Wissenschaft und Forschung 06.08.2012
Neue Genorte für Lippen-Kiefer-Gaumenspalte entdeckt
Wissenschaftler der Universität Bonn haben entdeckt, dass bestimmte Genregionen auf den Chromosomen 1, 2, 3, 8, 13 und 15 mit der Ausbildung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zusammenhängen. Damit ist die Forschung einen großen Schritt vorangekommen, den Zusammenhang zwischen Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Erbgut und Umwelt besser zu verstehen. Die Ergebnisse sind nun in der aktuellen Ausgabe der renommierten Fachzeitschrift „Nature Genetics“ erschienen.
Der
Bauplan des Lebens ist im Erbgut festgeschrieben, das in seiner
Gesamtheit auch Genom genannt wird. Verschiedene Abfolgen von
Basenpaaren codieren die Erbinformation, in der unter anderem auch die
Ursachen angeborener Fehlbildungen festgeschrieben sind. Weltweit
fahnden Wissenschaftler deshalb nach den molekularbiologischen
Zusammenhängen zwischen Genen und Erkrankungen. Auch an der Universität
Bonn wird dieser Fragestellung nachgegangen, u.a. in Bezug auf
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten. Dabei handelt es sich um eine der
häufigsten angeborenen Fehlbildungen, die entweder zu einer Spalte in
der Lippe allein oder Lippe und Gaumen gleichzeitig führt. Etwa jedes
700. Neugeborene ist von einer solchen Spalte betroffen. Als Ursache
wird eine Kombination aus Umwelt- und genetischen Faktoren angenommen.
„Durch den Vergleich der genetischen Information von Patienten und
gesunden Probanden konnten Forscher der Universität Bonn in den
vergangenen Jahren bereits mehrere Regionen im Genom identifizieren, die
mit der Ausbildung von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten beim Menschen
zusammenhängen“, berichtet Dr. Elisabeth Mangold vom Institut für
Humangenetik der Universität Bonn. Unter Federführung ihrer
Arbeitsgruppe haben Wissenschaftler nun neue umfangreiche genetische
Daten zur Lippen-Kiefer-Gaumenspalte in einer Meta-Analyse ausgewertet.
Hierfür kombinierten sie Daten einer in Bonn an 399 Patienten und 1.318
Kontrollpersonen ohne diese Fehlbildung durchgeführten genomweiten
Studie mit Daten einer US-amerikanischen Studie an 1.461 Patienten.
„Die Zusammenführung der Daten erhöht deutlich die statistische
Aussagekraft der Ergebnisse“, erklärt Dr. Mangold. Knapp 500.000
Erbgutabschnitte wurden zwischen den Patienten und den der
nicht-betroffenen Kontrollgruppe verglichen. „Abweichungen zwischen der
Kontrollgruppe und den Patienten sind ein deutlicher Hinweis darauf,
dass die entsprechenden Abschnitte des Genoms etwas mit der Entstehung
der Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zu tun haben“, sagt Dr. Mangold. Die
Forscher unterteilten die Betroffenen außerdem in zwei Gruppen:
Patienten ausschließlich mit Lippenspalte und Patienten mit
Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Eine Analyse dieser beiden Untergruppen
wurde in dieser Studie erstmals in diesem Umfang durchgeführt, da
genügend Patienten in jeder der beiden Gruppen zur Verfügung standen.
Neue ursächliche Regionen im Genom entdeckt
Ganze sechs neue Regionen im Erbgut, die zur Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
beitragen, identifizierten die Forscher auf diese Weise. Zuvor waren
schon sechs bekannt gewesen, die sich allesamt in dieser nun größten
Studie zu Lippen-Kiefer-Gaumenspalten bestätigten. „Besonders
interessant war für uns die Entdeckung einer neuen Region auf Chromosom
13q31. Dieser Genort scheint spezifisch zu einem gemeinsamen Auftreten
von Spalten in Lippe UND Gaumen zu führen, da sie in Patienten mit einer
reinen Lippenspalte nicht verändert war“, erklärt Dr. Kerstin Ludwig
vom Institut für Genetische Medizin, die Erstautorin der Studie ist.
Diese Ergebnisse zeigen damit zum ersten Mal, dass verschiedene
genetische Faktoren für die einzelnen Untergruppen verantwortlich sein
könnten.
Zusammenspiel von Genen und Umweltfaktoren
In der frühen Schwangerschaft entwickeln sich beim Embryo Teile des
Gesichts zunächst getrennt voneinander und wachsen später zusammen. Die
Spalten in Lippe, Kiefer und Gaumen entstehen, wenn dies nur
unvollständig geschieht. Äußere Faktoren scheinen dabei eine Rolle zu
spielen, so erhöht beispielsweise das Rauchen in der Schwangerschaft die
Wahrscheinlichkeit für die Spaltbildung. Der überwiegende Teil der
Faktoren scheint aber genetischer Natur zu sein. Obwohl der genaue
Anteil der jetzt bekannten Gen-Regionen an der Erblichkeit von
Lippen-Kiefer-Gaumenspalten noch nicht genau abschätzbar ist, bildet die
Studie die Grundlage für weitere Forschungen, bei denen Wissenschaftler
Schritt für Schritt die genetischen und biologischen Ursachen der
Erkrankung entschlüsseln. Durch ein besseres Verständnis der
Funktionsweise der beteiligten Gene und ihrem Zusammenspiel mit
Umweltfaktoren steigen die Chancen auf eine individuellere Vorhersage
und bessere Prophylaxe.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn