Qualitätsmanagement 19.04.2011

QM hat kaum Einfluss aufs Qualitätsverständnis

QM hat kaum Einfluss aufs Qualitätsverständnis

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Am 31. Dezember 2006 trat die Richtlinie für die vertragszahnärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Kraft. Die in der Richtlinie genannten grundlegenden Mindestanforderungen sind seit dem 1. Januar 2011 verpflichtend umzusetzen. Im Rahmen einer Abschlussprüfung im Studiengang Gesundheitswissenschaften der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Karl-Heinz Wehkamp untersuchte Katharina Kolbe persönliche Einschätzungen von Zahnärzten hinsichtlich zentraler Ziele der Richtlinie. Hierzu wurden qualitative Interviews mit ausgewählten Hamburger Zahnärzten geführt.

Wenige Studien beschäftigten sich bislang mit der Umsetzung der QM-Richtlinie in Zahnarztpraxen. Diese Studien, die in den Archiven zu finden sind, nutzten quantitative Erhebungen mittels Fragebögen, um den Umsetzungsstand abzubilden. Das Ziel dieser Untersuchung war es herauszufinden, welche Qualitätsvorstellungen bei den befragten Zahnärzten vorliegen und welche Anforderungen der QM-Richtlinie als angemessen und praktikabel angesehen werden.

Im Rahmen telefonischer Befragungen wurden mehr als 60 Hamburger Zahnarztpraxen kontaktiert. Insgesamt konnten fünf Zahnärzte für Interviewtermine gewonnen werden, was einer Rücklaufquote von etwa acht Prozent entspricht. Mittels Leitfadeninterview wurden folgende drei Fragenkomplexe thematisiert:

– Kenntnisstand über die QM-Richtlinie
– Persönliche Qualitätsvorstellungen und Anforderungen an die QM-Richtlinie
– Einschätzung des Konkretisierungsgrades der Richtlinie unter besonderer Berücksichtigung zahnmedizinischer Qualitätsinstrumente.

Kenntnisstand über die QM-Richtlinie

Die befragten Zahnärzte zeigten sich insgesamt mit der Richtlinie gut vertraut. Drei der fünf befragten Hamburger Zahnärzte haben sich bereits mit den Inhalten der Richtlinie auseinandergesetzt und hierbei eine externe
Unterstützung durch die Hamburger Zahnärztekammer (ZÄK) in Anspruch genommen.

Diese Unterstützung wurde insgesamt als sehr positiv bewertet. Zwei Zahnärzte waren mit den Konzepten und Zielsetzungen des Qualitätsmanagements, nicht jedoch mit denen der QM-Richtlinie, vertraut. Hierunter nimmt ein Zahnarzt noch eine abwartende Haltung hinsichtlich der Richtlinienumsetzung ein.

Die QM-Richtlinie strebt eine Verbes­serung der Patientenversorgung sowie der Praxisorganisation an. Seitens der befragten Zahnärzte wurde die an­gedachte Patientenorientierung der Richtlinie nicht als zentrales Ziel erkannt.
Lediglich ein Zahnarzt gab ausdrücklich an, dass die Patientenzufriedenheit für ihn ein zentraler Bestandteil des Qualitätsmanagements sei.

Persönliche Qualitätsvorstellungen der befragten Zahnärzte

Die bei allen Befragten wiederkehrende Antwort war, dass Qualitätsmanagement die Arbeitsabläufe der Praxis strukturiere. Die Abläufe müssten wiederholt richtig und identisch durchgeführt werden, um ein gleichbleibendes Niveau sicherzustellen. Ein Zahnarzt sah in der Strukturierung der Arbeitsabläufe einen bürokratischen Aufwand. Dies wurde von den anderen Zahnärzten nicht bestätigt. Durch die verlangte Dokumentation des Qualitätsmanagements werde, so ein Zahnarzt, Transparenz erzielt, die eine erhöhte Patientensicherheit sowie einen Standard für die Mitarbeiter darstelle. Zwei Zahnärzte verstanden ein Fehlermanagement als zentrales Qualitätskriterium. Ein befragter Zahnarzt ließ seine Praxis erfolgreich zertifizieren. Dieser wies ausgeprägte Kenntnisse über Methoden und Konzepte des Qualitätsmanagements auf, die über die Qualitätsvorstellungen der anderen Interviewpartner hinausgingen. Die Intention einer Qualitätserhöhung wurde ebenfalls erkannt. Diese könne jedoch nicht durch das Umsetzen der Richtlinie erreicht werden, da bereits vorher auf hohem Qualitätsniveau gearbeitet wurde. Kritik an der Richtlinie wurde dahingehend geübt, dass sie sich auf die Arbeits­abläufe, jedoch nicht auf die Behandlungsqualität beziehe.

Die Frage, woran die praktizierenden Zahnärzte Qualität erkennen, wurde unterschiedlich beantwortet. Zum Teil stehen die Patientenzufriedenheit und die damit eng verbundene Schmerzfreiheit im Vordergrund. Oft wurden zahntechnische Produkte als Qualitätskriterium genannt. Die eigene Qualität wird an der Teilnahme an Fortbildungen und anhand reibungsloser Praxisabläufe erkannt.

Die Definition von Qualitätsmanagement, wie sie in der Richtlinie aufgeführt ist, wird durch die befragten Zahnärzte nicht in der Form wiedergegeben. Der langfristig ausgerichtete und auch repetitive Charakter eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses, die eigene Qualität betreffend, wurde nicht in die persönliche Qualitätsdefinition integriert. Das Ziel, wie es in den tragenden Gründen zum Beschluss der Richtlinie aufgeführt wurde, die Leistungserbringer zu dem Punkt zu bringen, dass systematisch und umfassend die Qualität der eigenen Leistung verbessert werden soll, konnte daher nicht erfüllt werden.

Einschätzung des Konkretisierungsgrades der QM-Richtlinie

Der Konkretisierungsgrad der QM-Richtlinie wurde sehr unterschiedlich eingeschätzt. Zwei Zahnärzte gaben an, die QM-Richtlinie als gut umsetzbar anzusehen, betonten jedoch, dass diese Einschätzung nur durch die Unterstützung der Hamburger ZÄK positiv ausfalle. Hiervon gab ein Zahnarzt an, dass es ohne die Kammer wahrscheinlich zu einer anderen Umsetzung gekommen wäre. Als nicht konkret wurde die Richt­linie von einem Zahnarzt erlebt, der aus seiner Sicht Selbstverständlichkeiten zu dokumentieren habe. Ein weiterer Befragter betrachtete die QM-Richt­linie als unzureichendes Instrument des Qualitätsmanagements. Allerdings diene die QM-Richtlinie der Strukturierung der Arbeit seiner Mitarbeiter.

Verwendete Qualitätsinstrumente

Es wurde erfragt, welcher in der Qualitätsmanagement-Richtlinie aufgelisteten Instrumente in den Zahnarztpraxen Anwendung finden. Die Ergebnisse sind der linksstehenden Tabelle zu entnehmen. Anschließend wurde eine Einschätzung über die praktische Umsetzbarkeit der Instrumente erbeten. Drei der befragten Zahnärzte gaben an, dass die Umsetzung der in der Richtlinie aufgeführten Instrumente lediglich deshalb unproblematisch sei, da sie eine gute Unterstützung durch die Hamburger Zahnärztekammer erhielten. Ansonsten würde die Umsetzung als zeitintensiv und aufwendig eingeschätzt werden. Ein Zahnarzt begründete diese Einschätzung dahingehend, dass die Richtlinie nicht ausreichend umgrenzt sei. Weiterhin würden die Begehungen durch die ZÄK befürwor-tet, sodass die Umsetzung der Ins­trumente sowie die Praxisabläufe durch eine neutrale Instanz bewertet und weiter optimiert werden könnten. Ein Zahnarzt betrachtete die Instrumente als praktikabel, wies aber auch auf die bürokratische Zusatzbelastung hin.

Richtlinie: Der korrekte extrinsische Anreiz?

Eine rechtliche Verpflichtung stellt einen extrinsischen Anreiz dar, die in der Richtlinie genannten Grundanforderungen erfüllen zu müssen. Dennoch ist dies für die befragten Zahnärzte nicht Anreiz genug, um weitere Vor-teile eines Qualitätsmanagements ausschöpfen zu wollen. Vielmehr wird die gesetzliche Vorgabe als bürokratische Belastung und „eine weitere Vorschrift“ angesehen, die den Arbeitsalltag eher erschwert als erleichtert. Ansätze eines Qualitätsmanagements, die zusätzlich zu den Anforderungen der Richtlinie umgesetzt werden, sind nicht auf die Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der Richtlinie zurückzuführen. Andere extrinsische Anreize können sein, dass auf Patientenwünsche reagiert wird, dass eine Zertifizierung angestrebt wird oder dass die Marktposition der Praxis gestärkt werden soll, was unabhängig von einer gesetzlichen Vorgabe geschieht.

Das Ziel der Qualitätsmanagement-Richtlinie, dass die Regelungen für die Beteiligten nicht hinderlich, sondern vielmehr förderlich sein sollen, wurde im Rahmen der Interviews als nicht erfüllt angesehen.

Forderung eines weiterführenden Qualitätsbegriffes

Das Team der Studie ist der Auffassung, dass die „qualitative Einschätzung von Qualität“ nicht unterschätzt werden sollte. Bedingt durch die Tatsache, dass es trotz evidenzbasierter (Zahn-)Medizin und der Anwendung von Leitlinien schwierig ist, ein standardisiertes „Produkt“ zu generieren, sollten ebenfalls nichtmessbare Qualitätsindikatoren hinzugezogen werden. Es sind, so unsere Auffassung, die Patienten-Compliance und eine verstärkte Eigenverantwortung des Patienten, das Empowerment, als Qualitätsindikatoren für die zahnmedizinische Leistungserbringung hinzuzuziehen.

Insbesondere vor dem Hintergrund des Qualitätsgedankens, bei welchem der Patient im Mittelpunkt der zahnmedizinischen Bemühungen steht, sollten diese Faktoren als Qua­litätskriterien einbezogen werden. Vor dem Gedanken der Qualitäts- und Gesundheitsförderung in der Zahnmedizin sind diese Faktoren von besonderer Bedeutung, da eine gute Aufklärung den Patienten zu einer optimalen Unterstützung des zahnmedizinischen Behandlungsprozesses befähigt.

Ethisches Dilemma wird nicht thematisiert

Ein Zahnarzt kritisierte die QM-Richt­linie scharf, da nicht versucht würde, dem Dilemma entgegenzutreten, dass ein Zahnarzt verschiedene Rollenanforderungen zu erfüllen habe. In erster Linie habe sich ein Zahnarzt auf die medi­zinische Indikation zu berufen. In zwei-ter Linie verstehe er sich selbst jedoch als „Verkäufer“, der zu unterschiedlichen Preisen eine Behandlung unterschiedlicher Qualität anbieten könne. Hierbei sind zusätzlich Aspekte der Ästhetik zu berücksichtigen, die ebenfalls eng mit einem monetären Aspekt verknüpft sind.

Der mit der zahnmedizinischen Qualität eng verbundene Kostenaspekt muss im Sinne des Patienten reflektiert und thematisiert werden. Die Autorin leitet aus den erläuterten Reflexionen bezüglich der durchgeführten Interviews folgende eigene Qualitätsdefinition ab, die sich ihrer Ansicht nach für weitere Diskussionen in der zahnmedizinischen Qualitätsentwicklung eignet:

– Qualität ist die Erreichung einer bestimmten Eigenschaft mit bestimmten Mitteln.

Anmerkung 1: Die zu erzielende Eigenschaft wird durch eine zahnmedizinische Behandlung erreicht, die mittels einer partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Zahnarzt und Patienten festgelegt wird.

Anmerkung 2: Als „Mittel“ können die vorhandene technische Ausstattung, das individuelle Wissen des Zahnarztes oder die Kaufkraft des Patienten verstanden werden.

Verbesserungsprozess des QM ist nicht vorhanden

Es kann geschlussfolgert werden, dass der Grad der Umsetzung der Qualitätsmanagement-Richtlinie keinen oder lediglich einen geringen Einfluss auf das vorhandene Qualitätsverständnis hat. Es wurden nur Teile der Inhalte der Richtlinie in die persönlichen Defini­tionen von Qualitätsmanagement integriert. Daher wurde die Idee eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses des Qualitätsmanagements in den Interviews nicht erkannt. Die Richtlinie wird tendenziell, kritisch und eher skeptisch betrachtet, da die Richtlinie als bürokratisch erlebt wird. Das Ziel der Richtlinie, den Zahnarztpraxen „nützlich, hilfreich und unbürokratisch“ zu begegnen, könnte aufgrund vorliegender Interviewergebnisse bei den befragten Zahnärzten als verfehlt gelten.

Autorin: Katharina Kolbe

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