Branchenmeldungen 23.08.2012

Europerio 7 in Wien war grösster Parokongress der Welt

Europerio 7 in Wien war grösster Parokongress der Welt

Foto: © Eschmann Medien AG

Über 7’800 Teilnehmer aus aller Welt wollten wissen, was es Neues in der Parodontologie gibt.

In den Hallen des Wiener Ausstellungs- und Kongresszentrums wie auch bei den zahlreichen Sponsorenveranstaltungen inner- und ausserhalb des Kongresses wurden vom 6. bis 9. Juni neue Entwicklungen und Probleme der Parodontologie unter Teilnehmern aus aller Welt diskutiert. Internationale Kongresse bieten einfach immer ein besonderes Flair. Genau genommen wurde am „Gipfeltreffen“ der Parodontologie mindestens ebenso intensiv über Periimplantitis diskutiert.

„Knochenfresser“ oder „Knochenbildner“?

Doch zunächst zur Parodontologie: Gleich in der Hauptvorlesung im grossen Saal wurde das Auditorium über die frischesten Fährten und zu den neuesten Erkenntnisse der Forschung geführt. Josef Penninger, Institut für molekulare Biotechnologie, Wien, referierte über seine Genforschungen an dem beliebten Forschungsobjekt Drosophila melanogaster, der gemeinen Fruchtfliege. Wegen ihres kleinen Chromosomensatzes ist sie traditionell dafür wie geschaffen. Denn wegen dieser Eigenschaft ist es möglich, gut an ihren Genen zu manipulieren. Die Forscher können nach Belieben kleine, schlanke oder auch grosse, dicke Fliegen züchten, indem sie Gene ein- oder ausschalten. Noch sind die genauen Abläufe auf molekularer Ebene nicht ganz geklärt, doch die Tatsache, dass die meisten chronischen Erkrankungen auf Fehlregulierungen des Genmaterials zurückzuführen sind, macht dieses Thema sehr interessant: Der Regulator RANK-Ligand entscheidet über die Reifung eines undifferenzierten Osteozyten – wird er zu einem Osteoklasten „Knochenfresser“ oder einem Osteoblasten „Knochenbildner“?

Für Krankheiten wie Osteoporose, Parodontitis, Arthritis, aber auch Asthma, Leukämie, Autoimmunerkrankungen, HIV, Brust- und Prostatakarzinome und andere Krankheiten spielt dies eine tragende Rolle. Auch der Einfluss von Hormonen auf die Regulatoren gilt als aufgeklärt. Das weibliche Hormon Progesteron bewirkt das Einschalten von RANK-Ligand und sorgt damit für Knochenabbau. Die natürliche Funktion besteht darin, damit für die Bereitstellung von Kalzium zu sorgen. Wichtig in der Schwangerschaft für die embryonale Knochenbildung und postnatal für die Milchproduktion. Bereits jetzt werden diese Erkenntnisse in der Orthopädie eingesetzt. Mittels Depotinjektionen zwei Mal jährlich lässt sich so die Heilung von Frakturen beschleunigen.

Alte und neue Betrachtungsweise der Parodontitis

Auch am zweiten Kongresstag gab es zur  Parodontitis viele Erkenntnisse zusammenzutragen, wenn diese auch zum Teil den Eindruck erweckten, dass sie auf Bekanntem beruhen: So zum Beispiel, dass unser Hauptaugenmerk in früheren Zeiten auf der Plaquebeseitigung lag. Dies ist somit ein „alter Hut“, die neuere Anschauung liegt in der Betonung darauf, dass der Patient selbst und nachhaltig die Plaqueanlagerung bekämpft. Und die umfassende Betrachtungsweise und deren Zusammenhänge sind wichtig: putzt der Patient wirklich konsequent? Hält er den statistisch erwiesenen wichtigen Recall ein? Beachten wir die Anamnese wirklich gut genug oder bestehen chronische Erkrankungen wie etwa Diabetes? Wenn ja, ist „der Zucker richtig eingestellt“ oder ist der Patient, der uns mit seiner therapieresistenten Parodontitis Kopfzerbrechen bereitet, gar ein nicht diagnostizierter „Diabetiker“? Davon gibt es immerhin fünf bis sechs Prozent in der Bevölkerung. Und uns Zahnärzten fällt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle zu, da wir unsere Patienten häufig regelmässiger sehen als der Hausarzt. Und: chronische Erkrankungen nehmen in der Wohlstandgesellschaft an Inzidenz zu, und das in schon jüngerem Alter als früher. Wir müssen also solche Dinge immer im Hinterkopf haben!

Ernährung und Risikofaktoren

Auch andere „alte Hüte“ wurden in Referaten beleuchtet. Zum Beispiel die Rolle des Vitamin C im Vortrag „Nutrition in the management of periodontal disease“: Wir wissen schon von den alten Seefahrern, wie wichtig es ist. Heute genauer, dass es eine wichtige Rolle als Antioxidans und bei der Herstellung und Funktion des Bindegewebes spielt. Aber es gibt laut Vortrag und Feldstudien in Indonesien von Ubele van der Velden, ACTA Amsterdam, für jedes Individuum eine andere Menge, die zugeführt werden muss, um genug Vitamin C im Serum zur Verfügung zu haben. Ebenso ist der Konsum von Kohlehydraten und regelmässige Bewegung von grossem Einfluss auf sämtliche chronische Erkrankungen! Um zum Schluss zu kommen: Wer gesund bleiben oder werden will, sollte sich jeden Tag mindestens 20 Minuten körperlich betätigen, weniger Kohlehydrate und dafür zwei Kiwis pro Tag essen. Dass Rauchen ungesund ist, ist ebenfalls nichts Neues, aber Christoph Ramseier, zmk Bern, kann Auswege aus der Sucht aufzeigen und den „Rauch-Stopp“ für die Praxis im Detail „ausschildern“. Darüber hinaus macht er mit seiner Arbeit unsere immens wichtige Stellung als Aufklärer, Motivatoren und Führer aus der (Sucht-)Krankheit immer deutlicher.

Probiotika und Patientenführung

Andere Ansätze beim Kampf gegen die Parodontitis könnten nach Wim Teughels, Katholische Universität Leuven, Probiotika bieten, indem die individuelle Keimflora mit harmlosen Bakterien gezielt angelegt oder positiv beeinflusst wird. Auch er konnte interessante Studien und Ausblicke vorlegen. Sein Schlussfazit: „Bleib’ gesund, esse mehr Bakterien!“ klingt griffig, doch tiefere Erkenntnisse liegen im Dunklen und auch die vorgestellten Produkte sind in der Schweiz nicht erhältlich.
Es ist an der Europerio also einmal mehr klar geworden, dass wir nicht auf ein bald erhältliches Allheilmittel hoffen sollten, sondern unsere bekannten Mittel konsequent ausschöpfen müssen und dass die Patientenführung in unserem Zeitalter wichtiger ist als je zuvor. Wir sollten also eher mal eine „Sprechstunde“ mehr einlegen, als das Heil in der Tat zu suchen.

Iatrogene Faktoren vermeiden

Am Samstag wartete u.a. Nicola Zitzmann, UZM Basel, mit ihrem Referat „Gemeinsamkeiten von Parodontitis und Periimplantitis“ auf: Es ist nicht nur die erwiesene Wahrscheinlichkeit, dass ein Parodontitispatient auch eine Periimplantitis entwickelt. Wir müssen mehr an den Biofilm im Mund-Rachen-Raum denken, der sich nicht mit den letzten hoffnungslosen Zähnen aus dem Mund extrahieren lässt! Aber es gibt auch positive Ähnlichkeiten: So kann eine Gingivitis durch Verbesserung der Mundhygiene beherrscht werden, wie auch eine Mukositis um das Implantat mit Verbesserung der Plaquekontrolle umkehrbar ist. Dennoch ist das Epithel um ein Implantat nicht mit der funktionellen, strukturellen Architektur des Desmodonts vergleichbar. Wie wir wissen, ist damit die Abwehrlage um ein Implantat weit schwächer als um den Zahn. Darin sieht Zitzmann die Wurzel der gegebenen Problematik. Daraus lassen sich auch in der Literatur nicht klar belegte Risikofaktoren ableiten, wie etwa eine zu schmale keratinisierte Gingiva von 2 mm oder weniger. Ihrer Meinung nach müssen iatrogene Faktoren vermieden werden, denn alleine die „Zementitis“ ist je nach Studie für ca. 80 % der Periimplantitiden verantwortlich.

Rau, angeraut oder glatt?

Ebenso brillant klärte der anschliessende Vortrag von Marc Quirynen, BE-Leuven, anhand von Studien über die Eigenschaften unterschiedlicher Implantatoberflächen auf: raue Implantatoberflächen führen demnach zu einer schnelleren und besseren Osseointegration, sind aber bei gegebenen Entzündungen anfälliger. Glatte Implantatoberflächen haben eine schwächere Osseointegration, sind aber resistenter bei drohender Periimplantitis. Die heute verbreiteten, moderat angerauten Oberflächen der Implantate vereinigen die Vorteile der Oberflächen.

Es gibt noch viel zu forschen

Es lässt sich zusammenfassend über den 7. Europerio berichten, dass wir lange nicht am Ziel sind, sondern klug in die Vergangenheit blicken und daraus die wichtigen und richtigen  Erkenntnisse ziehen müssen. Die Forschung hat klare Vorstellungen für künftige Untersuchungen und eine unterstützende Industrie an der Seite. Und bis wir weiter mit neuen Erkenntnissen sind, müssen wir uns penibel an bekannte Regeln halten, um wenigstens bekannte Fehler zu vermeiden und den befürchteten „Tsunami“ in der Implantologie abwenden zu können.

Der Europerio 8 findet vom 3. bis 6. Juni 2015 in London statt.

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