Wissenschaft und Forschung 25.06.2012
Elektrosignale gegen den Schmerz
Elektronik,
die in unser Nervensystem eingreift und Erstaunliches bewirkt – das
klingt fast nach Science-Fiction. An der TU Wien wird allerdings an
elektronischen Geräten gearbeitet, die bereits jetzt spürbare
Verbesserungen bei Schmerzen oder Durchblutungsstörungen bringen, ganz
ohne pharmakologischen Nebenwirkungen. Winzige Nadeln im Ohr leiten
spezielle elektrische Impulse in den Körper – die Auswirkungen davon
können mit sensibler Messelektronik nun erstmals sofort sichtbar gemacht
werden.
Gegen Schmerz, für bessere Durchblutung
Professor Eugenijus Kaniusas leitet die Gruppe für Biosensorik
(Institute of Electrodynamics, Microwave and Circuit Engineering) an der
TU Wien. Dort werden elektronische Methoden entwickelt, Messdaten über
den menschlichen Körper aufzuzeichnen und zu verarbeiten. Durch die nun
entwickelten Geräte soll aber nicht nur gemessen, sondern auch direkt in
die physiologischen Mechanismen des Körpers eingegriffen werden.
Kaniusas arbeitet dabei mit Dr. Jozsef Constantin Széles von der
Medizinischen Universität Wien zusammen. Széles erfand und entwickelte
eine Methode, mit elektrischer Stimulation über mehrere Tage hindurch
Schmerzen zu lindern und die Durchblutung zu fördern. Die Grundidee
dieses Verfahrens wurde bereits erfolgreich in klinischen Studien
getestet, soll zukünftig durch verbesserte Elektronik und objektive
Messtechniken aber noch deutlich wirkungsvoller werden.
Elektronisches Gerät am Ohr
Das Gerät, das an der TU Wien im Rahmen der Kooperation mit Széles
entwickelt wird, trägt man direkt am Körper, nahe am Ohr. Dort verlaufen
nämlich auch Fasern des Nervus Vagus, der größte Nerv des
Parasympathikus. Der Parasympathikus ist ein Teil des autonomen
Nervensystems, das für die Steuerung der inneren Organe und des
Blutkreislaufs verantwortlich ist. Er wird (als Gegenspieler des
aktivierenden Sympathikus) mit Ruhe und Regeneration in Verbindung
gebracht. Das Gerät gibt über kleine Titannadeln elektrische Impulse an
die Verzweigungen des Nervus Vagus ab und kann ganz einfach von außen
drahtlos gesteuert werden – etwa über ein Smartphone.
Wissenschaftliche Daten sammeln
Mit gewöhnlicher Akupunktur oder mit alternativen Heilmethoden hat die
neue Methode nichts zu tun, denn stimuliert werden parasymphatische und
symphatische freie Nervenendigungen am Ohr. Die Wirkung der
Elektrostimulation der Nerven lässt sich direkt überprüfen: „Unsere
elektrischen Impulse beeinflussen den Körper auf eine nachvollziehbare
Weise, deren Auswirkungen man sofort messen kann“, betont Eugenijus
Kaniusas. Zunächst muss die richtige Einstichregion am Ohr gefunden
werden. An der TU Wien wurden in Kooperation mit MedUni Wien Geräte
entwickelt, die zur genauen Auffindung des Nervus Vagus dienen.
Maßgeschneiderte Elektrosignale
Den Nerv einfach nur elektrisch zu stimulieren genügt nicht – es kommt
darauf an, wie man es macht: „In unseren Experimenten fanden wir heraus,
dass die genaue Form der elektrischen Impulsabfolgen entscheidend für
den optimalen Erfolg ist“, sagt Eugenijus Kaniusas. An einer
Patientengruppe wurden unterschiedliche elektrische Signalformen
getestet, um die wirksamsten Impulse zu ermitteln. Die erforderlichen
Nerven-Signale hängen auch von der Art des Schmerzes ab: Chronische
Schmerzen sprechen auf andere Elektro-Signale an als akuter Schmerz.
Weitere Forschung nötig
Bei der Überprüfung des Erfolgs kann man auf elektronische Messmethoden
zurückgreifen: „Mit speziellen Geräten können wir die
Herzratenvariabilität messen“, sagt Kaniusas. Daraus lassen sich dann
viele Informationen berechnen – auch über das Schmerzempfinden. Damit
steht eine objektive Messgröße zur Verfügung, die man laufend überwachen
kann. Bei Bedarf kann die Form der elektrischen Stimulation angepasst
werden.
Stimulation statt Amputation
Große Erfolge zeigen sich auch bei Patientengruppen mit schlechter
peripherer Durchblutung („Peripheral Vascular Disease“). „Wer unter
dieser Krankheit leidet, ist oft in der Beweglichkeit stark
eingeschränkt, auch mit der Wundheilung gibt es bei schlechter
Durchblutung oft schwere Probleme“, sagt Eugenijus Kaniusas. Im
schlimmsten Fall müssen sogar Extremitäten amputiert werden.
Elektrostimulation kann hier aber sehr hilfreich sein: „Wir können die
Steigerung der Durchblutung im Fuß durch die elektrischen Impulse
wiederholt ein- und ausschalten – der Effekt ist sehr deutlich zu
sehen“, berichtet Kaniusas.
Langfristig sollen Geräte entwickelt werden, die noch flexibler sind und
sich auch kurzfristig an Herzschlag und Atmung anpassen, um so die
therapeutische Wirkung weiterhin zu steigern. Auch wenn es bereits
klinische Studien gibt, in denen die Wirksamkeit der Elektrostimulation
bestätigt wurde, sollen noch weitere Studien durchgeführt werden. „Je
mehr Daten wir sammeln können, umso bessere Ergebnisse werden wir
erzielen“, meint Eugenijus Kaniusas.
Quelle: Technische Universität Wien, idw online