Branchenmeldungen 04.09.2024
Unnötig lang: Kieferorthopädie bei Kindern und Jugendlichen
Eine kieferorthopädische Behandlung bei Kindern und Jugendlichen dauert im Durchschnitt 2,4 Jahre. Das ist das Ergebnis einer Auswertung der Daten von rund 2.600 bei der hkk versicherten Kindern und Jugendlichen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr, die zwischen dem 01.01.2018 und dem 30.06.2023 behandelt wurden.
39,2 Prozent aller Patienten sind mindestens 4,5 Jahre in Behandlung
Lediglich 60,8 Prozent der Patienten haben die Behandlung innerhalb des vor Behandlungsbeginn definierten Untersuchungszeitraums mit einer ärztlichen Bescheinigung vollendet. Bei 39,2 Prozent der Patienten war die Behandlung am 30.06.2023, also maximal fünfeinhalb bzw. minimal viereinhalb Jahre nach Genehmigung des Behandlungsplans noch nicht abgeschlossen. Die Autoren der Studie, der Bremer Sozialwissenschaftler Dr. Bernard Braun und der Kieferorthopäde Dr. Alexander Spassov, sind sich einig, dass die Ergebnisse auf eine zu lange Behandlungsdauer hinweisen. Als Grund dafür werden finanzielle Anreize genannt. Dies sei besser im benachbarten Österreich geregelt: Während die kieferorthopädische Versorgung in Deutschland nahezu ausschließlich dem Prinzip der Einzelleistungsvergütung folgt, gilt in Österreich das Prinzip der Pauschalvergütung. „Die Einzelleistungsvergütung bietet eher Anreize zur Leistungsausweitung, was sich auch auf die Behandlungsdauer auswirken kann“, so Braun.
66 Prozent aller Patienten erhalten Kombinationsbehandlung
Es konnten signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Leistungsarten beobachtet werden. Bei Patienten, die ausschließlich mit festsitzenden Apparaturen behandelt wurden, betrug die aktive Behandlungszeit im Mittel 20 Monate. Bei denjenigen Patienten, die zunächst mit herausnehmbaren und anschließend mit festsitzenden Apparaturen behandelt wurden, belief sich die aktive Behandlungszeit auf 30 Monate.
Die kombinierte Behandlung mit zunächst herausnehmbaren und dann festsitzenden Apparaturen steht nach Angaben der Studienautoren seit längerem in der Kritik, da sie zu ähnlichen Ergebnissen führt wie die alleinige und einmalige Behandlung mit festsitzenden Apparaturen. Bereits im Jahr 2004 wies eine der ersten randomisiert-klinischen Studien1 in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine zweiphasige Behandlung, die im Wechselgebiss beginnt, nicht wirksamer sein könnte als eine einphasige Behandlung im bleibenden Gebiss. Aktuellere Studien bestätigen diese Erkenntnisse.
Hinweise auf Überversorgung bei Kreuzbiss
Die Auswertung der Daten von 1.595 Patienten, die ihre kieferorthopädische Behandlung abgeschlossen haben, zeigt eine überwiegende weibliche Geschlechtsverteilung von 55 Prozent. Das durchschnittliche Alter bei Behandlungsbeginn lag zwischen 11 und 13 Jahren, wobei 43,3 Prozent der Patienten in diesem Altersbereich lagen.
Die häufigsten Diagnosen der kieferorthopädischen Indikationen (KIG) waren ein Überbiss von 6 bis 9 mm (D4: 17,8 Prozent), ein seitlicher Kreuzbiss (K4: 16,9 Prozent) sowie ein Kreuzbiss im Frontzahnbereich (M4: 14,2 Prozent).
Die Autoren der Studie verweisen auf epidemiologische Untersuchungen, die zeigen, dass die Prävalenz von Kreuzbissen (KIG M und K) sowie offenen Bissen (KIG O) ohne Behandlung mit zunehmendem Alter abnimmt. Diese Erkenntnisse lassen die Schlussfolgerung zu, dass ein Teil der frühen Behandlungen für diese KIG-Klassifikationen im Alter von sieben bis zehn Jahren möglicherweise nicht mehr erforderlich ist.
Die Autoren empfehlen zur Vermeidung einer Überversorgung, die Weiterentwicklung und Umsetzung wissenschaftlicher Standards für Aufklärung, Diagnostik und Behandlung in der Kieferorthopädie.
Weitere Infos finden Sie hier: hkk.de/presse/studien-und-reports
1 https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15179390/
Quelle: hkk Krankenkasse