Oralchirurgie 23.07.2013
Membranen in der zahnärztlichen Chirurgie und der Kieferchirurgie
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Die Verwendung von Membranen gehört besonders im Bereich der Implantat- und der Parodontalchirurgie heutzutage meist bereits zum Standard. Grundsätzlich werden in der zahnärztlichen Chirurgie und in der Kieferchirurgie Membranen immer dann verwendet, wenn ein knöcherner Defekt oder Knochenrückgang vorliegt und neuer Knochen wieder aufgebaut oder die körpereigene Regeneration von Knochen unterstützt werden soll. Unsere Autoren beschreiben nachfolgend die Indikationen von Membranen.
Der Verlust von Knochen ist im Bereich des Kiefers im Vergleich zum übrigen Körper ein sehr häufiger Vorgang. Verliert der Mensch einen Zahn oder gar mehrere oder alle, so geht im Laufe der Jahre der Alveolarknochen überall dort zurück, wo der Kaudruck auf den Kieferkamm fehlt. Nach 10 bis 20 Jahren ist häufig gar kein Alveolarkamm mehr nachweisbar, zwischen Mundraum und Nase ist nur noch eine Knochenlamelle und der Unterkiefer nur noch ein schmaler Knochen. Auch chronische Entzündungsprozesse bei Parodontitis oder im Bereich der Zahnwurzeln mit oder ohne Zystenbildung führen zum Aufweichen und Abbau des Knochens, es entstehen Löcher und andere Defekte.
So ergeben sich die klassischen Einsatzgebiete für Membranen: In der Parodontalchirurgie werden Membranen verwendet, um nach chirurgischer Freilegung und Reinigung der Zahnhälse diese abzudecken, mit der Absicht, dass sich darunter der Knochen und der Zahnhalteapparat geschützt regenerieren kann, während sich darüber das Zahnfleisch erholt. Mitunter wird auch im Bereich des Zahnhalses Knochenersatzmaterial eingebracht, das dann mit abgedeckt wird. Bei der Implantatchirurgie kann der Einsatz in verschiedenen Stadien sinnvoll sein. Möchte man vorausschauend schon bei der Zahnextraktion den Knochen optimal vorbereiten, wird im Rahmen der Socket Preservation die Alveole mit einer Mischung aus Knochenersatzmaterial und Blut gefüllt und anschließend mit einer Membran abgedeckt, das Zahnfleisch darüber mittels Naht verschlossen. Ist die für eine Implantation vorgesehene Stelle schon länger ohne Bezahnung und der Knochenverlust größer, empfiehlt sich eher ein zweizeitiges Vorgehen. So werden ebenfalls Eigenknochen und/oder Ersatzknochen an den angefrischten Kieferknochen angelegt, ausgeformt und das Ergebnis mit einer Membran in Form gebracht und gehalten. Darüber muss das Zahnfleisch meist mit einer Lappenplastik verschlossen werden, da hier eine erhebliche Volumenzunahme ausgeglichen werden muss. Im dritten Fall wird das Knochenersatzmaterial mit dem Ziel des Höhengewinns bei der Implantation um den aus dem vorhandenen Knochen herausschauenden Teil des Implantats eingebracht und anschließend abgedeckt. Ein Sonderfall ist im Oberkiefer der Sinuslift, bei dem meist flächig der Kieferhöhlenboden nach oben verlegt und der entstehende Hohlraum mit Knochenersatzmaterial gefüllt wird. Hier wird oft zweimal eine Membran verwendet, nämlich als oberer Abschluss und als unterer Abschluss des eingebrachten Volumens. Weitere Indikation haben wir bei der präprothetischen Chirurgie, wenn großräumig der Alveolarkamm verbreitert und erhöht wird, manchmal auch unter Einbeziehung großer Knochenlamellen aus dem Beckenkamm des Patienten, oder bei größeren Wurzelspitzenentfernungen und Zystektomien sowie bei der Tumorentfernung.
Wirkungsweise und Vorteile von Membranen
Mithilfe der Membranen sollen möglichst optimale Bedingungen für die Einheilung einer Knochenaugmentation oder für die Regeneration von Knochen geschaffen werden. Die Membranen bilden dabei Grenzen bzw. Schutzwälle zwischen verschiedenen Geweben bzw. Materialien.
In der Implantatchirurgie werden die Membranen in der Regel über das Knochenersatzmaterial gelegt, welches um das Implantat herum eingebracht wurde. Über der Membran befindet sich dann nur noch das Zahnfleisch. In der Parodontalchirurgie liegen sie hingegen zwischen der gereinigten Zahnwurzel und dem Zahnfleisch, wobei die gewünschte Knochenregeneration um die natürliche Zahnwurzel herum gewünscht ist, also ebenfalls unter der Membran. Zum einen stabilisieren Membranen Gewebe bzw. Material an einer Stelle, wenn z.B. ein Gemisch aus Knochensplittern oder Knochenersatzmaterial und Blut verwendet wird, um eine Alveole oder einen Defekt nach Zystenentfernung auszufüllen oder um ein Implantat ringsherum mit zusätzlichem Knochen zu stabilisieren. So kann diese breiige Mischung aus Knochenersatzmaterial und Blutkoagel von der Membran gehalten werden und nicht verrutschen. Bei der Knochengewinnung im Oberkiefer mittels Sinuslift besteht z.B. zusätzlich die Gefahr, dass das Knochenersatzmaterial durch feine unbemerkte Risse in der Schneider’schen Membran in die Kieferhöhle hineinrutscht, sodass es zu zusätzlichen Komplikationen kommt. Wird hier eine Membran auf die Schneider’sche Membran von unten oder von vorne aufgelegt, bevor das Knochenersatzmaterial eingebracht wird, gibt es diese Gefahr nicht mehr. Zum anderen verhindern Membranen das Eindringen von schnell wachsendem Bindegewebe oder Epithelzellen in die Defekte, in denen eigentlich der langsam wachsende Knochen herangezogen wird und der Halteapparat sich regenerieren soll. Durch die Membran bekommt der Knochen erst die Chance, Knochenersatzmaterial zu integrieren, zu verknöchern oder sich gar aus eigener Kraft zu regenerieren. Auch die notwendige Vaskularisierung kann stattfinden. Gleichzeitig wird der langsam wachsende Knochen bzw. die Verknöcherung des Ersatzmaterials durch die Membranen geführt, sodass kein Wachstum in die falsche Richtung erfolgt. Ein Defekt soll möglichst komplett verschlossen werden, denn ein einseitiges Wachstum über die Ränder hinaus bringt keinen Vorteil.
Ein weiterer positiver Effekt von Membranen ist die Infektabwehr. Kommt es zu einer Entzündung des oberflächlichen Zahnfleischs, zu einer Wundheilungsstörung oder gar einer Wunddehiszenz, ist der darunterliegende Knochen erheblich geschützter vor den Gefahren einer weitergeleiteten Osteomyelitis. Mitunter liegt die Membran sogar über einige Tage hinweg bloß, bis das Zahnfleisch sekundär wieder zugranuliert ist und dem Implantat darunter passiert, bei guter Mundhygiene, nichts. Natürlich ist die offene Heilung nicht das Ziel, aber mit Membranen hat sie nicht gleich verheerende Auswirkungen.
Ob Membranen bei Patienten mit bekannten Durchblutungsstörungen, Diabetes mellitus oder Immunschwäche besser nicht verwendet werden sollten oder ob sie gerade da von Vorteil sind, darüber gehen die Meinungen etwas auseinander. Sicherlich sollte man es bei aller Pflege und allen Kontrollen nicht bewusst auf eine sekundäre Wundheilung absehen. In der Akutphase haben Membranen zusätzlich einen blutstillenden Effekt, sodass sie auch bei stark blutenden Menschen (von Hämophilie bis Marcumar) eingesetzt werden. Sie regen die Aggregation von Blutplättchen an und die Anlagerung körpereigener Kollagenfibrillen. Faktoren der Gerinnungskaskade werden aktiviert, sodass es zu einer schnellen vollwertigen Gerinnung kommt. Die adhäsiven Eigenschaften im feuchten, blutigen Milieu machen es leicht, die Membran an die betroffenen Stellen anzulegen. Je nach Art der Membran wird das Material entweder binnen Wochen durch enzymatische Prozesse wieder aufgelöst oder es wird so vollständig in die Heilung integriert, dass es nicht mehr nachweisbar ist.
Unterschiedliche Membranen und ihre Verwendung
Die ersten Membranen, die zum Zwecke der Knochenheilung in den menschlichen Körper eingebracht wurden, fanden nicht in der Zahnmedizin, sondern vor allem in der Orthopädie und Unfallchirurgie Verwendung. Aus diesen Bereichen kommen auch weiterhin immer neue Forschungsergebnisse, die als nützliches Input in die Entwicklungen der zahnärztlichen Chirurgie und Kieferchirurgie miteinbezogen werden. Die frühen Generationen von Membranen waren noch nicht resorbierbar und wurden nach Abschluss bestimmter Heilungszyklen in Zweiteingriffen wieder entfernt. Verwendet wurde anfangs überwiegend GoreTex (also Teflon). In neuerer Zeit erfreuen sich besonders Titangitter, die man beliebig in Form biegen und nach und nach mit Gewebebrocken oder Ersatzmaterialien befüllen kann, großer Beliebtheit. Im kleinen Bereich
von Mund und Kiefer sind solche nicht resorbierbaren Membranen eher die Ausnahme und werden eigentlich nur bei großräumigen Knochendefekten verwendet. Aus ästhetischen und praktischen Gründen kam in diesem Bereich das große Interesse an Membranen aus resorbierbaren Materialien auf. Heute unterscheidet man verschiedene Typen von Membranen, je nach der gewünschten Langlebigkeit in dem entsprechenden Einsatzgebiet. Die kurzlebigste Version wird manchmal auch als Fleece bezeichnet. Sie besteht aus einem einfachen Kollagennetz, wobei das Kollagen vom Schwein oder seltener vom Rind stammt. Das Netz ist dünn und nach zwei bis vier Wochen bereits wieder vollständig resorbiert. Im Vordergrund stehen hier natürlich eher kurzfristige Effekte wie die schnelle und suffiziente Blutstillung und weniger langfristige Effekte wie das Führen des Knochenwachstums. Die Membranen aus Schweineperikard sind hingegen schon drei bis vier Monate lang nachweisbar, verschwinden dann aber vermutlich weniger durch Resorption, sondern durch Integration in das neu entstandene Gewebe. Die neu entstehenden Blutgefäße ziehen durch die Membran hindurch, sodass sie schließlich selbst vaskularisiert ist. Diese Membranen sind ausgesprochen reißfest, obwohl sie nur 0,3–04mm dick sind, und lassen sich gut platzieren. Bei ihnen steht die Barrierefunktion im Vordergrund, also das ungestörte und geführte Wachstum des Knochens unter Abschirmung von Bindegewebswachstum und Bakterien. Sind diese Membranen von der Struktur her schon als dreidimensional wahrnehmbar, 1,2–1,7mm dick, und auf eine Dauer von sechs bis zwölf Monaten hin konzipiert, verwendet man auch den Begriff der Matrix.
Fazit
Der Einsatz von Membranen hält in immer mehr Bereiche der zahnärztlichen Chirurgie und der Kieferchirurgie unaufhaltsam Einzug. Noch nie war es möglich, so komplikationslos den Aufbau und die Regeneration von Knochen gezielt und suffizient zu unterstützen.
Autoren: Dr. Dr. Michael Wiesend, Dr. Bettina Hübinger-Wiesend