Branchenmeldungen 07.10.2008
Kassenbeitrag steigt auf mindestens 15,5 Prozent
Jetzt ist es raus. 15,5 Prozent soll der historisch erste Einheitssatz für die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse betragen. Mindestens. Diese Rekordmarke im Vergleich zum heutigen Durchschnittssatz wünscht das Gesundheitsministerium und das Bundesversicherungsamt (BVA).
Die Kassen fordern hingegen mehr Geld und sehen einen Satz von 15,8 Prozent als nötig an. Die Entscheidung liegt bei der Bundesregierung. Auch nach tagelangem Ringen hinter den hellgrauen BVA-Fassaden in Bonn konnten sich die Rechenkünstler der drei Seiten nicht einigen. Zuerst hörte der Schätzerkreis Fachleute. Dann gingen die Spezialisten zwei Tage lang alle Einnahmen- und Ausgabenposten durch. Die Meinungsunterschiede darüber, wie stark Kliniken, Ärzte und die möglicherweise steigende Bürokratie der Kassen wegen des Gesundheitsfonds im kommenden Jahr zu Buche schlagen, wurden nicht kleiner. Die Verhandlungen zogen sich bis in den Abend.
Nachdem der Streit aus den abgeschotteten Verhandlungen bereits durchgesickert war, kam um 20.57 Uhr dann in dürren Worten das offizielle Eingeständnis: «Ein einvernehmliches Schätzergebnis ist für das Jahr 2009 nicht zustande gekommen.» Die Entscheidung liegt aber ohnehin bei der Koalition, deren Spitzen am Sonntag bei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beraten wollen. Den Beschluss fällt dann das Kabinett. Ministerin Ulla Schmidt (SPD) steht demnach voraussichtlich nichts im Weg, die Einschätzung ihrer Beamten in gültiges Recht zu gießen.
Mindestens 92 Prozent der Kassen-Mitglieder müssten mit dem Start des Gesundheitsfonds 2009 dann mehr zahlen als heute. Der ungeliebte Fonds hat damit erstmal nichts zu tun - die Ursache sind die zusätzlichen Milliarden für Kliniken, Ärzte und Arzneimittel. Bereits etwas gedämpft durch den erwarteten Konjunkturabschwung dürften die Kasseneinnahmen dagegen 2009 weit zaghafter nach oben gehen.
Nach Ansicht von Kritikern wird den Beitragszahlern die Rechnung dafür präsentiert, dass die Koalition das Gesundheitswesen nicht mutig genug reformiert hat. Der Chef der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, fordert, Reserven für mehr Wirtschaftlichkeit stärker auszuschöpfen. SPD-Experte Karl Lauterbach bemängelt, dass dem vielen Geld etwa bei Medikamenten nicht mehr Leistungen gegenüberstehen.
Vergeblich hatten sich die Kassen vorher gewehrt, als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerin Schmidt zunächst den Ärzten rund 2,5 Milliarden Euro mehr in Aussicht stellten und dann rund 3 Milliarden Euro mehr für die Kliniken beschlossen. Nun aber pochen sie auf ausreichende Gegenfinanzierung - «auch wenn das politisch nicht opportun ist», wie der Chef der Ersatzkassenverbände Thomas Ballast mahnte.
Politisch angemessen dürfte für die Koalition zunächst alles sein, was die Sozialabgaben wie angekündigt unter 40 Prozent hält. Dies wäre bei der vorgeschlagenen Erhöhung zunächst der Fall. Derzeit liegen die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer geteilten Beiträge für Arbeitslosen-, Renten-, Pflege- und Krankenversicherung bei 39,15 Prozent. Nicht einrechnen möchte die Koalition allerdings den Sonderbeitrag von 0,9 Prozent, den die Beschäftigten für die Krankenversicherung auch künftig allein zahlen.
Ein größerer Trost dürfte es für die zahlenden Arbeitnehmer auch nicht sein, dass der Einheitssatz nun für einige Jahre stabil sein könnte. Experten fürchten, dass die Kassen von Beginn an sparen und sich immer stärker zugleich per Zusatzbeitrag helfen, so weit es geht. Wenn das Geld nicht reicht, dürfen die Kassen allein bei ihren Mitgliedern die Hand noch einmal aufhalten und eine Pauschale von maximal etwas mehr als 36 Euro im Monat verlangen.
Für rund 7,5 Prozent der Kassenmitglieder gibt es Grund zur Freude: Sie zahlen im Fall eines Satzes von 15,5 Prozent künftig geringere Beiträge. Ein seit Jahren bei der AOK Berlin zu einem Spitzensatz von insgesamt 16,7 Prozent Versicherter sagte zum Schätzungsergebnis schmunzelnd: «Ich habe mich bei der Wahl meiner Kasse schon früh auf den Gesundheitsfonds vorbereitet.»
Quellen: dpa über mainpost, 03.10.2008