Prophylaxe 19.06.2012

Prävention für Jung und Alt



Prävention für Jung und Alt

Möglichkeiten eines lebenslangen Präventionsprogrammes
 

Prävention gewinnt in der modernen Zahnmedizin stetig an Bedeutung. Laut neuester Studien wird die Mundgesundheit in Deutschland immer besser und Karies ist dank intensiver Prophylaxe auf dem Rückzug. Zahlreiche Zahnarztpraxen haben dies bereits für sich erkannt und ein Prophylaxeprogramm in ihr Behandlungsspektrum integriert. Doch häufig wird immer noch unterschätzt, dass eine umfassende Prävention weit über die allgemein verbreitete „PZR“ hinausgeht. Sie beginnt bereits im Kindesalter und beinhaltet die Seniorenprophylaxe ebenso wie eine besondere Betreuung mit individuellen Recallintervallen bei Risikogruppen.

Das Früherkennungsprogramm (FU) von Zweieinhalb- bis Sechsjährigen bezeichnen wir in unserer Praxis als „Zwergenputzprogramm“. Schon während einer Schwangerschaft sprechen wir die werdenden Mütter in der PZR-Sitzung auf dieses spezielle Prophylaxeprogramm an, das ab dem 30. Lebensmonat durchgeführt werden kann. Die Schwangere bekommt zum Abschluss der Sitzung bereits die Zahnbürste für den ersten Zahn des Babys geschenkt und wird über Mundhygiene im Babyalter aufgeklärt. Denn unser Ziel ist, dass das Kind einmal unser Patient wird.

Ablauf des „Zwergenputzprogrammes“

Nach der freundlichen Begrüßung des Kindes und der ­Eltern bereits im Wartezimmer darf sich das Kind eine Zahnbürste als Geschenk aussuchen. Durch dieses Geschenk ist das Eis zwischen Behandler und Kind schon gebrochen und die Kleinen spazieren eifrig mit in das ­Behandlungszimmer. Zunächst erfolgt das Anfärben der Zähne mit der „Zauberfarbe“, um „Karies“ und „Backtus“ sichtbar zu machen (Abb. 1). Wir zeigen den Kindern und den Eltern sichtbare Beläge im Spiegel, um daraufhin spielerisch die Putztechnik zu erlernen oder zu optimieren. Diese Übung erfolgt bereits mit der geschenkten Zahnbürste (Abb. 2). Bei etwa Fünfjährigen kommt auch schon die Kinderzahnseide zum Einsatz. Wir üben alles gemeinsam im Mund des Kindes, damit ihm dann die Durchführung im häuslichen Bereich leichterfällt. Wenn die Kleinen nicht überall zum Putzen hinkommen, holen wir uns immer deren Einverständnis zum Nachputzen: „Schau, du bist schon so groß, aber da hinten kommst du nicht alleine hin. Wenn die Beläge auf dem Zahn liegen bleiben, wird der Zahn ganz schwarz, das möchten wir doch nicht. Darf die Mama am Abend nachputzen?“ So ist das JA zum Nachputzen meist kein Problem.

Der nächste Inhaltspunkt ist eine Oberflächenpolitur mit feiner Politurpaste. Wir demonstrieren die Politur erst an den Fingernägeln und polieren dann die Zähne auf „Hochglanz“ (Abb. 3). Anschließend erfolgt eine Einschätzung des Kariesrisikos anhand des dmf-t-Indexes. Bei kariesanfälligen Kindern wird eine Fluoridierung mit hochwirksamen Lacken durchgeführt. Bei erhöhtem Kariesrisiko darf die IP4 vor dem sechsten Lebensjahr abgerechnet werden. Daraus ergeben sich dann die Recallintervalle. Abschließend beraten wir die Erziehungsberechtigten über Ernährung und Mundhygiene mit dem Ziel, durch verringerten Konsum zuckerhaltiger Speisen und Getränke die Anzahl der Keime im Mund zu senken. Sehr hilfreich ist hierfür der Zuckerschaukasten im Wartezimmer. Vor Getränken und Nahrungsmitteln ist ein Würfelzuckerberg aufgebaut, der den Zuckergehalt des jeweiligen Produktes zeigt. Die meisten Patienten staunen nicht schlecht, wenn sie sehen wie viel Zucker z.B. in der Apfelsaftschorle enthalten ist. Ganz wichtig ist auch die Fluoridanamnese. Es wird genau analysiert, wieviel ­Fluorid aus welchen Quellen das Kind zu sich nimmt, um danach den genauen Bedarf zu ermitteln. Am Ende erfolgt eine Abschlussuntersuchung durch den Zahnarzt. Durch dieses „Zwergenputzprogramm“ haben wir eine enorme Mund-zu-Mund-Werbung. Die Eltern sprechen z.B. im Kindergarten darüber und wir können dadurch sehr viele neue Patienten, oft auch die Erwachsenen selbst, für unsere Praxis gewinnen. Die Eltern und die Kinder schätzen es, wenn sie immer gleich einen individuell abgestimmten Recalltermin mitbekommen. Für dieses Programm planen wir etwa 30 Minuten Zeit ein. Bei hochwirksamen Fluoridlacken berechnen wir eine private Zuzahlung. Wenn die Behandlung, Argumente und Beratung auch in dieser Altersgruppe stimmen, nehmen manche Patienten bis ca. 40 Kilometer Anfahrtsweg zur Praxis in Kauf.

Kinder- und Jugendprophylaxe von 6- bis 18-Jährigen

Für Kinder und Jugendliche in dieser Altersgruppe bieten wir ein sehr schönes Programm in unserer Praxis an. Wir erklären z.B.: „Du hast das große Glück, dass die Krankenkasse ein Prophylaxeprogramm bezahlt. Als deine Eltern oder ich in deinem Alter waren, hat es so etwas noch nicht gegeben,  deshalb haben wir oft Füllungen in den Zähnen. Das möchten wir bei dir verhindern! Wir sollten es also ausnutzen, so lange dies von Krankenkassen bezahlt wird.“
Zu Beginn wird ein PSI-Index erhoben, da es schon Parodontitis im Kindes- und Jugendalter gibt. Vorteilhaft beim PSI-Index ist, dass wir sowohl die Sondierungstiefe als auch etwaige Blutungungen feststellen können. Der ganze Ablauf wird dokumentiert. Bis zum 18. Lebensjahr werden danach immer die Zähne angefärbt. Oft ist es natürlich nicht ganz einfach, junge Patienten in der Pubertät zur Mitarbeit zu motivieren. Unser Ziel ist aber, dass sich alle Patienten wohlfühlen (Abb. 5). Deshalb erklären wir ihnen, dass die Krankenkasse das Anfärben bezahlt, damit wir feststellen können, an welchen Zähnen sich das Kind oder der Jugendliche beim Putzen schwertut: „Wir möchten doch beide, dass du schöne weiße Zähne hast?!“ Danach optimieren wir an den vernachlässigten Stellen die Mundhygiene. Wir üben immer auch in dieser Altersgruppe alles im Mund. Bei jedem jungen Patienten wird im Anschluss als „Bonbon“ eine Oberflächenpolitur und Interdentalraumpolitur durchgeführt sowie abschließend gezeigt, wie sauber und hell die Zähne wirklich sind. Es erfolgt eine abschließende Fluoridierung mit hochwertigen Abschlussgelen oder -lacken (Abb. 6). Bei den Abschlusslacken haben die Eltern immer die Entscheidungsfreiheit zwischen den Produkten, die von der Krankenkasse bezahlt werden, oder hochwertigen Produkten mit Zuzahlung. Des Weiteren wird wieder eine Ernährungslenkung und Empfehlung geeigneter Fluoridierungsmittel besprochen. Anhand des Kariesrisikos wird der individuelle Recalltermin vereinbart.

KFO-Patienten

Bei KFO-Patienten muss zuerst festgestellt werden, wer die Prophylaxe durchführt (Kieferorthopäde oder zahnärztliche Praxis). KFO-Kinder kommen meistens alle drei Monate zur Prophylaxesitzung mit folgendem Inhalt:  PBI/API, Mundhygiene optimieren, Oberflächenpolitur/ Interdentalraumpolitur, Applikation von CHX-/Fluoridlacken, Ernährungslenkung und Empfehlung von Fluorid- oder CHX-Produkten für den häuslichen Bereich. Durch die engmaschige Recallgestaltung können wir eine deutliche Verbesserung des Zahnschmelzes erzielen und Folgeschädigungen wie White Spots um die ­Brackets reduzieren.

PZR bei Erwachsenen

Im Gegensatz zur häuslichen Zahnpflege, bei der der Patient nicht alle Bereiche im Mund erreicht, können bei ­einer professionellen Zahnreinigung (PZR) auch Ablagerungen und Beläge an schwer zugänglichen Stellen beseitigt werden. Nach der abschließenden Oberflächenpolitur bildet sich deutlich weniger neuer Zahnstein (Abb. 7). Dadurch ist es möglich, das Risiko von Karies, Gingivitis oder Parodontitis zu reduzieren und die eigenen Zähne des Patienten in der Regel bis ins hohe Alter zu erhalten. Ab dem 18. Lebensjahr sollte regelmäßig eine PZR durchgeführt werden. Die Häufigkeit des Recalls ergibt sich in Abhängigkeit von Anamnese, Medikamenteneinnahme, Anatomie und Sondierungstiefe der Zahnfleischtaschen.

Inhalt einer PZR-Sitzung

Die professionelle Zahnreinigung dauert bei einem Vollgebiss ca. eine Stunde und umfasst folgende Punkte:
– CHX-Mundspüllösung
– Anamnese erneuern
– Sondierung der Zahnfleischtaschen
– Zahnsteinentfernung
– Biofilmentfernung
– Glattflächenpolitur/Interdentalraumpolitur
– Mundhygiene-Reinstruktion/Remotivation
– Applikation eines CHX- oder Fluoridlackes
– Recallbesprechung

CHX-Mundspüllösung
Durch die einminütige Spülung mit einer CHX-Lösung werden für circa eine Stunde 90 Prozent der Bakterien in der Aerosolwolke reduziert.

Anamnese erneuern
Diese muss immer aktuell sein, da z.B. Allgemeinerkrankungen mit einher­gehender Medikamenteneinnahme die Immunabwehrlage des Patienten deutlich reduzieren können, d.h. die Gingivitisgefahr ist deutlich höher, da die Abwehrkräfte aus der Blutbahn nicht vorhanden sind. Daher planen wir z.B. Patienten mit Einnahme von Antidepressiva, Psychopharmaka, Asthma­sprays oder Mittel gegen Bluthochdruck alle fünf Monate ein, Patienten mit Diabetes oder Morbus Crohn alle vier Monate.

Sondierung der Zahnfleischtaschen
Eine Sondierungstiefe (ST) im Recall von 3,5mm bei den meisten Zähnen wäre optimal (Abb. 8). Kritisch wird der Zustand bei einer ST von 4,5mm oder mehr, da an diesen tieferen Zahnfleischtaschen ein aggressiver Biofilm entstehen kann, der weitere Entzündungen mit ihren Merkmalen wie Rötung, Blutung, Schwellung, vermehrter Sulkus- oder Pusaustritt verursacht und dadurch weiterer Knochenabbau hervorgerufen wird.

Entfernung von Zahnsteinablagerungen
Die Entfernung von harten Zahnsteinablagerungen kann mit Ultraschall­geräten und/oder Handinstrumenten erfolgen. Bei der Behandlung mit maschinellen Geräten ist es besonders wichtig, auf den Patienten zu achten. Manche leiden unter Schluck- und Würgereizproblemen oder starker Kälte­empfindlichkeit. Bei diesen Patientengruppen sind bevorzugt Handinstrumente zu verwenden.

Biofilmentfernung/Taschenreinigung/Wurzeloberflächenreinigung
Drei Begriffe für das Reinigen der Zahnfleischtaschen: Der Biofilm erneuert sich nach ca. vier Monaten wieder in der Zahnfleischtasche rings um den Zahn. Dieser bildet einen eigenen Stoffwechselkreislauf und kann wieder Entzündungen hervorrufen. Zur Beseitigung des Biofilms eignen sich Ultraschallgeräte mit ihren für die Zahnfleischtaschen speziell entwickelten PAR- oder Slimlinespitzen, Gracey-Küretten oder Air-flow Perio.

Glattflächenpolitur/Interdentalraumpolitur
Zur Beseitigung sämtlicher Rauhigkeiten und Verfärbungen eignen sich Politurpasten. Die Zähne werden heller und glatter. An einer glatten Oberfläche bilden sich zudem deutlich weniger neue Verfärbungen und Zahnsteinablagerungen. Für eine besonders schonende Oberflächenpolitur verwenden wir spezielle weiche Lamellenpolierer. Durch die weiche Beschaffenheit ermöglichen diese sogar auch eine Politur bis ca. 1,5mm in den Sulkus und im Interdentalraum.
Für die weitere Interdentalraumpolitur wird zusätzlich z.B. im Oberkiefer die Politurpaste belassen, um dann mit Zahnseide die Interdentalräume zu reinigen. Nach der abschließenden Reinigung unter etwaigen Brückengliedern mit Superfloss kann der Patient ausspülen.

Mundhygiene-Reinstruktion/Remotivation
Bei schwer zugänglichen Stellen im Mund können sich sehr schnell wieder weiche Beläge und Ablagerungen ansetzen. Wir müssen bei den meisten Patienten immer wieder zur regelmäßigen Interdentalraumpflege motivieren.

Applikation von hochwertigen Fluorid- oder CHX-Produkten
Zum Abschluss der Behandlung kommen je nach Indikation hochwertige Fluorid- oder CHX-Produkte mit Langzeitwirkung zur Anwendung. Wichtig ist hierbei, die Wirkung der Präparate und ihre Einwirkzeit zur Stabilisierung des Gebisszustandes dem Patienten zu erläutern. Anschließend verwenden wir Bildmaterial, um noch einmal die Notwendigkeit der regelmäßigen PZR beim Patienten zu verdeutlichen. Wir vereinbaren bei uns in der Praxis praktisch immer gleich einen neuen Recalltermin. Damit der Patient diesen auch wahrnimmt, wird er zwei Wochen vor dem geplanten Termin mit einem Erinnerungsbrief daran erinnert.

Seniorenprophylaxe

Wenn nicht mehr alle Zähne vorhanden sind, können für die PZR bei Senioren bei einem Teilgebiss ca. 45 Minuten und bei halbem Zahnbestand nur ca. 30 Minuten eingeplant werden. Neben den PZR-Inhalten, die wie bei den Erwachsenen ausgeführt werden, können parallel zur Behandlung bei eventuell vorhandenen Prothesen auch im Ultraschallbad schwer zugängliche Stellen gereinigt und desinfiziert werden (Abb. 9). Wir stellten bei den Aufklärungsgesprächen sehr schnell fest, dass die Prophylaxebereitschaft auch in dieser Altersgruppe wirklich vorhanden ist. Wir müssen überzeugende Argumente einbauen, wie „zuverlässi-ges Kauen und Beißen“ oder „den Restzahnbestand im Mund gut zu erhalten“. Außerdem müssen wir den Patienten verdeutlichen, dass im Alter nicht nur gesunde Zähne wichtig sind, sondern vor allem auch stabiles Zahnfleisch, das sich nicht weiter zurückzieht, und genügend Knochen für den Halt der Zähne. Wir müssen vor allem bei älteren Patienten immer wieder eine Hilfestellung zur regelmäßigen Interdentalraumpflege geben. Dabei ist es wichtig, mit Hilfsmitteln wie Interdentalraumbürstchen immer im Mund des Patienten zu üben. Hilfreich ist es, ihm den Vorgang im Spiegel zu zeigen, ihn erst zu führen und dann selbst nachmachen zu lassen. Oft wird leider nur an Modellen geübt und später steht der Patient zu Hause vor dem Spiegel und weiß nicht, wie er es handhaben soll. Die meisten unserer Prothesenträger besitzen auch ein Ultraschalldesinfektionsbad zur häuslichen Reinigung ihres Zahnersatzes.

Implantatpatienten

Die Industrie hat in den vergangenen Jahren hervorragende maschinelle Schall- und Ultraschallaufsätze für die Implantatbetreuung auf den Markt gebracht (Abb. 11 und 12). Diese arbeiten sehr schonend im supra- und subgingivalen Bereich und entfernen sowohl Zahnsteinablagerungen als auch den Biofilm. Das Recallintervall beträgt in den ersten zwei Jahren nach der Implantation vier Monate. Durch das richtige Zusammenspiel zwischen professioneller Zahnreinigung und der Anleitung zur effektiven und motivierten häuslichen Mundhygiene ist es durchaus möglich, die eigenen Zähne des Patienten bis ins hohe Alter zu erhalten.

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