Cosmetic Dentistry 04.08.2014
Kieferorthopädie heute: Ästhetisch und gesund beginnt im Kindermund
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Die funktionelle und auch ästhetische Verbesserung der Zahnfehlstellungen ist der Grundgedanke jeder kieferorthopädischen Behandlung bei Kindern und Jugendlichen. Heute scheint es so, als würde fast jedes Kind eine medizinisch indizierte Korrektur der Zahnfehlstellungen benötigen. Die von vielen Seiten aus erkennbare Vermehrung der kieferorthopädischen Behandlungen führt zu kontroversen Diskussionen und verdeutlicht auf eindrucksvolle Weise, wie der soziokulturelle Wandel einer auf Ästhetik getrimmten Gesellschaft auch Einfluss auf die zahnärztliche Behandlung nimmt. Den Zahnärzten ist dieser Wandel längst klar und führt in den letzten Jahren zu verstärkten Spezialisierungen auf dem Gebiet der Ästhetik, einerlei ob als Curriculum oder Postgradualstudium.
Gesund beginnt für den Zahnarzt bekanntlich im Kindermund, zumindest galt dieser Leitspruch lange Zeit als Grundlage einer ganzheitlichen Behandlung von Kindern. Angesichts der Entwicklung im Bereich Werbung, Medien und Marketing, der sich weder Eltern noch Kinder entziehen können, stellt sich heute die Frage, ob nicht die Ästhetik einen ähnlichen Stellenwert wie die Gesunderhaltung einnimmt. Um diese Frage zu klären und die möglichen Folgen für die kinderzahnärztliche/kieferorthopädische Behandlung der Zukunft abschätzen zu können, ist es in erster Linie sinnvoll, zu erkennen, welche Einflussfaktoren die Behandlungsplanung beeinflussen können.
Ästhetik in aller Munde
Der Begriff Ästhetik steht im Ursprung für nicht mehr als Wahrnehmung oder Empfindung. Dabei wurden vor allem Gesetzmäßigkeiten und Harmonien in der Natur und Kunst gesucht, die wahrnehmbare Schönheit lag im Auge des Betrachters. Heute scheinen die zahnmedizinischen Weiterbildungskurse mit dem Schlagwort „Ästhetik“ den Eindruck zu vermitteln, als wäre die Ästhetik starr und gleich, als wäre sie etwas, was erlernt werden muss.
In jedem von uns steckt ein Grundverständnis dafür, was dem Naturell nach harmonisch erscheint und was nicht. Unsere Wahrnehmung wird bereits in der frühen Kindheit daraufhin geprägt. Insbesondere in der zahnmedizinischen Ausbildung werden die Fähigkeiten zur Filterung von Gesetzmäßigkeiten erweitert, um das Gesicht als eine Einheit entdecken zu können. Selbstverständlich folgt auch die rekonstruktive Zahnmedizin gewissen Grundregeln, die sich zum Teil von der Kunst ableiten. In der Zahnmedizin wird die Ästhetik aber nicht ausschließlich durch die makellose Stellung der Zähne bestimmt. Vielmehr geht es beispielsweise um das Zusammenwirken von Wangen, Lippen, Nasenform, Interpupillarabstand oder der Kinnpartie (Abb.1a–d und Abb. 2a–d).
Die Verdeutlichung des Ursprungs des Begriffs „Ästhetik“ zeigt, wie sehr dieser Bereich Einfluss auf das tägliche Handeln eines Kieferorthopäden nimmt. Ästhetik und der Wunsch des Patienten nach einer perfekten Wahrnehmung stehen demnach nicht in direktem Zusammenhang zum hippokratischen Eid, der sich in erster Linie auf das Heilen von Erkrankung bezieht. Zudem sind ästhetische Zahnbehandlungen der Zahnarztpraxis ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Diese stehen im Wechselspiel mit den gegenläufigen Interessen der Politik, den Kostenträgern, die zum Sparen auffordern, und hauptsächlich der Nachfrage der Patienten nach ästhetischer Zahnmedizin. Der praktizierende Kieferorthopäde steht demnach bereits bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen zwischen mehreren Stühlen und muss des Spagat zwischen funktionell notwendig und nur der Schönheit dienlich erfolgreich bewerkstelligen.
Beeinflussende Faktoren der Therapie
In den meisten Fällen sind es in Deutschland die Eltern, die eine Fehlstellung im frühen Kindesalter registrieren und den Weg zum Zahnarzt antreten, da die Kinder in der Regel keinen entscheidenden Wirtschaftsfaktor für die allgemeine Zahnarztpraxis darstellen. In Ländern wie der Schweiz, die über strukturierte und auf Kinder spezialisierte Kliniksysteme verfügen, werden die Kinder in Reihenuntersuchungen bereits ab dem Schuleintritt regelmäßig kontrolliert, um sicherzustellen, dass nicht nur diejenigen Kinder frühzeitig eine kieferorthopädische Behandlung erhalten, bei denen die Eltern einen besonderen Wert auf Ästhetik legen. Unabhängig von der länderspezifischen Struktur ist die Sorge der Erziehungsberechtigten nicht in der erhöhten Kariesgefahr oder einer möglichen parodontologischen Schädigung der Zähne begründet. Vielmehr sind es die Gedanken an die beeinträchtigte Ästhetik und das damit verbundene negative Erscheinungsbild des eigenen Kindes, das die Eltern antreibt (Abb. 3a und b, Abb. 4a und b). In Gesprächen mit den Erziehungsberechtigten wird schnell klar, dass beispielsweise Fotografien der Kinder eine wesentliche Rolle spielen können, auf denen die Zahnfehlstellungen deutlich zu erkennen sind. Die Eltern kommen mit klaren Vorstellungen und Erfahrungen in die Praxis oder Klinik, die sie zudem mit ihrer eigenen dentalen Historie vermischen. Es ist in vielen Fällen gar nicht einfach zu erklären, dass eine Therapie erst in mehreren Jahren sinnvoll zu sein scheint, vor allem dann, wenn die Frontzähne durch Rotationen oder Inklinationen das Erscheinungsbild deutlich ins Negative verändern. Der Zahnarzt registriert die Fehlstellungen ebenfalls im frühen Wechselgebiss, macht eine Behandlung aber nicht primär von ästhetischen Gesichtspunkten abhängig. Ausschlaggebend für den Beginn einer Behandlung sind vor allem die Beeinträchtigung der Funktion und eine damit verbundene irreversible Zerstörung des kraniomandibulären Systems oder der Zahnhartsubstanz. Selbstverständlich kann eine kieferorthopädische Behandlung nicht nur die funktionellen Probleme lösen und Drehstände belassen, die keinen funktionellen Einfluss mit sich bringen. Der zeitliche Rahmen einer festsitzenden Behandlung liegt mindestens bei einem Jahr aktiver Behandlung und verlangt schon aus diesem Grund nach einem möglichst perfekten, ästhetischen Ergebnis.
Quo vadis Kieferorthopädie?
Die Kieferorthopädie steht ohne Zweifel für gerade Zähne und damit für die Verbesserung der Ästhetik. Nur wenige verbinden die Kieferorthopädie mit der Verbesserung der Funktion des kraniomandibulären Systems, was aber die Hauptaufgabe der Behandlung ist. Zähne, die aufgrund von Platzmangel nicht in die Zahnreihe passen, stellen ein potenzielles Risiko für parodontale Erkrankungen dar, ganz zu schweigen von der Problematik der Demastikation (Abb. 5a–d und Abb. 6a–d). Ungeachtet der Erfolge, die kieferorthopädische Behandlungen für die Funktion bringen, wird die Wahrnehmung auf den Patienten verändert. Vor allem Patienten mit Tiefbiss, sagittaler Frontzahnstufe oder Zähnen im Außenstand profitieren von der Verbesserung der Harmonie, denn in vielen Fällen sind es Kinder, die über Jahre gelernt haben, ihr Lachen auf Aufnahmen nicht zu zeigen.
Beachtet man die soziokulturellen Folgen in einer immer stärker auf Ästhetik programmierten Gesellschaft, so kann eindeutig festgehalten werden, dass sich die moderne kieferorthopädische Behandlung verstärkt auch dem ästhetischen Outcome verschreiben muss. Moderne Bracketsysteme, die millimetergenau platzierbar sind und die Rotationen und Zahnbewegungen noch besser übertragen können, ermöglichen ein großes Maß an Präzision. Gesund und ästhetisch beginnt im Kindermund – vor allem in der Kieferorthopädie sind die Begriffe untrennbar miteinander verbunden. Wird der hippokratische Eid weiterhin beachtet und steht die Gesunderhaltung des Kindes an erster Stelle – damit ist auch die Gesunderhaltung der Psyche gemeint – so kann die heutige Kieferorthopädie einen großen Einfluss auf die ganzheitliche Entwicklung des Kindes nehmen.