Kinderzahnheilkunde 27.02.2017

Was ist neu in der Milchzahnendodontie?



Was ist neu in der Milchzahnendodontie?

Foto: © Autorin

Wenn wir auf die letzten zehn Jahre zurückblicken, so müssen wir den Spagat schaffen zwischen Altbekanntem und neuen Entwicklungen und neuem Wissen, das es umzusetzen gilt. Vor zehn Jahren ging es noch darum, die Technik der Wurzelamputation zu vermitteln, ebenso wie die Notwendigkeit einer kindgerechten Lokalanästhesie und Trockenlegung, um die Behandlung zum einen schmerzfrei, zum anderen aber natürlich auch möglichst Erfolg versprechend zu bewerkstelligen. Es ging auch darum, zu vermitteln, dass Formocresol mittlerweile genauso obsolet ist wie das früher häufig praktizierte „Aufschleifen und offen lassen“, in dessen Folge sich unschöne Pulpapolypen entwickelt haben. Die Anzahl der Publikationen zur Pulpotomie und Pulpektomie in den einschlägigen Journals ist in den letzten Jahren massiv gestiegen und hat uns neue Erkenntnisse gebracht.

Wir beginnen, über Alternativen nachzudenken, wie etwa: Müssen wir überhaupt noch die gesamte Karies entfernen? Dürfen wir pulpanah Restkaries belassen? Oder können wir Karies etwa einfach „einschließen“ wie bei der Hall-Technik mit Stahlkronen? Was führt zu den besseren Ergebnissen? Heute stellt sich also weniger die Frage nach dem „Wie“ in der Milchzahnendodontie, sondern „Wann mache ich was warum?“.

Die Cochrane Review „Pulp treatment for extensive decay in primary teeth“ aus dem Jahre 20031 galt jahrelang als Goldstandard und wurde im Jahr 2014 überarbeitet und neu herausgebracht. Sie inkludiert immerhin 47 Studien zu genau diesen Fragestellungen. Einschränkend ist allerdings zu sagen, dass es sich bei allen Studien um kleine Studien mit geringen Fallzahlen handelt. Dies macht deutlich, dass die endodontische Versorgung von Milchzähnen mit irreversibel entzündeter oder sogar schon nekrotischer Pulpa auch heute noch ein nicht eindeutig gelöstes und teilweise auch sehr kontrovers diskutiertes Problem darstellt.

Manche Dinge sind neben den wissenschaftlich fundierten Grundlagen zudem auch schwer oder nur langfristig zu ändern. Dazu zählt zum Beispiel, dass zwar die Karies bei Kindern an sich rückläufig ist, nicht jedoch die massive Form der Early Childhood Caries und dass der Versorgungsgrad gerade bei kleinen Kindern mit viel Karies oft unzureichend ist. Auch die Ausbildung in der Kinderzahnheilkunde hat noch nicht den Stellenwert, der vielleicht wünschenswert wäre.

Das Ziel ist in jedem Fall unverändert geblieben: klinisch asymptomatische Milchzähne und ein Zahnerhalt bis zur natürlichen Exfoliation. Um zu diesem Ziel zu gelangen, müssen wir die richtige Diagnostik betreiben und die richtige Indikation stellen.

Bei der Diagnostik stehen zwei Fakten im Vordergrund:

  1. Pathologische Veränderungen können den klinischen Symptomen vorausgehen. 
  2. „think big“ – Die Karies am Milchzahn ist in der Regel schon weiter fortgeschritten, als es von außen den Anschein hat. Das liegt vor allem an der speziellen Morphologie des Milchzahns: Die Pulpa ist recht ausgedehnt mit exponierten Pulpahörnern, sodass die Karies also deutlich häufiger und früher die Pulpa erreicht als im bleibenden Gebiss. Zu diesem Aspekt darf Waterhouse zitiert werden: „Die Erfolgsrate ist eher abhängig von der korrekten Auswahl der Zähne und dem bakteriendichten Verschluss als von anderen Faktoren.“2 

Was also tun? Indirekte Überkappung? Restkaries belassen mit dichter Füllung? Direkte Überkappung? Pulpotomie? Pulpektomie? Extraktion? Bei der Auswahl des korrekten Zahnes stehen Schmerzen, Schwellung, Fistel, Abszess und erhöhte Mobilität auf der einen Seite der Wertigkeit des Zahnes, dem Alter des Kindes, der Kaufunktion sowie der Ästhetik und Phonetik gegenüber. Die am häufigsten durchgeführte endodontische Maßnahme im Milchgebiss bleibt die Pulpotomie. Die Empfehlungen zur Durchführung sind ebenfalls übereinstimmend: Nach Eröffnung der Pulpa und Entfernung der Kronenpulpa wird die Blutstillung mittels Eisen-III-Sulfat-Lösung oder Kompression durch Wattepellets hergestellt. Anschließend wird die Pulpa mit MTA bzw. medizinischem Portlandzement abgedeckt und mit einer dichten Füllung oder einer Kinderkrone versorgt.

Die Pulpektomie wird bei einer irreversiblen Pulpitis bzw. nekrotischen Pulpa durchgeführt. Nach vorsichtiger Entfernung des Pulpagewebes, Spülung mit Natriumhypochlorit und Kochsalzlösung sowie Trocknung werden die Kanäle mit vorgemischten Kalziumhydroxid-Jodoformpasten gefüllt und ebenfalls mit einem dichten Aufbau versorgt. Auch hier ist die Datenlage seit Langem gut und hinreichend gesichert. Allerdings ergeben sich hier durch aktuelle Untersuchungen und Studien interessante fachliche Neuigkeiten. Ahmed publizierte im International Endodontic Journal im April 2013 einen Artikel mit dem Titel „Anatomical challenges, electronic working length determination and current developments in root canal preparation of primary teeth“.3 Ausgehend von der These, dass die endodontische Behandlung von Milchzähnen einen wesentlichen Teil der zahnärztlichen Kinderbehandlung darstellt, die aber durch proportional lange Wurzeln mit dünnen, teils stark verzweigten Kanälen erschwert wird, die zudem von unterschiedlich ablaufenden Resorptionsprozessen betroffen sind, legt er in seinem Review ausführlich und sehr anschaulich die Anwendung von Techniken aus der Erwachsenenendodontie am Milchzahn dar. Dabei werden Apexlokatoren ebenso behandelt wie rotierende Nickel-Titanium-Feilen oder diverse Spülsysteme. Hier die wichtigsten Eckdaten zusammengefasst.

Wurzel- und Wurzelkanalsysteme am Milchzahn

Diese zeigten eine große Variation. Der Autor betont, dass weitere Studien notwendig sind, um festzustellen, ob bzw. inwiefern ein nicht befüllter akzessorischer Kanal das Ergebnis der endodontischen Maßnahme am Milchzahn negativ beeinflusst.

Apexlokatoren

Die zitierten Studien befürworten das Verwenden von Apexlokatoren am Milchzahn, unabhängig vom Resorptionsstadium. Daher wird deren Anwendung ausdrücklich empfohlen, um so eine Überinstrumentierung und damit mögliche Keimschädigung zu vermeiden. Als weitere Vorteile nennt der Autor: akkurate Messung der Arbeitslänge, geringere Behandlungszeit, verminderte Anspannung von Eltern, Patient und Behandler durch einfaches Vorgehen, weniger Röntgenstrahlung, Erkennen von Perforationen durch interne/externe Resorptionen.

Rotierende Nickel-Titanium-Feilen

Der Autor äußert, dass die Anwendung dieser Feilen durch erfahrende Anwender auch in der Kinderzahnheilkunde Vorteile mit sich bringt. Allerdings bleibt weiter abzuklären, ob die Behandlungszeit so tatsächlich effektiv reduziert werden kann bzw. ob es signifikant bessere Endergebnisse gibt. Auch die Frakturgefahr der Feilen sowie die Kosten gilt es zu bedenken. Insgesamt wurden mehrere Feilensysteme in verschiedenen Studien bewertet und für einsetzbar befunden. Diese sind: ProTaper, ProFile, Mtwo sowie FlexMaster.

So bleibt abschließend festzuhalten, dass wir auch in der Endodontie im Milchgebiss noch einige interessante Neuigkeiten erwarten dürfen.

Literatur

1 Nadin, Gill, et al. „Pulp treatment for extensive decay in primary teeth.“ The Cochrane Library (2003).

2 Waterhouse PJ Br Dent J 2000.

3 Ahmed, H. M. A. „Anatomical challenges, electronic working length determination and current developments in root canal preparation of primary molar teeth.“ International endodontic journal 46.11 (2013): 1011–1022.

Der Beitrag erschien erstmailig im Endodontie Journal 1/17.

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