Lifestyle 21.02.2011

Marokko - Tausendundeine Nacht in Afrika

Salam aleikum in Agadir, der Stadt an der südlichen Atlantikküste Marokkos, die durch den sogenannten Panthersprung von 1911 in die Geschichte einging. Täglich schwemmt der Flughafen von Agadir Tausende Touristen aus der Vorhalle seines erstaunlich kleinen Flughafens und überlässt sie einem Wirrwarr aus Stimmen und Düften, das seine Besucher sofort in eine andere Welt eintauchen lässt.

Kaum zu glauben, dass nur knapp drei Stunden Flugzeit zwischen Orient und Okzident zu liegen scheinen, denn auch wenn man es von Nordafrika nicht erwartet – Marokko bezaubert und beeindruckt zuallererst durch seine orientalischen Einflüsse.


Egal ob an den langen Gewändern der Einheimischen oder den zahlreichen Minaretten, die das Bild jeder marokkanischen Stadt prägen und welche die Rufe des Muezzin über die Dächer hinweg tragen – die Hinterlassenschaften des Morgenlandes sind in Marokko überall zu erkennen. Von den Arabern im Mittelalter beherrscht, scheint das Land auf den ersten Blick das Abbild längst vergangener Zeiten zu sein. Immerhin gibt es bei einer offiziellen Zahl von 99,8% Muslimen im Land wohl keinen Zweifel am religiösen und kulturellen Charakter des kleinsten nordafrikanischen Staates. Doch spätestens beim ersten Aufeinandertreffen mit einem Marokkaner offenbart sich die Vielseitigkeit der Kultur. Denn den, durch ihre helle Haut leicht identifizierbaren, europäischen Touristen werden auf den zahlreichen Basaren, in Marokko Souks genannt und schon allein wegen der gigantischen Gewürzstände auf jeden Fall einen Besuch wert, die Waren in lupenreinem Französisch feilgeboten. Dies sind die Relikte der bewegten Geschichte eines Landes, das aufgrund seiner attraktiven Lage, nur durch die legendäre Straße von Gibraltar vom europäischen Kontinent getrennt, zum Zankapfel zahlreicher Staaten wurde. Trotz der offiziellen Landessprache Arabisch offenbart das Stimmengewirr auf den Straßen Marokkos, dass ganz besonders der Einfluss Frankreichs bis heute sehr groß ist.

Beeindruckend, für einen Europäer jedoch gewöhnungsbedürftig, muten vor allem die Frauen Marokkos an, die so gar kein eindeutiges Bild von sich abgeben wollen und facettenreich auftreten – von der streng auf den Boden blickenden, tief verschleierten Frau bis hin zur jungen Studentin in Jeans mit einem Handy am Ohr. Selbst wenn es nicht bis zum Minirock mit Flipflops an den Füßen reicht – sei es aus geschmacklichen oder religiösen Gründen –, die junge Generation der Marokkanerinnen zeigt, dass selbst in einem streng muslimischen Königreich moderne und westliche Einflüsse den ohnehin schon großen Schmelztiegel des Landes erweitern.

Marrakesch – Königsstadt mit Weltruhm

Wer die ursprünglichen Wurzeln Marokkos kennenlernen will, sollte sich tiefer ins Landesinnere vorwagen und den Weg per Bus oder Auto nach Marrakesch antreten. Auf der Reise zur ehemaligen Königsstadt belohnt allein schon der Blick aus dem Fenster für die Mühen der doch mitunter recht holprigen Straßen – weite Ebenen wechseln sich zunehmend mit hohen Bergketten ab, denn wer nach Marrakesch reist, begibt sich gleichzeitig ins Atlasgebirge, dessen Ausläufer rund um die Stadt überall am Horizont zu erkennen sind. Die rote Stadt, wie Marrakesch wegen der größtenteils rötlichen Bauten auch bezeichnet wird, gab dem Land Marokko einst seinen Namen und ist noch immer die heimliche Hauptstadt.

Die Palette an exotischen Farben, Gerüchen und Klängen zieht den Besucher in seinen Bann – speziell wenn es beginnt zu dämmern, sollte man es sich nicht nehmen lassen, den Djemaa el-Fna zu besuchen. Der zentrale Platz Marrakeschs entfaltet seinen ganzen Charme erst nach Sonnenuntergang und schnell wird einem klar, dass er zu Recht als einer der ungewöhnlichsten Treffpunkte Afrikas gilt. Neben Geschichtenerzählern, Kräuterhändlern und Schlangenbeschwörern kann man in einer Art riesigen Freilufttheater Tänzer, Akrobaten und Sänger bei ihren Darbietungen beobachten. In diesem Moment fällt es leicht, die Stimmen von Marrakesch, wie sie Elias Canetti in seinem Bestseller beschrieb, zu vernehmen. Das Treiben auf diesem Platz gilt als so einzigartig, dass die UNESCO eigens eine neue Kategorie erschuf und den Djemaa el-Fna zum ersten „immateriellen Erbe der Menschheit“ ernannte. Allerdings rät auch die UNESCO von den sogenannten Zahnärzten ab, die auf dem Platz ihre Dienste anbieten und mit besorgniserregenden Instrumenten ausgestattet sind.

Tagsüber kann man über den Djemaa el-Fna in die zahlreichen Souks gelangen und sollte dabei nicht vergessen, dass in Marokko kräftig um den Preis für das ein oder andere Souvenir gefeilscht werden darf. Wer sich erfolgreich aus den weitverzweigten Gassen der Souks wieder herausgeschlängelt hat, sollte sich auf eine ausgedehnte Tour durch Marrakesch begeben, es wird garantiert für jeden Geschmack etwas dabei sein. Ob gewaltige Moscheen, üppige Gärten oder die größte Koranschule des Landes – die „rote Stadt“ hat mehr als genug Highlights zu bieten.

Der, der den Himmel auf seinen Schultern trug …

Nur einen Steinwurf von Marrakesch entfernt sollte man einen Abstecher ins Atlasgebirge nicht verpassen – benannt wurde es nach einem rebellierenden Titan in der griechischen Mythologie, der zur Strafe den Himmel auf seinen Schultern tragen musste. Als ihm die Last zu schwer wurde, bat er die Götter darum, versteinert zu werden, und wurde in das Atlasgebirge verwandelt. Soviel zur Sage und hinein in die reale Welt des Hohen Atlas, die doch das Wort sagenhaft verdient hat. Selbst wer sich stärker zum Meer und Stränden hingezogen fühlt – und keine Sorge, Marokko hat mehr als genug davon zu bieten, immerhin besitzt das Land mehr als 3.000 Kilometer Küste – einen Ausflug ins Gebirge des Titanen sollte man wagen. Schon allein um einen Eindruck von der ursprünglichen Lebensweise der Marokkaner zu bekommen, welche durch das traditionelle Leben der Berber in ma­lerischen Dörfern nachzuempfinden ist. Besonders lohnenswert ist der Weg zum Jebel Toub­kal, seines Zeichens 4.165 Meter hoch und damit der höchste Berg Nordafrikas. Auch wenn man ihn nicht erklimmen möchte, bietet er bei klarer Sicht ein beeindruckendes Naturschauspiel umrahmt von einer majestätischen Landschaft, kleinen Flüssen und schroffen Felsen. Wen es in der Zeit von Dezember bis März nach Marokko verschlägt, der sollte Snowboard oder Ski nicht vergessen – denn in einem Land, in dem ein Siebtel der Gesamtfläche auf über 2.000 Meter über dem Meeresspiegel liegt, kann man ausgezeichnet den Wintersportfreuden frönen.

Königreich der Himmel am Atlantik

Auf dem Rückweg zur Atlantikküste – schließlich muss man das größtenteils mediterrane Wetter in Marokko auch in der Horizontalen am Strand genießen – empfiehlt sich noch ein Abstecher nach Essaouira – in die blau-weiße Stadt. Um sich dieser einzigartigen Stadt angemessen zu nähern, sollte man einen kurzen Halt vor dem eigentlichen Stadttor machen. Von dort aus eröffnet sich der Blick auf ein beeindruckendes Sammelsurium blau-weißer Häuser umzäunt von einer imposanten Befestigungsanlage, die sich in einem Tal an die Atlantikküste schmiegen. Die Stadt erlangte vor allem durch viele Künstler, die sich in ihr niederließen, Berühmtheit. Die Faszination, die Essaouira auf Jimi Hendrix, Cat Stevens oder die Rolling Stones ausübte, lässt sich schnell auf einem eigenen Erkundungsgang nachempfinden. Vom Stadttor aus kann man beinahe die gesamte Stadt auf der Befestigungsanlage umrunden und gleichzeitig den herrlichen Blick auf den Atlantik genießen – im Übrigen war eben jene Befestigungsanlage Schauplatz des Hollywoodfilms „Königreich der Himmel“ und wer einmal die Hinterlassenschaften der Römer in Essaouira gesehen hat, kann die Wahl Ridley Scotts für diesen Drehort sehr gut verstehen.

Doch die Stadt biete noch aus einem ganz anderen Grund ein reizvolles Ziel – in den 1960er-und 70er-Jahren war Essaouira das Ziel viele Hippies und ähnlich wie Torremolinos in Spanien wurde es zum touristischen Wallfahrtsort der Blumenkinder. Es finden sich zwar nur noch wenige Spuren der außergewöhnlichen Gäste – doch der inspirierende Geist lebt noch immer in Essaouira.

Obwohl Marokko weder Serengeti noch Pyramiden zu bieten hat, enttäuscht es seine Besucher erst, wenn man das Land viel zu schnell wieder verlassen muss. Die einzigartige Mischung aus Orient, Exotik, rauer Berglandschaft und weiten Stränden lässt keinen Urlaubswunsch offen und bietet Abwechslung pur! Der ideale Urlaubsort also für jeden, der Afrika von seiner anderen Seite kennenlernen möchte.

Autorin: Hanna Freitag


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