Wissenschaft und Forschung 20.07.2012
Genetische Lesezeichen programmieren Krebszellen
Krebs entsteht durch Veränderungen am Erbgut der Zelle, der Desoxyribonukleinsäure (DNA). Diese Erkenntnis gilt schon lange als gesichert. Göttinger Krebsforscher um Prof. Dr. Steven A. Johnsen aus der Abteilung Molekulare Onkologie (Direktor: Prof. Dr. Matthias Dobbelstein) der Universitätsmedizin Göttingen haben in einer Studie einen Grund dafür gefunden, warum die DNA nicht alleine für das Verhalten der Zelle ausschlaggebend ist. Auch Veränderungen an DNA-gebundenen Eiweißmolekülen entscheiden darüber, ob Krebs entsteht. Diese Veränderungen dienen als "Lesezeichen" in der Zelle. Sie legen fest, welche DNA-Abschnitte abgelesen werden, um die Bestandteile einer Zelle zusammenzubauen.
Die neu gewonnen Erkenntnisse könnten dabei helfen, die Therapie von
Krebs und Osteoporose langfristig zu verbessern. Die Ergebnisse der
Studie sind in der Juni-Ausgabe der Fachzeitschrift "Molecular Cell"
veröffentlicht. Erstautorin ist Oleksandra Karpiuk, Doktorandin des
renommierten Master/PhD-Programms Molecular Biology und Stipendiatin des
Dorothea Schlözer-Programms der Georg-August-Universität Göttingen.
Originalveröffentlichung: Oleksandra Karpiuk, Zeynab Najafova, Frank
Kramer, Magali Hennion, Christina Galonska, Annekatrin König, Nicolas
Snaidero, Tanja Vogel, Andrei Shchebet, Yvonne Begus-Nahrmann, Moustapha
Kassem, Mikael Simons, Halyna Shcherbata, Tim Beissbarth and Steven A.
Johnsen (2012): The Histone H2B Monoubiquitination Regulatory Pathway is
Required for Differentiation of Multipotent Stem Cells. Molecular Cell,
Mol Cell. 2012;46 705-713, DOI 10.1016/j.molcel.2012.05.022
Umbauprozesse der Zelle entdeckt
Stammzellen sind besondere Zellen im Körper, die sich zu verschiedenen
Geweben entwickeln können. In welche Art von Gewebe sich die Zelle
umwandelt, wird zum einen durch die Gene gesteuert und zum anderen durch
bestimmte Eiweiße. Schon frühere Studien der Arbeitsgruppe zeigten,
dass ein bestimmtes genetisches Lesezeichen, eine chemische Veränderung
des Proteins Histon 2B, bei fortschreitender Krebserkrankung in den
Tumorzellen entfernt wird (Prenzel, et al., Cancer Research 2011,
71:5739-5753). Jetzt fanden die Forscher heraus, dass dieselbe
Veränderung eine Rolle in der Weiterentwicklung von Stammzellen spielt.
Wie ein Lesezeichen führt es dazu, dass sich eine zunächst
"unbeschriebene" Zelle, eine Stammzelle, zu einer Knochen- oder
Fettzelle entwickelt. Das bedeutet: Die gleichen Veränderungen am
Chromatin, die aus Stammzellen differenzierte Zellen entstehen lassen,
werden während der Entstehung bösartiger Tumoren verhindert. Die
Tumorzellen nehmen die Eigenschaften einer Stammzelle an und werden
dadurch bösartig. Das Lesezeichen erscheint während der Entwicklung von
Stammzellen, geht aber in Tumorzellen wieder verloren. Diese Vorgänge
sind wesentlich für Erkrankungen wie Krebs oder Osteoporose.
Internationale Zusammenarbeit
Prof. Dr. Steven A. Johnsen, Leiter der Studie, hat im Göttinger Zentrum
für Molekulare Biowissenschaften (GZMB) ein internationales Team
zusammengestellt, um die Zusammenhänge der Zelldiffenzierung zu
erforschen. An der Studie beteiligt waren Forscher der
Universitätsmedizin Göttingen, der Göttinger Max-Planck-Institute und
der süddänischen Universität in Odense. "Dieser Erfolg zeigt, wie die
Göttinger Instrumente zur Forschungsförderung positiv zusammenwirken",
sagt Prof. Dr. Matthias Dobbelstein, Direktor der Abteilung Molekulare
Onkologie der Universitätsmedizin Göttingen.
"Diese einzigartige chemische Veränderung von Histon 2B könnte eine
allgemeine Eigenschaft differenzierter Zellen sein", sagt Prof. Dr.
Steven Johnsen. "Tumorzellen müssen offenbar diese Lesezeichen erst
loswerden, um wirklich gefährlich zu werden. In Göttingen haben wir die
Basis für unsere künftige Forschung geschaffen", betont Johnsen. "Sowohl
in Hamburg als auch in Göttingen werden die Ergebnisse vertieft. Ich
freue mich auch in Zukunft auf die Zusammenarbeit mit den Göttinger und
Hamburger Kollegen." Professor Johnsen hat zum 1. Mai 2012 eine
Professur am Institut für Tumorbiologie des Universitätsklinikums
Hamburg-Eppendorf angetreten.
Quelle: Universitätsmedizin Göttingen - Georg-August-Universität