Cosmetic Dentistry 28.02.2011

Wie lange braucht Ästhetik?



Wie lange braucht Ästhetik?

Als Michelangelo Buonarroti den Auftrag zur Ausschmückung der Sixtinischen Kapelle annahm, konnte er bereits auf einen umfangreichen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Um ein Fresko in dieser Qualität und vollendeten Ästhetik umsetzen zu können, muss der Künstler seine Werkzeuge und Materialien genau kennen. Außerdem musste Michelangelo über umfassende Kenntnisse im Bereich der Anatomie verfügen. Was viele im Moment der ehrfürchtigen Betrachtung dieses unübertroffenen Kunstwerks nicht erkennen ist die Tatsache, dass diesem Projekt eine umfassende Planung durch die Anfertigung von Skizzen und Schablonen vorausging, die er in Zusammenarbeit mit zahllosen Assistenten anfertigte.

Zurück zur anfangs gestellten Frage. Wie lange braucht Ästhetik, und welche Vorausetzungen müssen erfüllt sein? Denn aus der Vorgehensweise bekannter Maler, Architekten und Musiker können wir etwas für unsere tägliche Arbeit lernen. Gelungene Ästhetik muss wachsen und braucht in erster Linie Zeit. Michelangelo benötigte für die Umsetzung der Fresken in der Sixtinischen Kapelle mehr als 30 Jahre! Ein Schatz aus Erfahrungen und das Wissen über den Umgang mit den verwendeten Hilfsmitteln und Materialien, sowie nicht zuletzt die Zusammenarbeit in einem eingespielten Team sind Grundlagen für ein adäquates Ergebnis.


Fallbericht

Im vorliegenden Fall stellte sich die Patientin erstmals in der Praxis vor sechs Jahren vor. Die ausgesprochen attraktive Patientin beklagte die unbefriedigende ästhetische Wirkung ihrer beiden Metallkeramikkronen. Ursprünglich sollten die insuffizienten Kronen auf 11 und 21 durch vollkeramische Versorgungen ersetzt werden. Um eine harmonisch ästhetische Gesamtwirkung zu erzielen, wurden die seitlichen Schneidezähne in die prothetische Planung rein non- beziehungsweise minimalinvasiv integriert. Die visuelle Ästhetikanalyse zeigte, dass die beiden mittleren Inzisiven zu kurz erschienen und dem Lippenverlauf nicht optimal folgten. Diesen Eindruck bestätigte das anschließende dental-imaging im Labor anhand der Patientinporträts. Durch eine gemeinsame Analyse des dental-imaging mit der behandelnden Zahnärztin wurde deutlich, dass die lebensfrohe und selbstbewusste Patientin aussagekräftige Frontzähne benötigt, die ihre Lebensphilosophie unterstreichen sollten.

Vor dem Beginn einer derartigen Behandlung hat die Schaffung einer soliden Vertrauensbasis zwischen Patienten, Zahnarzt und Dentallabor oberste Priorität. Denn wir dürfen niemals vergessen, dass an dem Zahn immer ein Individuum mit Gefühlen, Sorgen und Ängs-ten hängt. Diese Sorgen und Ängste gilt es zunächst nachhaltig zu nehmen. Es muss von Anfang an klar sein, dass nur Maßnahmen unternommen werden, die absoluter Notwendigkeit bedürfen.

Behandlungsverlauf

Leider stellte sich während des Behandlungsverlaufs heraus, dass der durch multiple Resektionen behandelte Zahn 21 aufgrund akuter Entzündung und Schwellung nicht erhaltungswürdig war. Dieser maximalinvasive Eingriff birgt immer die Gefahr eines Knochen- und Weichgewebeverlustes. Das Ziel ist hierbei der bedingungslose Alveolenschutz. Das Mittel der Wahl ist in diesem Fall die prothetic socket preservation.

Das präoperativ gefertigte Provisorium ragt zapfenförmig in die Extraktionsalveole und hält auf diese Weise die Schleimhaut ab. Durch sequenzielle Modifikation des Provisoriums füllt der langsam wachsende Knochen den Hohlraum aus. So können Weichgewebe und Papillen für den weiteren Verlauf der Behandlung optimal ausgeformt werden, um uns langsam an die rote Ästhetik heranzutas-ten. Nach abgeschlossener Knochenregeneration kann das Implantat optimal inseriert werden.

Zirkonoxidabutment

Das individuelle Zirkonoxidabutment wurde unter Zuhilfenahme der zuvor durch den Zahntechniker erstellten digitalen Ästhetikanalyse sowie des Wax-ups hergestellt. Von inzisal betrachtet gleicht das Abutment in seiner Geometrie exakt einem präparierten Zahn. Nur so kann die anschließend gefertigte Krone die Illusion eines aus der Alveole herausragenden Zahnes schaffen. Nach Abformung der gesamten Situation wird die Papille durch das laborgefertigte Provisorium unterstützt. Auf diese Weise bleibt die mühevoll erarbeitete Papillensituation erhalten.

Calvin-Capture-Card

Mit der von Bellmann und Hannker entwickelten Calvin-Capture-Card wird die Zahnfarbe definiert. Die Calvin-Capture-Card ist ein multifunktionales Tool, mit dem man Zahnfarben durch Fotografie und einem anschließenden digitalen Weißabgleich am PC naturkonform darstellen kann. Voraussetzung hierfür ist ein Digitalfoto im RAW-Format und ein kalibrierter Monitor. Die Zahnfarben können durch das definierte, 18%ige grau der Karte virtuell mit Photoshop Light-room dargestellt werden. Des Weiteren verfügt die Karte über einen schwarzen Hintergrund als Freistellungswerkzeug und eine Millimeterangabe, durch die man im Zuge des dental-imagings Seiten- und Längenverhältnisse millimetergenau auf das Wax-up umsetzen kann.

Ästhetische Umsetzung

Die definitive Versorgung wird auf Zirkoniumoxidkappen (LavaTM, 3M Espe) und feuerfesten Stümpfen hergestellt. Auf die laborseitige Fertigung wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Die Fotos sprechen für sich und dokumentieren eine naturkonforme Umsetzung in Keramik auf höchstem Niveau.

Philosophischer Epilog

Die Keramikkronen und Veneers in situ sprechen ihre ganz eigene Sprache. Sie folgen dem Lippenverlauf der Patientin optimal und unterstreichen die charismatische Präsenz. Das Weichgewebe schmiegt sich wohlwollend an die Keramik an und schafft im wechselseitigen Dialog die Illusion vitaler Zähne. In Kombination mit dem ansteckenden Lächeln, welches sich bereits auf die leuchtenden Augen der glücklichen Patientin übertragen hat, kann man in dieser Situation sicherlich von einem klinisch und prothetisch gelungenen Erfolg sprechen. Hier wurde ein kleines Kunstwerk zur Freude vieler Menschen geschaffen. Es ist mit den Kunstwerken eines Michelangelos natürlich in keinster Weise zu vergleichen, wurde aber durch Künstler wie diese inspiriert.

Nun, wie lange braucht Ästhetik? Oftmals eine kleine Ewigkeit – ein zufriedenes Lächeln entschädigt jedoch für eine kleine Ewigkeit.

Lassen wir diese neu gewonnene Lebensfreude durch die Abbildungen 34 und 35 auf uns wirken. Genießen wir den Anblick gelungener Ästhetik und sehen wir die Leidenschaft hinter den Dingen.

„Believe in workflow of dental arts“

Autoren: Christian Lang, Jan-Holger Bellmann, Dr. Violeta Claus

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