Kieferorthopädie 01.02.2012
„Biomechanik von einem Moment auf den anderen anpassen“
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Im Rahmen der 2nd World Implant Orthodontic Conference in Taipeh (Taiwan) stellte Prof. Dr. Giuliano Maino sein Konzept zur Kopplung zweier im Gaumen inserierter Minischrauben vor – die Power Plate. Wie hilfreich und vielseitig sich diese Kombination erweist, erläutert der Geräteentwickler im KN-Interview.
Über welche Eigenschaften verfügt die Power Plate?
Meiner Meinung nach können durch Einsatz der Power Plate Biomechaniken optimiert werden, sodass wir in der Lage sind, bisherige Grenzen der kieferorthopädischen Behandlung zu überwinden. Insofern wird die Kombination von Minischrauben und Platten künftig besonders bei schwierigeren Fällen eine Rolle spielen. Ein weiterer Vorteil dieses Systems ist, dass es während der Behandlung leicht adaptiert werden und somit die Biomechanik von einem Moment auf den anderen den speziellen Anforderungen angepasst werden kann.
In welchem Bereich des Gaumens inserieren Sie die Schrauben?
Überall dort, wo genügend Knochendicke vorhanden ist. Der Vorteil des kombinierten Einsatzes von selbstligierenden Minischrauben und Platten ist, dass wir die Minischrauben dort setzen können, wo wir die beste Knochenqualität und -quantität erwarten. Wir optimieren in diesem Fall das biomechanische System, um Schrauben und Platten mit einer optimalen Erfolgsrate auszustatten.
Welches Schraubendesign verwenden Sie (Länge und Durchmesser)?
Ich arbeite mit selbstligierenden Minischrauben. Der Vorteil ist, dass der selbstligierende Schraubentyp ermöglicht, eine Platte einzusetzen und diese auf sehr einfache Weise – lediglich durch Drehen des Schraubenkopfes mittels eines passenden Schraubendrehers – gesichert werden kann. Dies erlaubt das problemlose Entfernen der Power Plate (einfach den Kopf mittels einer Viertelumdrehung abschrauben), falls die Biomechanik geändert werden muss. Während wir diestun, können die Arme der Platte außerhalb des Mundes gebogen und entsprechend der neuen Aufgabe des jeweiligen Behandlungsschrittes angepasst werden, wobei die Minischrauben an Ort und Stelle verbleiben. Danach wird die Platte wieder in ihrer Ausgangsstellung eingesetzt. Dieses Vorgehen ist sehr simpel, schnell und ohne Schmerzen für den Patienten durchführbar. Der Schraubendurchmesser kann 1,5 oder 2mm betragen. Es gibt aber auch selbstligierende Minischrauben mit einem Durchmesser von 2,3mm. Aus meiner Erfahrung heraus scheint der Durchmesser keine größere Bedeutung für die Erfolgsrate der im Gaumen inserierten Minischraube zu haben. Bei jüngeren Patienten mit weichen Knochen bevorzuge ich einen breiteren Durchmesser, um die Stabilität zu erhöhen. Die Länge der Schraube kann entsprechend der Stärke des Knochens zwischen 6, 8, 9 und 10mm variieren.
Verwenden Sie ein spezielles Insertionsprotokoll (Insertionswinkel zum Knochen, Vorbohren, Drehmoment etc.)?
Im Allgemeinen sind die selbstligierenden Minischrauben auch selbstbohrend. Bei Erwachsenen mit einem harten Gaumenknochen jedoch, wenn die Minischraube in der mittleren Gaumennaht inseriert werden muss, bohre ich für gewöhnlich vor. Bei jungen Patienten ist eine Vorbohrung nicht erforderlich. Wird im Oberkiefer bukkal inseriert, bohre ich niemals vor – weder bei jungen noch bei erwachsenen Patienten. Hinsichtlich des Insertionswinkels: Wenn in der Nähe von Wurzeln gearbeitet wird, liegt mein Hauptaugenmerk darauf, die Wurzeln nicht zu beschädigen. Insofern stellt der Winkel nicht unbedingt einen bedeutenden Faktor dar. Ich inseriere manuell oder maschinell, hier dann mit einem Drehmoment von normalerweise 30U/min-1. Das gleiche Drehmoment wird für gewöhnlich bei prothetischen Implantaten empfohlen.
Inserieren Sie paramedian oder in der Sutura?
Ist es erforderlich, die Schraube im Bereich der Gaumennaht zu platzieren, inseriere ich diese bei Erwachsenen in der mittleren Gaumennaht. Beim heranwachsenden Patienten im paramedianen Bereich, um nicht das Wachstum des Gaumens zu behindern. Wird im paramedianen Bereich inseriert, tue ich dies in einem Schraubenabstand von 3 bis 5mm zueinander.
Setzen Sie zwei Schrauben immer paarweise ein?
Werden die Minischrauben im Gaumen entsprechend der Studie von Y. H. Kim (AJODO 2010) eingesetzt, ziehe ich es vor, diese als Paar zu verwenden oder manchmal – bei Einsatz bestimmter Plattenarten – auch einmal drei Minischrauben miteinander zu verbinden. Verwende ich den Spider Link bukkal, kann ich zwei oder manchmal nur eine Schraube einsetzen. Das hängt von der jeweiligen Form der Power Plate ab, die ich entscheide einzusetzen, sowie von der benötigten Biomechanik.
Gibt es spezielle Abutments bei diesem System?
Dieses System benötigt keine Abutments. Der Großteil der Dinge, die wir benötigen, ist vorgeformt, sodass der Kieferorthopäde den verschiedenen klinischen Anforderungen selbst und ohne die Notwendigkeit eines Labors entsprechen und diese problemlos managen kann. Ein Vorteil ist, dass der Kliniker Zeit sparen kann, da er etwaige Probleme direkt in der Praxis erkennen und entsprechend lösen kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass er alles direkt steuern kann, sodass Unkosten verringert werden, was wiederum eine Geldersparnis bedeutet.
Welchen Indikationen kann mit der am Gaumen platzierten Power Plate entsprochen werden?
Einer Vielzahl von Indikationen. Wir hatten die Gelegenheit, sie auszuprobieren und schätzen deren Zweckmäßigkeit in hyperdivergenten Fällen mit einer Tendenz zum offenen Biss und/oder verlagertem Kinn, wo eine orthognathe Behandlung vorteilhaft sein könnte. Diese Art von Behandlung kann sowohl beim wachsenden als auch nicht wachsenden Patienten durchgeführt werden. Geneigte Okklusionsebenen stellen eine sich anbietende Indikation dar. Wir können einzelne Zähne bewegen und die finale Okklusion durch Anwendung eines biomechanischen Systems, welches leicht den entsprechenden Anforderungen dieses speziellen Patienten bzw. bestimmten Behandlungsschrittes angepasst werden kann, fein abstimmen. Asymmetrische Fälle sind eine weitere Indikation, wenn z.B. auf der einen Seite eine Mesialisation angestrebt und auf der anderen Seite Zähne distalisiert oder an Ort und Stelle gehalten werden sollen. Auch Klasse II-Non-Extraktionsfälle bieten sich an sowie Fälle, wo wir chirurgische Techniken wie Kortikotomie/Piezoinzision/ Dekortikation miteinander kombinieren möchten, um Zahnbewegungen zu erleichtern und kieferorthopädische Behandlungen schneller zu gestalten (Klasse II mit Distalisierung des kompletten OK in nur wenigen Monaten). Zudem können neuere Techniken mit der Zeit weiter verbreitet werden.
Wo kann dieses hervorragende System in Deutschland erworben werden?
Für nähere Informationen kontaktieren Sie bitte die Firma HDC unter http://www.hdc-italy.com/it/contatti oder Tel.: +39 445 364148. Soweit ich weiß, gibt es bislang keinen deutschen Vertriebspartner.
Haben Sie vielen Dank für das Interview.