Cosmetic Dentistry 27.04.2022
Dos and Don’ts bei ästhetischen Zahnkorrekturen mit Alignern
share
Alignersysteme zur ästhetischen Zahnkorrektur sprießen wie Pilze aus dem Boden. Auf Instagram, Facebook und Co. überschlagen sich die Nachrichten von Influencern, die alle möglichen Arten von Zahnkorrekturschienen bewerben. Prominente werden in Werbekampagnen eingesetzt, um das Bild einer einfachen Lösung für gerade und gesunde Zähne zu verstärken. Die Korrektur wird stets als extrem einfach angepriesen und diverse Systeme bieten den Interessenten an, sich die dafür notwendigen Abdrücke gleich schnell und alleine daheim zu machen. Das bedeutet im Gegenzug, dass das, was als Werbeeffekt gestartet wurde, heute mehr Risiken und Nachteile als Nutzen birgt.
Medizinische kieferorthopädische Geräte werden heute oft so dargestellt, als wäre eine Zahnkorrektur ein Spaziergang. Zudem gibt es zahlreiche Alignersysteme auf dem Markt, die weder einen medizinischen Nutzen nachweisen konnten noch von einem fachlich qualifizierten Kollegen begleitet werden. So besteht ganz eindeutig die Gefahr, dass die Zahnkorrektur auf Kosten der Zahngesundheit im Sinne einer dauerhaften Zerstörung des Parodonts erfolgt. Der nachfolgende Fachbeitrag gibt einen Überblick, worauf bei der Anwendung von Alignersystemen geachtet werden sollte.
Welche Alignersysteme sollten unterschieden werden?
Unter den Alignern sollten unerfahrene, aber auch erfahrene Kollegen vor allem auf verschiedene Fallstricke vorbereitet sein:
1. Alles steht und fällt mit der Auswahl des richtigen Systems (Abb. 1). Was so trivial klingt, kann sich vor allem für Neulinge in der Therapie als großes Problem darstellen. Zum einen unterscheidet man heute zwischen kieferorthopädischen und gewerblichen Alignersystemen. Neben der Behandlung mit Alignern beim Kieferorthopäden bieten mehr und mehr gewerbliche Anbieter in Form von Start-up-Unternehmen Alignertherapien über das Internet an. Manche dieser Firmen halten einen Termin beim Kieferorthopäden für entbehrlich. Stattdessen muss der Patient einen Zahnabdruck zu Hause nehmen, seine Zähne fotografieren und an die Firma senden. Der 3D-Abdruck wird dann simuliert, die Aligner dem Patienten anschließend zugesendet.
2. Kieferorthopädische Behandlungen dauern lange und die Gewährleistungszeit – die auch die Zufriedenheit der Patienten beinhaltet – kann sich über Jahre ziehen, sodass man an das System gebunden ist. Zwingend ist zu beachten, dass ein einmal gewähltes System nicht mehr kostenfrei gewechselt werden kann und somit die Wahl des falschen Systems vor allem für einen kostspielig ist: den Behandler.
3. Auch strikt zahnärztlich begleitete Anbieter von Alignern arbeiten mit komplett unterschiedlicher Software, die nicht kongruent ist. Die Software unterscheidet sich im Wesentlichen vor allem durch die Breite der Behandlungsmöglichkeiten und durch die Funktion und Form der Attachments (Abb. 2a und b). Kurzum: Die Wahl des Alignersystems verpflichtet, und das über Jahre. Den größten Fehler, den man machen kann, ist, mit zwei oder drei Systemen zu arbeiten. In diesem Fall kommt man nie in die Lage, auch komplexe Fälle bewältigen zu können, da man viel zu sehr damit beschäftigt sein wird, die Probleme durch verschiedene Systeme auszubaden.
4. Schienentherapien sind – durch einen Zahnarzt ausgeführt – immer vollwertige kieferorthopädische Behandlungen. Dementsprechend haftet dieser für alle Folgeschäden, die am Zahn oder Parodont entstehen können. Daher sollte sich der verantwortliche Zahnarzt nur Systeme suchen, die wissenschaftliche Belege dafür vorlegen können, dass die Materialien die Kriterien für eine definierte und messbare Krafteinwirkung erfüllen können. Beachtet man diesen entscheidenden Punkt, dann wird man sehr schnell feststellen, dass nicht einmal eine Handvoll an Systemen verbleibt.
5. Günstig ist nicht automatisch auch günstig. Entscheidend ist nicht, dass die Kosten möglichst niedrig gehalten werden, sondern dass die Behandlung vor allem eines ist: vorhersagbar. Nur vorhersagbare Ergebnisse führen dazu, dass ein zufriedener Patient die Praxis verlässt und der Zahnarzt langfristig auch davon profitiert. Die angebotenen Pakete müssen so gestaltet werden können – und das ist bei jedem Hersteller absolut unterschiedlich –, dass dem Behandler mehrere Korrekturen zur Verfügung stehen, die im Kostenrahmen enthalten sein sollten.
6. Der Zahnarzt muss eindeutig erkennen können, welche Behandlungen mit den jeweiligen Systemen möglich sind. Dabei geht es nicht nur um die Anzahl der zu bewegenden Zähne, sondern auch um die jeweils mögliche Funktionalität des ausgewählten Systems. Das als Aligneranfänger zu erkennen, ist nicht einfach, denn viele Systeme arbeiten mit bereits digital vorgeschlagenen Zahnbewegungen, die oftmals aber nicht den anatomisch möglichen Mustern entsprechen. Mit Funktionalität sind die Bandbreite der kieferorthopädisch möglichen Veränderungen gemeint, aber auch die Grenzen der Bewegungsmöglichkeiten. Setzen Sie sich daher vor der Auswahl eines Systems mit der Bearbeitungssoftware auseinander, damit die Behandlungen und damit Ihre Kompetenz und Ihre Praxis nicht in Schieflage geraten.
7. Es sollten heute vor allem Systeme bevorzugt werden, bei denen ein Scan der Kiefer erfolgen und dieser direkt vom Behandlungsstuhl auf die Software übertragen werden kann (Abb. 3–7). Abdrücke sind aus heutiger Sicht nicht mehr ausreichend, da diese sich viel zu oft an wichtigen Stellen verziehen, zum Einlesen versendet werden müssen und die Therapie insgesamt deutlich verlängern – ganz zu schweigen davon, dass Abdrücke in der Regel ein langfristiges negatives Behandlungsergebnis hinterlassen.
Welche möglichen Risiken sind bei den Systemen zu erwarten?
Schienensysteme sollten nur eingesetzt werden, wenn sie vollwertigen kieferorthopädischen Systemen entsprechen. Dies ist aber bei den heute im Internet und in sozialen Medien beworbenen Systemen oft nicht der Fall. Gleichzeitig haftet der Behandler für alle Folgen, die langfristig am Parodont erfolgen. Auch einfache ästhetische Zahnkorrekturen einzelner Frontzahnsegmente sind kein Kinderspiel und erfordern auch für diese Art der Behandlungen ein solides kieferorthopädisches Grundwissen. Mögliche Gefahren und häufige langfristige Schäden sind vor allem dann zu erwarten, wenn nicht klar ist, ob durch digitale Planungen die maximal mögliche Kraft der einzelnen Bewegung des Zahns deutlich überschritten wurde.
Welche Risiken bestehen konkret?
1. Allgemein kann es durch den Einsatz von kunststoffbasierten Schienen zu Kontaktallergien kommen, die im Vorfeld nur schwer abgeschätzt werden können. Je besser das angewendete Material und je weniger monomerbelastet, umso geringer die Gefahr der Allergiebildung. Die Materialien unterscheiden sich in der Qualität erheblich, und dies sollte vom Behandler vorab abgeklärt werden.
2. Um tatsächlich Zähne vorhersagbar bewegen zu können, müssen in den meisten Fällen zusätzliche Halteelemente angebracht werden, sogenannte Attachments. Alignerbehandlungen, die ohne Attachments erfolgen, sind unseriös, da es bei vielen der nötigen Zahnbewegungen zu einen sogenannten „melon seed effect“ kommt, der durch die Form – vor allem der Frontzähne – entsteht. Bei den Attachments besteht jedoch die Gefahr, dass die Zahnoberfläche durch Säuren oder aber auch bei der Entfernung der Attachments beschädigt werden kann.
3. Allgemein muss die Behandlung nach den Grundsätzen der kieferorthopädischen Mechanik erfolgen. Dem Behandler muss klar sein, dass in der Kieferorthopädie zwischen physiologischer axialer Kraft und vertikal wirkenden Dauerkräften unterschieden wird. Bei physiologischer Einwirkung von Kaukräften, d. h. kurzzeitig und axial, können Kräfte von bis zu 300 N schadlos toleriert werden. Wirkt die Kraft jedoch permanent und in nicht physiologischer seitlicher Richtung auf die Zähne ein, führen schon geringste Kräfte von 1 N zu Umbaureaktionen. Daraus resultiert auch der Grundsatz, dass Alignersysteme zwingend eine Definition der eingesetzten Kräfte ermöglichen müssen und ein Behandler diese auch auswerten kann. Wie das bei gewerblichen Alignern ohne ärztliche Kontrolle erfolgen soll, ist daher mehr als fraglich.
4. Alignerbehandlungen werden nach wie vor vorwiegend bei Erwachsenen durchgeführt, da die Kassenleistungen diese Therapie in Deutschland nicht zulassen. Dementsprechend können in dieser Altersgruppe einige der Patienten parodontal vorgeschädigt sein. Diese Vorgeschichte birgt eine zusätzliche Gefahr, denn die Krafteinwirkungen können hier sehr schnell zu einer dauerhaften Lockerung der Dentition führen – im schlimmsten Fall auch zu einem kompletten Zahnverlust. Die Krafteinwirkung muss daher exakt berechenbar und für den Behandler auf die jeweiligen parodontalen Verhältnisse modifizierbar sein. Dass dies bei Systemen nicht geht, bei denen keine zahnärztliche Betreuung eingeplant ist, liegt klar auf der Hand.
5. Das verwendete Alignersystem sollte zudem eine Möglichkeit zur dauerhaften Retention zur Verfügung stellen. Die Bewegungen mit Zahnkorrekturschienen erfolgen in der Regel deutlich schneller als die mit konventionellen Zahnspangen, sodass die Gefahr eines Rezidivs hier deutlich höher erscheint. Daher ist es sinnvoll, ein System zu verwenden, das eine klar strukturierte Retentionsabfolge aufweisen kann.
6. Bei Erwachsenen werden kieferorthopädische Korrekturen nicht selten als präprothetische Behandlung durchgeführt. Dabei können nur Systeme eingesetzt werden, die sich nicht nur auf die Bewegung der Frontzahnsegmente reduzieren lassen, so wie es bei vielen gewerblichen Anbietern der Fall ist. Zu beachten ist, dass die Kieferorthopädie beendet sein muss, bevor ein Implantat oder ein Zahnersatz eingegliedert werden kann. Korrekturschienensystem richtig auswählen Zusammenfassend lässt sich sagen, dass man sich vor der Entscheidung für ein System überaus ausführlich informieren sollte, da sich ein einmal gewähltes System – vergleichbar mit den Abrechnungssystemen der Zahnarztpraxen – nur schlecht in kurzer Zeit ändern lässt.
Ein multifunktionales System sollte daher zwingend folgende Kriterien erfüllen:
Es muss ein Medizinunternehmen sein, das sich verpflichtet, nur Behandlungen unter Aufsicht von professionellen kieferorthopädisch geschulten Zahnärzten durchzuführen. Es muss ein Planungstool vorhanden sein, das alle oben genannten Punkte respektiert und dem Behandler eine freie Planung erlaubt. Es müssen möglichst uneingeschränkt viele Korrekturen möglich sein, vor allem bei komplexen Fällen (Abb. 8a–i und 9a–d). Die Behandlungen müssen bei einem Rezidiv über Jahre – am besten mindestens fünf – in dem System geöffnet bleiben und erneut aktivierbar sein, sobald sie benötigt werden. Es muss ein System sein, das über Jahre auf dem Markt etabliert ist und bei dem sichergestellt ist, dass es zu keiner kurzfristigen Insolvenz kommen kann. Es muss außerdem dafür gesorgt sein, dass unerfahrene Behandler so viel klinische Hilfe erhalten, dass es nicht zu einem dauerhaften Schaden der Dentition kommen kann.
Eine Literaturliste steht hier zum Download für Sie bereit.
Dieser Fachbeitrag ist in der Cosmetic Dentistry erschienen.