Branchenmeldungen 28.10.2011
Zahnlose Patienten sterben früher
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An der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Oralchirurgie und Stomatologie SSOS am 1. September in Bern, stand die “Zahnerhaltende Chirurgie” im Vordergrund.
Prof. Thomas Dietrich von der Universität Birmingham UK, eröffnete die Vorträge und erläuterte die verschiedenen Assoziationen zwischen Systemerkrankungen und Zahnverlust, den dahinter steckenden Mechanismen und deren klinische Relevanz. Ob überhaupt ein Bezug zwischen dem Verlust von Zähnen und Allgemeinerkrankungen vorhanden ist, haben in den vergangenen 10 Jahren viele Studien eindeutig gezeigt. Zahnverlust ist ein sehr guter Marker für den sozioökonomischen Status, als auch für dentale Infektionen. Letzteres wird zwar kontrovers diskutiert, haben doch Zahnlose ebenfalls erhöhte Entzündungsparameter.
Je weniger Zähne vorhanden sind, desto schlechter ist die Nahrung die zu sich genommen wird, damit erhöht sich das kardiovaskuläre Risiko. Zahnverlust kann ein ursächlicher Grund für eine Allgemeinerkrankung sein, neueste Erkenntnisse zeigen, dass sogar die Entfernung des Zahnes selbst, Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Krankheitserreger in der Mundhöhle haben Einfluss auf den Zahnhalteapparat und können zu einer Parodontitis führen. Diese Entzündung hat direkte Effekte (Bakteriämie), als auch indirekte Effekte (systemische Inflammation) welche zu einer Erkrankung der Herzkranzgefässe führen. Die Wundfläche einer Parodontitis an 28 Zähnen hat doch die Grösse einer Handfläche und somit einen grossen Einfluss. Erste aktuelle Studien zeigen, dass innerhalb der ersten vier Wochen nach einer Zahnextraktion das kardiovaskuläre Risiko um 50% erhöht ist. Es gibt Studien die eindeutig zeigen, dass zahnlose Patienten vermehrt und früher sterben. Mit einer amüsanten Grafik legte Prof. Dietrich Wert darauf, dass die Kausalität, also die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung, sehr vorsichtig betrachtet werden muss. Dass sein zunehmendes Körpergewicht der letzten 3 Jahre mit dem Wachstum seiner kleinen Tochter zusammenhängt, ergibt keinen Sinn.
Feines Nahtmaterial hilft für gute Wundheilung
Dr. Rino Burkhardt, Zürich, schilderte die Entwicklung der Parodontalchirurgie und wie sich das das Wissen im Laufe der Zeit veränderte. Aktuelle Versuchsergebnisse zeigen, dass unabhängig von der Ausdehnung der befestigten Gingiva immer gesunde Verhältnisse erreicht werden können. Es benötigt keine Mindestbreite um einen Attachmentverlust vorzubeugen. Mit den heutzutage erhältlichen feinen Nadelhaltern und Lupenbrillen lassen sich kleinste und feinste Operationen verwirklichen. Die Lappenspannung sollte möglichst gering sein um einen erneuten Rückgang zu verhindern. In experimentellen Tierversuchen konnten diese Erkenntnisse erstmals gewonnen werden und exzellent simuliert werden. Für den Praxisalltag ist wichtig, dass möglichst feines Nahtmaterial verwendet wird. Damit lässt sich keine zu grosse Spannung erzeugen, ansonsten der Faden reissen würde. Wichtig ist, dass je nach Geschick und Können des Behandlers unterschiedliche Operationstechniken angewendet werden sollen. Das Behandlungsziel sollte individuell für jeden Patienten festgelegt werden.
Der Patient ist kein „Versuchskaninchen“
Prof. Anton Sculean, ZMK Bern, zeigte mittels histologischer Bilder auf, dass parodontale Taschen von über 6mm ein Reservoir für Bakterien darstellen. Bei einer Parodontaltherapie ist ganz wichtig, dass die Mundhygiene optimal eingestellt ist und der Patient nicht raucht. Bei einem unregelmässigen Recall, kann grob davon ausgegangen werden, dass innert drei Jahren wieder 3 Millimeter an Attachment verloren gehen. Mittels vieler interessanter Patientenfälle zeigte Prof. Sculean was in der Parodontalchirurgie alles möglich ist. Studien zeigen eindeutig, dass durch eine korrekte Therapie die Langzeitprognose von parodontal erkrankten Zähnen verbessert werden kann. Die verwendeten regenerativen Materialien sollen auf einer stabilen biologischen Basis stehen und nur im Rahmen eines Gesamtbehandlungskonzeptes verwendet werden.
Lücke? Zahn transplantieren!
Dr. Hubertus van Waes, ZZM Zürich und Prof. Andreas Filippi, UZM Basel loteten die Grenzen der Zahntransplantation aus. Mit Hilfe animierter Grafiken wurden erst die biologischen Hintergründe auf der Wurzeloberfläche erläutert, dann einige äusserst spannende Fälle vorgestellt. Hauptindikation für eine Transplantation ist die Nichtanlage. Zu transplantierende Zähne sind mit einem zu 2/3 abgeschlossenen Wurzelwachstum dazu am besten geeignet. Für das Erlernen dieser Technik, ist eine Transplantation eines Weisheitszahnes an die Position des sechsten Zahnes im gleichen Quadranten optimal geeignet. Für eine optimale Einheilung und Ausbildung des Zahnbettes ist der Weichgewebeverschluss um den Zahn herum, sowie das Einbringen in Okklusion, sehr wichtig.
Einen interessanten Fall präsentierte Dr. van Waes. Nach einem Unfall begann der Zahn zu ankylosieren. Mittels Lockerung mit der Zange liess er sich wieder in das Kieferwachstum eingliedern. Selbst durch ein Trauma verlagerte Zahnkeime lassen sich so entfernen und neu platzieren. Hauptkomplikation der Zahntransplantation ist die Resorption, besonders nach Kompressionsverletzungen oder Berühren der Wurzeloberfläche auch nur schon mit der Spitze der Zange auf den Seiten beim Entfernen des Zahnes. Nur sachgemäss entfernte Zähne welche sanft aus ihrem Bett entfernt werden, können wieder optimal einwachsen. Aufgrund der schwierigen Handhabung schwanken die Erfolgsraten von Zahntransplantationen in Studien erheblich.
Wurzelspitze abtrennen oder zum Endodontologen?
PD Dr. Matthias Zehnder, ZMK Zürich präsentierte anhand der bisher einzigen Studie, dass nach einem Jahr die Wurzelspitzenresektion zwar besser abschneidet, nach vier Jahren beide Methoden aber auf dem Röntgenbild gleichauf sind. Für den Patienten ist die chirurgische Variante unangenehmer: Er braucht mehr Schmerzmittel und fehlt länger am Arbeitsplatz.
PD Zehnder empfiehlt in folgenden Fällen eine Wurzelspitzenresektion:
- nicht entzündliche Läsion
- grosser intrakanalärer Stift
- vermutete Wurzelfraktur
- kein trockener Wurzelkanal erreichbar wegen Entzündung ausserhalb der Wurzel
PD Zehnder präsentierte viele interessante Bilder, Behandlungsvideos und gab praktische Tipps für die Privatpraxis. Für PD Zehnder ist es wichtig, dass jeder Zahnarzt seine Grenzen kennt und nicht überschreitet. Dazu gibt es den Tochter-Test: Ist eine kompliziertere Behandlung indiziert, als dass man sie selber noch an der eigenen Tochter ausführen würde, sollte man den Patienten an einen Spezialisten überweisen. Bei einem Misserfolg könnte man ansonsten in eine unangenehme Situation geraten.
Auf den Eckzahn fühlen
Es kann vorkommen, dass bei einem Kind die Oberkiefer-Eckzähne nicht korrekt durchbrechen. Diese müssen dann auf komplizierte Art angeschlungen und kieferorthopädisch eingereiht werden. Lassen sich gemäss PD Jean-Paul Schatz, Genf, bei einem 9-10 Jahre alten Kind die Eckzähne nicht ertasten, so sind weitere Abklärungen nötig.
DVT vs. Piezo im Nachwuchswettbewerb
Dr. Valérie Suter, ZMK Bern und Dr. Silvio Schütz, UZM Basel, präsentierten ihre Forschungsergebnisse in einer kurzen Präsentation. Anschliessend beantworteten sie Fragen aus dem Publikum und der Jury. Dr. Valérie Suter analysierte DVT-Aufnahmen nasopalatinaler Zysten auf verschiedene Korrelationen. Signifikante Ergebnisse gibt es zwischen der Zystengrösse und den daraus resultierenden postoperativen Komplikationen.
Dr. Silvio Schütz untersuchte die Veränderungen im Knocheninnern beim Einsatz eines piezochirurgischen Instrumentes. Mittels eines möglichst realitätsnahen Versuchsaufbaus konnte Dr. Schütz zeigen, dass, wenn die Herstellervorgaben zur Kühlung eingehalten werden, keine Temperatur-Schädigung entstehen kann. Die kritischen Werte von 47° Celsius für 1 Minute oder eine Maximaltemperatur von 70° Celsius wurden nicht überschritten.
Auf die Fragen der Jury antworteten beide Referenten kompetent und schnell. Den ersten Platz erreichte Dr. Silvio Schütz, Dr. Valérie Suter blieb aber nicht mit leeren Händen. Um den Nachwuchswettbewerb attraktiver zu gestalten, gibt es neu auch einen Preis für den zweiten Platz.