Wissenschaft und Forschung 07.06.2012
Warum manche Menschen Wörter schmecken
Forscher entdecken Ursache für Synästhesie
Manche Menschen schmecken Wörter oder sehen Zahlen in Farbe. Synästhesie
heißt das faszinierende Phänomen, bei dem es zu einer außergewöhnlichen
Verknüpfung von Sinneseindrücken im Gehirn kommt. Diese zusätzliche
Wahrnehmung bleibt bei den betroffenen Menschen ein Leben lang konstant.
Aus früheren Untersuchungen mit funktioneller Kernspintomographie weiß
man, dass bei Synästheten während der Verarbeitung von visuellen
Eindrücken eine bestimmte Hirnregionen stärker aktiviert ist. Diese
gesteigerte lokale Hirnaktivität erklärt aber noch nicht, wie die
verstärkten Sinnesverknüpfungen zustande kommen. Wie
Neurowissenschaftler am Klinikum rechts der Isar der TU München (Dr.
Valentin Riedl, Abteilung für Neuroradiologie) und am Forschungszentrum
Jülich (Prof. Peter Weiss-Blankenhorn, Institut für Neurowissenschaften
und Medizin) nun in einem gemeinsamen Projekt herausgefunden haben,
werden diese synästhetischen Verknüpfungen durch verstärkt gekoppelte
Aktivität zwischen Hirnregionen vermittelt.
Im menschlichen Gehirn gibt es Netzwerke verknüpfter Hirnregionen, die
jeweils für spezielle Aufgaben zuständig sind. Erstaunlicherweise sind
diese Netzwerke bereits unter Ruhebedingungen gekoppelt, also auch dann,
wenn die betreffende Person nur mit geschlossenen Augen im
Kernspintomographen liegt. Die Münchner und Jülicher
Neurowissenschaftler sind nun der Frage nachgegangen, wie sich diese
gekoppelten Ruhe-Netzwerke bei Synästheten darstellen. Dazu erfassten
sie zunächst durch psychologische Tests verschiedene Aspekte der
individuellen Wahrnehmungen von 12 Synästheten. Anschließend
analysierten sie in einer zehnminütigen Messung mit funktioneller
Kernspintomographie deren Hirnruhezustand. Dabei stellten die
Wissenschaftler fest, dass bei Synästheten die Netzwerke unter Ruhe
vielfach stärker verknüpft sind als bei Nicht-Synästheten. Zudem ist die
Kopplung umso stärker ausgeprägt, je stabiler die synästhetischen
Wahrnehmungen der einzelnen Probanden sind.
Die Studie, die in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Journal of
Neuroscience“ veröffentlicht ist (DOI:10.1523/JNEUROSCI.5401-11.2012),
berichtet somit erstmals, dass die verstärkten Sinnesverknüpfungen bei
Synästheten durch vermehrte funktionelle Koppelung zwischen Hirnregionen
entstehen. Diese Ergebnisse legen zudem nahe, dass die gekoppelte
Hirnaktivität unter Ruhe die Phänomenologie der menschlichen Wahrnehmung
direkt beeinflusst.
Quelle/Kontakt:
Valentin Riedl
Abteilung für Neuroradiologie, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München
Ismaningerstraße 22, 81675 München
E-mail: valentin.riedl@mytum.de.
http://www.neurokopfzentrum.med.tum.de/tmpTUMNIC23480a/tumnic/
Peter H. Weiss-Blankenhorn
Kognitive Neurowissenschaften, Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Forschungszentrum Jülich
Leo-Brandt-Straße 5, 52425 Jülich
E-mail: P.H.Weiss@fz-juelich.de;