sprachlich besonders anspruchsvoll – Fachbegriffe und medizinische Abläufe müssen erst erlernt und verinnerlicht werden. Deshalb setzen wir auf visuelle Hilfsmittel, zum Beispiel Fotos von Instrumenten, die wie Vokabeln gelernt werden können. Ansonsten durchlaufen sie denselben Einarbeitungsprozess wie alle anderen Auszubildenden auch, sodass sie sich von Beginn an als vollwertiger Teil des Teams fühlen.

Wie gehen Sie mit möglichen kulturellen Unterschieden um?

Kulturell gibt es kleine Unterschiede, die wir ganz einfach thematisieren. Wichtig ist, offen zu sprechen, Missverständnisse direkt zu klären und Erwartungen klar zu formulieren. Im Praxisalltag setzen wir auf klare, unterstützende Strukturen. Kulturelle Unterschiede sprechen wir offen und wertschätzend an – zum Beispiel erklären wir, dass in Deutschland direkter Blickkontakt als Zeichen von Aufmerksamkeit verstanden wird, wohingegen in Vietnam direkter Blickkontakt nicht üblich ist. Solche Unterschiede lassen sich mit Offenheit und Respekt leicht überbrücken. Unsere Erfahrung zeigt: Ein offener Austausch führt schnell zu einem sehr harmonischen Arbeitsklima. Die Zusammenarbeit empfinde ich als große Bereicherung. Unsere vietnamesischen Auszubildenden waren beispielsweise schnell, freundlich, zuverlässig und diszipliniert. Sie erledigen Aufgaben gewissenhaft, zeigen ein hohes Pflichtbewusstsein und bringen eine positive Energie ins Team.

Abb. 2: Die Trauer um Quang und Minh war groß. Bei der
Gedenkfeier am 18. Juli 2025 in der St.-Petri-Hauptkirche
in Hamburg nahmen Freunde und Bekannte Abschied von den
Brüdern. © Dr. Christina Essers

Wie sind die Reaktionen Ihrer Patient/-innen?

Unsere Patient/-innen nehmen die internationalen Kolleg/-innen sehr offen auf, besonders, weil wir viele englischsprachige Patient/-innen haben. Die Reaktionen sind also sehr positiv. Gerade Minh und Quang sind durch ihre offene, humorvolle Art und ihr modisches, trend- bewusstes Auftreten schnell aufgefallen – ins- besondere bei unseren vielen jugendlichen und jungen erwachsenen Patient/-innen.

Auch im Team wurden sie als schnell, freundlich und zuverlässig wahrgenommen. Zugeteilte Aufgaben wurden zügig erledigt, was uns die Zusammenarbeit enorm erleichtert hat. In der Berufsschule erhielten sie sehr gute Noten und positive Rückmeldungen. Sie waren stets zu- verlässig, meldeten sich bei Krankheit sofort und zeigten insgesamt ein außergewöhnlich hohes Pflichtbewusstsein. Diese Verlässlichkeit und Disziplin haben sowohl Kolleg/-innen als auch das gesamte Umfeld sehr beeindruckt.

Welche Verantwortung tragen Sie als Arbeitgeberin im Hinblick die Integration Ihrer Auszubildenden? Welche Aufgaben gehen über den eigentlichen Praxisalltag hinaus?

Als Arbeitgeberin trage ich Verantwortung über den Arbeitsalltag hinaus. Denn wer für eine Ausbildung nach Deutschland kommt, steht vor einer riesigen Veränderung – sprachlich, kulturell und organisatorisch. Deshalb unterstützen wir unsere Auszubildenden von Anfang an in allen Bereichen, die für ihr Ankommen wichtig sind. Dazu gehört zum Beispiel die Begleitung bei Behördengängen. Alle ausländischen Auszubildenden müssen einmal im Jahr ihre Arbeitserlaubnis neu beantragen. Das bedeutet oft einen ganzen Tag lang Formulare, Wartezeiten und Gespräche – dafür stellen wir sie selbstverständlich frei. Auch bei anderen Formalitäten wie steuerlichen Fragen unterstützen wir in enger Abstimmung mit Steuerberatern und der Zahnärztekammer, als verlässlicher Partner.

Was würden Sie Kolleg/-innen raten, die ebenfalls darüber nachdenken, ausländische Auszubildende aufzunehmen? Welche strukturellen oder politischen Verbesserungen wären Ihrer Meinung nach nötig, um den Auszubildenden bessere Startbedingungen zu bieten?

Ich kann es nur befürworten und empfehlen. In Deutschland gibt es mittlerweile viel zu wenige Bewerber/-innen für diesen Beruf. Viele nutzen die Ausbildung nur als Überbrückung oder Wartesemester fürs Studium – wirklich langfristig im Beruf arbeiten wollen die wenigsten. Das ist kein Problem, das nur die Pflege betrifft, sondern längst auch den medizinischen Bereich. Gerade deshalb müssen wir uns auf das Ausbilden fokussieren, sonst können wir unseren Beruf in Zukunft nicht mehr in gewohnter Qualität ausüben. In der Kieferorthopädie haben wir den Vorteil, vieles delegieren zu können, unterstützt durch digitale Prozesse. Trotzdem brauchen wir gut ausgebildete Fachkräfte. Deshalb möchte ich jede Kollegin und jeden Kollegen motivieren, internationale Auszubildende aufzunehmen. Ja, es bedeutet, sich auf Neues einzulassen und zusätzliche Verantwortung zu übernehmen, aber die Bereicherung für das Team ist groß, und wir als Praxisinhaber/-innen tragen hier eine klare Verantwortung. Von politischer Seite würde ich mir wünschen, dass Ausbildungsgehälter für internationale Auszubildende angepasst werden. Wer von so weit herkommt, hat oft deutlich höhere Lebenshaltungskosten. Wir zahlen deshalb zusätzlich zum regulären Gehalt eine kleine Zulage. Außerdem erhalten unsere Auszubildenden – wie unsere festangestellten Fachangestellten – 30 Tage Jahresurlaub, davon drei Wochen am Stück, um einmal im Jahr nach Hause reisen zu können. Das ist für uns ein wichtiger Teil der Wertschätzung.

Mit großer Betroffenheit haben wir vom tragischen Tod Ihrer beiden Auszubildenden Quang und Minh gelesen. Sie haben uns bereits von den Zwillingsbrüdern berichtet und einige schöne Erinnerungen geteilt. Was hat Sie an den beiden ganz besonders beeindruckt?

Von Anfang an ihre Dankbarkeit, Lebensfreude und Offenheit. Schon während ihrer Probewoche im Mai hatten wir gemeinsam viel Spaß, und das gesamte Team war von ihrer positiven Art begeistert. Jeden Abend bedankten sie sich dafür, bei uns arbeiten zu dürfen – genauso wie ich mich jeden Abend bei meinem Team für ihren Einsatz bedanke. Diese Wertschätzung war echt und gegenseitig. Auch außerhalb der Praxis hatten wir schöne gemeinsame Momente, etwa beim Besuch des Weihnachtsmarktes mit dem Team. Eigentlich das gesamte Miteinander – von Tag eins an. Sie waren voller Tatendrang, hatten Freude an ihrer Arbeit und waren fest entschlossen, ihre Ausbildung bei uns zu machen.

Wie haben Sie vom Unfall erfahren?

Ich wurde direkt von der Polizei kontaktiert, da es keine Angehörigen vor Ort gab. In solchen Fällen tritt die sogenannte Fürsorgepflicht in Kraft und der Arbeitgeber wird oft zur zentralen Ansprechperson. Auch wenn es keine gesetzliche Verpflichtung gibt, empfinde ich in so einer Situation eine klare Verantwortung – einerseits, weil ich alle relevanten Unterlagen hatte, andererseits, weil es mir ein Herzensanliegen war, die Familien in dieser schweren Situation zu unterstützen. Wenn man Menschen für eine Ausbildung nach Deutschland holt, bringt das für mich auch die Verantwortung mit sich, sie – und im Ernstfall auch ihre Angehörigen – nicht allein zu lassen. Auch über den Tod hinaus, das verlange ich von jedem Kollegen.

Welche Aufgaben und Pflichten kamen auf Sie als Arbeitgeberin zu?

Zunächst galt es, herauszufinden, wo die Verstorbenen hingebracht wurden und die nächsten Schritte zu klären. Ich stand in engem Austausch mit der Kriminalpolizei, wir organisierten einen Opferanwalt für die Familie und kümmerten uns darum, wie Angehörige aus Vietnam einreisen könnten. Hier stießen wir auf große bürokratische Hürden: Für das Visum wurde eine hohe Kaution von bis zu 30.000 Euro verlangt. Daraus entstand die Idee zur Spendenaktion. Dass diese – ebenso wie eine parallele Aktion – so viel Zuspruch erhielt und sogar der vietnamesische Botschafter selbst spendete, war überwältigend und hat uns sehr geholfen.

Wurden Sie über Ihre Pflichten als Arbeitgeberin im Vorfeld (z.B. durch Kammern, Verbände oder Agenturen) informiert?

Vorab wurde ich darüber nicht informiert, solche Situationen sind ja extrem selten. Die Zahnärztekammer Hamburg stand mir jedoch sofort zur Seite, hat im Schulterschluss mit mir alle notwendigen Schritte besprochen und mich organisatorisch wie persönlich unterstützt. Auch viele Organisationen und Einzelpersonen boten spontan ihre Hilfe an.

Wie haben Sie den Kontakt zur Familie in Vietnam hergestellt?

Ein Teil der Familie lebt in Hamburg und ist in der evangelischen vietnamesischen Gemeinde aktiv. Gemeinsam haben wir eine bewegende Trauerfeier in der St. Petri-Kirche organisiert. Es hat mich sehr bewegt, wie uns Mitgefühl und gemeinsamer Verlust miteinander verbunden haben. Der Kontakt besteht bis heute, und die Familie ist sehr dankbar für die Unterstützung, die sie von der Praxis, unseren Patient/-innen, Freund/-innen und vielen weiteren Menschen erhalten hat.

Wie verlief die Zusammenarbeit mit den vietnamesischen Behörden?

Die Zusammenarbeit war sehr positiv. Der vietnamesische Botschafter hat nicht nur gespendet, sondern auch Unterstützung für den verletzten Verbliebenen zugesagt und sich für die Einreise dessen Familie eingesetzt.

Möchten Sie zum Abschluss noch etwas sagen?

Als Inhaberin von Kieferorthopäden Altona war es mir ein großes Anliegen, ein Zeichen zu setzen. Der tragische Unfall war nicht nur in Deutschland, sondern europaweit und bis nach Vietnam in den Medien präsent und ging viral. Viele junge Menschen in Vietnam und anderen Ländern überlegen, den Schritt nach Deutschland zu wagen, um hier eine Ausbildung zu beginnen und sich ein neues Leben aufzubauen. Mir war wichtig, zu zeigen: Auch in schwierigen und tragischen Situationen stehen wir unseren Auszubildenden zur Seite. Für mich war es entscheidend, zu verdeutlichen, dass humanitäre Unterstützung hier in Deutschland gelebt wird, und so auch Eltern Mut zu machen, ihren Kindern diesen Schritt zu ermöglichen.

KN Kieferorthopädie Nachrichten 09/25

KN Kieferorthopädie Nachrichten


Dieser Beitrag ist in der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

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