Cosmetic Dentistry 12.10.2012
Lückenhalter und Kinderprothesen bei Zahnverlust
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Bereits im frühen Kindesalter kann es zum Zahnverlust kommen. Eine der Ursachen dafür ist Karies. Der Einsatz von Lückenhaltern und Kinderprothesen kann daher von großem Nutzen sein.
Die Entwicklung des Gesichtsschädels sowie einer regelrechten Verzahnung im Milch- und später im jugendlichen bleibenden Gebiss ist von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. So muss etwa zwischen genetischen und Umwelteinflüssen, aber auch der Ernährung oder gewissen pathologischen Faktoren unterschieden werden. Zu den häufiger gesehenen Umwelteinflüssen mit Bezug auf die Entwicklung der Dentition gehören zum Beispiel gewisse Habits wie etwa das Daumenlutschen, ein falsches Schluckmuster, Mundatmung oder vermehrter/verlängerter Gebrauch eines Schnullers, um nur einige zu nennen (Abb. 1).
Karies als häufigste Ursache für Zahnverlust
Die Theorie, dass es auch durch frühzeitigen Verlust bzw. das Fehlen von Milchzähnen zu Platzverlust in der kieferorthopädischen Stützzone kommen kann, wurde bereits in den 1880er-Jahren von Davenport und Hutchinson beschrieben. So können spätere Fehlstellungen und kieferorthopädische Behandlungen begünstigt werden, die andernfalls eventuell gar nicht nötig gewesen wären. Am häufigsten kommt es immer noch durch Karies zum Zahnverlust, obwohl in den letzten Jahren und Jahrzehnten ein deutlicher Kariesrückgang verzeichnet werden konnte. Ist es erst einmal zur Karies gekommen, so ist gerade bei Kleinkindern der Sanierungsgrad eher schlecht, und je mehr Karies ein Kind aufweist, desto schlechter ist in der Regel der Versorgungsgrad. Je nach Region sind bis zu 60 Prozent der Milchzahnkaries bei Vorschulkindern nicht versorgt. Macht der Zahn dann Beschwerden, folgt nicht selten die Extraktion. In Extremfällen kann es sogar zur Extraktion aller Milchzähne kommen (Abb. 2). Eine besonders aggressive Form der Karies ist die sogenannte „Early childhood caries“ (ECC), früher auch „Fläschchenkaries“ genannt. Bei dieser Form der Karies ge-hen zuerst die oberen Incisivi verloren. Bei den älteren Kindern, ab etwa viereinhalb Jahren und mit engen Approximalkontakten bildet in der Regel eine Approximalkaries das größte Problem, die ohne Röntgen nicht selten übersehen wird und rasch zur Pulpa voranschreitet (Abb. 3).
Richtige Ernährung und Mundhygiene
Ein wichtiges Augenmerk kommt daher der Prävention zu, das heißt vor allem die Instruktion der Eltern zur richtigen Ernährung und Mundhygiene so-wie Vermeidung schädlicher Gewohnheiten von klein auf. Bestehen bereits Schäden an der Milchzahndentition, so steht die adäquate Versorgung mit Füllungen oder notfalls Milchzahnwurzelbehandlungen und Stahlkronen im Vordergrund, um die Milchzähne als Platzhalter für die bleibenden Zähne langfristig zu erhalten. Gelingt dies nicht und müssen Zähne aufgrund von Schmerzen oder Entzündungen frühzeitig extrahiert werden, so kann es zu Folgeschäden kommen. Weitere Ursachen für das Fehlen von Milchzähnen können Traumata, Nichtanlagen oder eine unterminierende Resorption sein. Wann spricht man nun von einem „frühzeitigen Zahnverlust“? Dieser ist dann gegeben, wenn die zu erwartende Standzeit des Zahnes größer als ein Jahr gewesen wäre, die Dicke des Alveolarknochens über dem Zahnkeim größer als 1mm ist und die Wurzellänge des bleibenden Zahnes weniger als zwei Drittel beträgt (Stellungnahme DGZMK 2004). In Abhängigkeit von der Lage und Größe der Lücke sowie des Alters des Kindes kann es in diesen Fällen zu Änderungen im wachsenden Kiefer bzw. zu Platzverlusten kommen. Bei den Molaren geht es hauptsächlich um das Sichern der Lücken, um die Platzhalterfunktion aufrechtzuerhalten, während es sich in der Front eher um ein ästhetisches und funktionelles Problem handelt. Es bleibt also zunächst festzuhalten, dass ein vollständiges, gesundes Milchgebiss mit einer regelrechten Verzahnung die besten Voraussetzungen für die Entstehung einer gesunden, eugnathen bleibenden Dentition schafft.
Diagnostik
Um abschätzen zu können, wo bzw. wie die bleibenden Zahnkeime liegen und wann mit deren Durchbruch zu rechnen ist, sind Röntgenbilder vor der Therapie unerlässlich. So können auch etwaige Nichtanlagen oder sonstige Störungen der Zahnentwicklung ausgeschlossen werden. Des Weiteren sollte die Bisslage und die Zahnstellung im Milchgebiss beurteilt werden: Physiologisch ist ein lückig stehendes Milchgebiss. Je enger das Milchgebiss ist, desto eher ist auch ohne vorzeitigen Milchzahnverlust bereits mit einem Platzmangel für die bleibenden Zähne zu rechnen. Eine stabile Verzahnung dagegen kann auch bei entstandener Lücke ein Aufwandern der Nachbarzähne in die Lücke in manchen Fällen verhindern.
Ein hohes Risiko für eine Lückeneinengung ist bei Verlust mehrerer Zähne in einem Quadranten gegeben.
Indikationen
Die Angaben in der Literatur zum Ausmaß des Platzverlustes bei Verlust ei-nes ersten und/oder zweiten Milchmolaren sind nicht eindeutig, ebenso wie die daraus resultierenden Empfehlungen für die Versorgung mit Lückenhaltern: Lin et al. etwa kommen in einer Untersuchung aus dem Jahr 2011 zu dem Schluss, dass es beim Verlust eines oberen ersten Milchmolaren zwar zum Platzverlust kommt, dieser jedoch hauptsächlich durch Distalwanderung des Dreiers und nicht durch Mesialdrift oder Rotation des Fünfers entsteht. Platzhalter wären somit nur in Ausnahmefällen nötig. Cuoghi OA et al. empfehlen hingegen, bei einem Verlust im Unterkiefer sofort einen Lückenhalter anzufertigen, da es sonst zur Mittellinienverschiebung käme. Rönnermann kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass der Platzverlust in Abhängigkeit vom Alter zu sehen ist: So entwickelten Kinder mit frühzeitigem Milchzahnverlust vor einem Alter von siebeneinhalb Jahren mehr Platzmangel als solche, die zwar immer noch frühzeitig, aber erst ab siebeneinhalb Jahren aufwärts einen oder mehrere Zähne verloren. Tunison et al. finden einen durchschnittlichen Platzverlust von 1,5mm im Unterkiefer und 1mm im Oberkiefer. Es wird aber da-rauf verwiesen, dass nur die wenigsten Studien zur Verwendung von Lückenhaltern den Anforderungen an eine gute klinische Studie entsprechen.
Zusammenfassend stellt die Literaturstudie von Laing E. et al. aus dem Jahr 2009 fest, dass es eingeschränkte Evidenz sowohl für als auch gegen die Verwendung von Lückenhaltern gibt. Es soll im Einzelfall abgewägt werden zwischen dem Nutzen des Lückenhalters bei Gefahr eines Platz-verlusts und dem möglichen Schaden durch Plaqueakkumulation bei schlechter Mundhygiene oder ungenügender Compliance. Indikationen für die Versorgung mit Lückenhaltern in der Front sind deren positiver Einfluss auf die Ästhetik, Sprachentwicklung und Funktion von Lippen, Zunge und Wange sowie die Vermeidung von Dysfunktionen. Im Molarenbereich dagegen steht die Platzhalterfunktion für die bleibenden Zähne und somit die Vermeidung von Fehlstellungen und Engstand im Vordergrund. Im klinischen Behandlungsalltag sind häufig Einengungen von Lücken diagnostizierbar (Abb. 4). Eine Kontraindikation für Lückenhalter ist immer dann gegeben, wenn die natürliche Exfoliation des Zahnes unmittelbar bevorgestanden und der bleibende Zahn somit kurz vor dem Durchbruch steht oder auch dann, wenn die kieferorthopädische Behandlung bereits geplant ist.
Vorgehen
Lückenhalter können sowohl herausnehmbar als auch festsitzend konstru-iert werden. Festsitzende Lückenhalter eignen sich für Einzelzahnlücken, während herausnehmbare Lückenhalter für multiple Lücken verwendet werden.
Verlust eines einzelnen ersten Milchmolaren
Der Verlust eines einzelnen Milch-Vierers ist sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer relativ einfach auszugleichen. Früher wurden Molarenbänder an den endständigen Zahn angepasst, darüber ein Teilabdruck mit Alginat genommen und anschließend anhand des Modells im Labor ein Drahtbogen angelötet. Dieser Lückenhalter wurde dann in einer zweiten Sitzung zementiert. Nachteil dieser Methode ist, dass zwei Behandlungstermine nötig sind und dass zusätzlich Laborkosten entstehen (Abb. 5). Die schnellste und einfachste Versorgung besteht in sogenannten „band and loop“ Platzhaltern (DENOVO oder Space Maintainers). Diese können als „Stecksystem“ im Set fertig gekauft und direkt angepasst werden. Dazu wird ein Band entsprechender Größe mit angelöteten Hülsen auf den Zahn aufgesetzt und ein Gegenstück auf die Länge der Lücke angepasst, mittels Zange arretiert und so zementiert. Dies ist relativ schnell in einer einzigen Sitzung zu bewältigen und kann auch im Falle einer Narkosesanierung direkt einzementiert werden. Die Bänder können sowohl über dem natürlichen Zahn als auch über einer Stahlkrone zementiert werden (Abb. 6a, b). Es sind verschiedene Gegenstücke erhältlich. Von Kinderkronen mit bereits angelöteten Steckhülsen für Lückenhalter ist eher abzuraten, da diese schlecht passen, falls der Zahn rotiert steht. Da bei Verlust von Milchzähnen durch Karies weiterhin mit einem erhöhten Kariesrisiko zu rechnen ist, ist es wichtig die Eltern darüber aufzuklären, dass sie sich bei einer Lockerung des Bandes sofort zum Rezementieren in der Praxis einfinden sollen, da sonst die Gefahr einer erneuten Karies unterhalb des Bandes besteht. Weitere Komplikationen bei schlechter Compliance sind das Abrutschen des Bandes in die Gingiva durch Lockerung oder der Durchbruch des bleibenden Zahnes, der von den Eltern nicht rechtzeitig bemerkt wird (Abb. 7 und 8).
Verlust eines einzelnen zweiten Milchmolaren
Geht ein Milch-Fünfer vor Durchbruch des Sechsers verloren, besteht die einzige Versorgungsmöglichkeit im sogenannten „Distal Shoe Lückenhalter“, der direkt nach der Extraktion eingesetzt werden muss – solange die Alveole noch offen ist – was einiges an Kooperation seitens des kleinen Patienten erfordert. Hier wird ebenfalls ein Band auf den noch vorhandenen Vierer auf-gepasst und eine Führungsschlaufe an die distale Alveolenwand oder den Zahnkeim des Sechsers gesetzt. Dieses verhindert eine Mesialwanderung des Sechsers. Vor dem Zementieren ist unbedingt ein Kontrollröntgenbild anzufertigen, um den korrekten Sitz des Lückenhalters zu überprüfen (Abb. 9). Nach Durchbruch des Sechsers müssen diese Lückenhalter abgenommen und durch „normale“ Band and Loop Lückenhalter ersetzt werden (Abb. 10). Deshalb ist hier besonders auf eine gute Compliance zu achten. Die Distal Shoe-Ansätze werden automatisch im gleichen Lückenhalter-Set wie die anderen Ansätze mitgeliefert.
Verlust mehrerer Milchzähne – festsitzende Versorgung
Hier ist der sogenannte „Flipper“ zu nennen. In diesem Fall werden eben-falls Bänder an die endständigen Zähne angepasst und ein Alginatabdruck des gesamten Kiefers genom-men. Auf dem Gipsmodell werden vom Techniker Drahtverbindungen angebracht, auf denen wiederum die Zähne aufgestellt werden können. Die Prothese wird fix zementiert (Abb. 11). Vorteil dieser Methode ist, dass die Lückenhalter von den Kindern nicht herausgenommen werden können und sich so gerade auch für kleinere Kinder eignen. Zu den Vorteilen gehört auch die Tatsache, dass die Prothesen relativ grazil gestaltet werden können und die Beweglichkeit der Zunge nicht durch eine Kunststoffplatte am Gaumen eingeschränkt wird. Zu den Nachteilen gehören sicherlich die große Gefahr von Plaqueretentionsnischen und damit ein erhöhtes Kariesrisiko für die verbliebenen Zähne. Außerdem erfordert diese Art der Versorgung eine große Compliance seitens der Eltern. Regelmäßige Kontrollen sind unerlässlich, um etwaige Mängel rechtzeitig zu beheben oder im Zahnwech-sel das natürliche Wachstum und den Durchbruch der bleibenden Zähne nicht zu behindern und somit einen größeren Schaden als Nutzen zu erwirken.
Herausnehmbare Versorgung
Bei Verlust mehrerer Milchzähne – ob Molaren oder Front – wird in der Regel ein herausnehmbarer Platzhalter angefertigt, welcher mit Adamsklammern an den verbliebenen Zähnen be-festigt wird. Für den Halt hat sich hier bewährt, nicht nur an den Fünfern, sondern auch an den Dreiern Adamsklammern anzubringen. Für den Ersatz der Zähne sind spezielle Milchzahn-garnituren, sogenannte „Bambino Zähne“ erhältlich. Die Farbe der Basis darf vom Kind selbst ausgesucht werden, was die Kooperation in der Regel deutlich erhöht (Abb. 12). Ziel ist es, bei den Molaren eine Sicherung der kieferorthopädischen Stützzone zu erreichen sowie eine Abstützung der Antagonisten zu gewährleisten, um eine Elongation zu verhindern. In der Front dient der Er-satz ästhetischen Zwecken, der Ver-meidung von Zungenfehlfunktionen sowie der Unterstützung einer regelrechten Sprachentwicklung (Abb. 13). Wie bereits erwähnt finden im Kindergartenalter keine nennenswerten transversalen Wachstumsvorgänge statt. Dennoch kann es in manchen Fällen sinnvoll und zweckmäßig sein, Schrauben oder andere Vorrichtungen in den Lückenhalter zu integrieren, sodass kleinere kieferorthopädische Maßnahmen, wie etwa das Überstellen eines Kreuzbisses, gleich mit erledigt werden können. Auch bereits verengte Lücken können mittels Distalisationsschraube wieder geöffnet werden, wobei dabei das Prinzip „actio gleich reactio“ zu rechnen ist und ein gewisser Einfluss auf die Front nicht außer Acht gelassen werden darf (Abb. 14). Der Übergang von Lückenhaltern zu Kinderprothesen ist fließend. Je mehr es Richtung Prothese geht, desto weniger ist eine Lückenhalterfunktion gegeben (Abb. 15).
In Einzelfällen können auch Totalprothesen notwendig sein. Die Herstel-lung sollte grundsätzlich in enger Zusammenarbeit von Zahnarzt und Tech-niker geschehen, da das Vorgehen dem in der Erwachsenenprothetik im Wesentlichen entspricht. Nach Herstellung von individuellen Löffeln wird die vertikale und sagittale Dimension durch Wachswälle sowie Wachseinproben ermittelt. Je nach Kooperation des Kindes ist eine Kieferrelationsbestimmung mit Übertragungsbogen wünschenswert, aber nicht immer möglich. Regelmäßige Kontrollen sind unumgänglich, um die Prothese eventuellen Wachstumsvorgängen anzupassen, Druckstellen einzuschleifen und Sitz und Sauberkeit der Prothese zu kontrollieren. Dabei sollte auch der Entwicklungsstand der nachfolgenden Zähne mittels Panoramaröntgenaufnahmen überprüft werden. Nach Schopf finden vor dem sechsten Lebensjahr keine nennenswerten, metrisch nachweisbaren Wachstumsvorgänge in der Sagittalen und Transversalen statt. Danach werden jedoch Maßnahmen wie Ausschleifen der Basis oder Unterfütterung, Einarbei-ten einer Dehnschraube oder eventuell sogar die Neuanfertigung nötig.
Resümee
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Lückenhalter und Kinderprothesen immer dann indiziert sind, wenn die normale Entwicklung von Sprache, Kaufunktion und Ästhetik gefährdet und mit einem Platzverlust in der kieferorthopädischen Stützzone zu rechnen ist. Eine gute Compliance seitens der Patienten ist jedoch unerlässlich.