Implantologie 08.05.2013
Augmentative Korrektur nach Fehlpositionierung in der OK-Front
Die Resorption der bukkalen Lamelle nach Zahnextraktion ist für eine implantologische Sofortversorgung, gerade in der Oberkieferfront, ein Risikofaktor mit Einfluss auf das ästhetische Gesamtergebnis. Der Autor beschreibt im folgenden Beitrag eine Möglichkeit zur Korrektur nach Falschpositionierung eines Implantates in der Frontzahnregion mit der Verwendung eines kortikalen Knochenspanes.
Neuere Publikationen der Arbeitsgruppe um Jan Lindhe haben dazu beigetragen, das Augenmerk des Implantologen für die biologischen Vorgänge in und besonders an der Alveole zu schärfen. So sollten für die präimplantologische, aber auch präprothetische Diagnostik folgende Parameter für die spätere ästhetische Versorgung Berücksichtigung finden:
– die Dimension der Alveolarkammbreite nimmt ab
– das krestale Niveau sinkt
– der Hartgewebeanteil in der Alveole erfährt über die Zeit eine Reduktion.
So konnten Schropp et al.1 bereits im Jahr 2003 die nach Extraktion einsetzenden Resorptionsvorgänge beim Menschen dokumentieren und quantifizieren: Innerhalb von zwölf Monaten reduzierte sich die Kammbreite um bis zu 50% (6mm). Zwei Drittel der Resorption fanden dabei bereits in den ersten drei Monaten statt. Araujo et al.2 untersuchten das krestale Niveau nach Zahnextraktion am Tiermodell und konnten feststellen, dass gerade bukkal eine extreme Reduktion schon innerhalb der ersten Wochen einsetzte. Auch der Anteil an mineralisiertem Hartgewebe in der Alveole scheint sich zugunsten von Mark- und Fettgewebe zu verändern, wie Cardaropoli et al.3 berichteten. Die Ursache für diese teils dramatischen Strukturänderungen nach Zahnextraktion ist zum Teil im Ursprung des die Alveole auskleidenden Gewebetypus zu suchen. Der Bündelknochen (engl. bundle bone/lamina dura) entstammt phylogenetisch, wie auch Wurzelzement und parodontales Ligament, dem Zahnsäckchen und ist nicht, wie der restliche Kieferknochen, periostalem Ursprungs. Der Bündelknochen ist der Anteil des Alveolarknochens, in den die Kollagenfibrillen des Sharpey’schen Faserapparates einstrahlen. Nach Zahnextraktion kommt es somit zwangsläufig zur Knochenresorption im Bereich des Bündelknochens, da die eigentliche physiologische Funktion des Bündelknochens, die Verankerung des Zahnes, nicht mehr benötigt wird. Die Auswirkungen auf das Gewebevolumen sind gerade im bukkalen Anteil der Alveole groß, weil hier bei vorhandener dünner Lamelle der Knochen oftmals nur aus Bündelknochen besteht, während der orale Anteil noch mit einer Schicht Kortikalis bedeckt ist. Eine Sofortimplantation in der ästhetischen Zone gerade bei dünner bukkalen Lamelle und dünnen Gingivatypus unterliegt damit zwangsläufig einem höheren Risiko. Vielfach macht eine Sofortimplantation hier nur mit begleitenden augmentativen Maßnahmen Sinn. Außerdem sollte auf die optimale Positionierung des Implantates geachtet werden, da eine zu weit vestibuläre Position des Implantates zusätzliche Resorptionsvorgänge auslösen kann. Zur Korrektur dieser atrophierten Strukturen können verschiedene Techniken herangezogen werden, wie zum Beispiel die Blockaugmentation unter Verwendung von intraoralen oder extraoralen Transplantaten (Onlay-Technik, Sandwich-Technik), die gesteuerte Knochenregeneration (GBR) unter Verwendung von Knochenersatz und Membranen, die Distraktionsosteogenese oder Kombinationen verschiedener Techniken.
Ausgangssituation, Diagnostik und Therapieplanung
Im vorliegenden Fall stellte sich eine Patientin zwei Jahre nach Sofortimplantation in Region 11 in unserer Praxis vor. Anamnestisch gab die Patientin rezidivierende Entzündungen des marginalen Gingivasaums und eine Druckdolenz der vestibulären Gingiva über dem Implantat 11 an. Alio loco wurden bereits mehrfach eine Kürettage und Medikamenteneinlagen vorgenommen, die jedoch immer nur vorübergehend zu einer Verbesserung der Symptomatik führten. Die klinische Ausgangssituation (Abb. 1) zeigte einen verdickten, leicht livide verfärbten marginalen Gingivasaum in Regio 11 mit Blutung auf Sondierung und mit einer vestibulären Sondierungstiefe von 7mm. Das zur weiteren Befundverifizierung durchgeführte DVT zeigte in der sagittalen und axialen Ebene (Abb. 2 und 3) eine Falschpositionierung des Implantates. Letzteres zeigte neben der zu starken Ausrichtung des Implantates nach vestibulär auch eine zu ausgeprägte Angulation in diese Richtung. Das resultierende Knochendefizit an der Implantatschulter und im weiteren Verlauf am Implantatkörper kommen ebenfalls zur Darstellung und erklären die rezidivierenden Entzündungen im Schulterbereich und die klinisch fehlende dreidimensionale Rekonstruktion des vestibulären Knochens. Mit der Patientin wurden daraufhin die möglichen symptomatischen und kausalen Behandlungsalternativen besprochen. Sie entschied sich für die Option der operativen Korrektur mit knöcherner Augmentation (Implantatkörper) und Weichgewebeaugmentation (Implantatschulter).
Operatives Vorgehen und Verlauf
Der Eingriff wurde in Lokalanästhesie unter Sedierung (Dormicum) durchgeführt. Nach marginaler Schnittführung und vertikaler Entlastung in der distalen Prämolarenregion links erfolgten zunächst die Präparation und Mobilisation des vestibulären und teilweise des palatinalen Mukoperiosts. Der intraoperative Befund (Abb. 4 und 5) bestätigte den oben interpretierten Befund des DVT. Nach Darstellung des Situs wurde ein kortikaler Knochenspan vom aufsteigenden Unterkieferast rechts entnommen und mit einer diamantierten Säge entsprechend dem Korrekturbedarf in Regio 11 zurechtgetrimmt und zunächst mit einer 1,0mm starken Osteosyntheseschraube (Stoma-Dentalsysteme GmbH) provisorisch fixiert (Abb. 6). Die gleichfalls vom aufsteigenden Unterkieferast rechts entnommenen spongiösen Knochenspäne wurden anschließend zum Ausgleich des vorhandenen Volumendefizites zwischen den freiliegenden Implantatgewindegängen und dem zu fixierenden Knochenspan eingebracht (Abb. 7). Danach erfolgte die definitive, rotationsstabile Fixation des kortikalen Knochenspanes mit insgesamt drei Osteosyntheseschrauben (Zugschraubentechnik, Abb. 8 und 9). Zur Augmentation und Stabilisierung des marginalen Gingivasaumes wurde ein freies Gingivatransplantat vom rechten Gaumen entnommen und in der angegeben Region fixiert (Abb. 10). Der fixierte Knochenspan wurde zum Resorptionsschutz mit Bio-Oss (Geistlich Biomaterials) gedeckt und abschließend eine Kollagenmembran zum Schutz des gesamten Augmentates eingebracht. Die Abbildung 13 zeigt die Röntgenkontrolle nach Augmentation. Nach komplikationslosem Heilungsverlauf wurden die Wundnähte nach zehn Tagen entfernt. Die Dokumentation der Abbildungen 14 und 15 erfolgte 17 Tage postoperativ. Vier Monate nach der durchgeführten Augmentation stellte sich die Patientin zur Recalluntersuchung vor. Klinisch zeigten sich vollständig reizlose Wundverhältnisse und ein stabiler marginaler Gingivasaum (Abb. 16 und 17). Zu diesem Zeitpunkt erfolgte in Lokalanästhesie über eine kleine vestibuläre Inzision die Entfernung der primär eingebrachten Osteosyntheseschrauben.
Diskussion
Das hier dargestellte Verfahren stellt eine Möglichkeit zur Korrektur der beschriebenen Symptomatik nach Falschpositionierung eines Implantates in der Frontzahnregion dar. Die Verwendung eines kortikalen Knochenspanes sichert die dreidimensionale Rekonstruktion des vestibulären Knochens. Das entsprechende Trimmen des Transplantates zur Reduktion der Transplantatdicke und die Unterlagerung der spongiösen Knochenspäne gleichen den von in der Literatur beschriebenen Nachteilen4,5,6 reiner kortikaler Knochenspäne (geringerer Anteil osteogener Zellen als Spongiosa, Verlust von Osteozyten im Rahmen der Transplantation, Gefahr der Nekrose). Der Vorteil gegenüber einer alleinigen Rekonstruktion mit Knochenspänen bzw. Knochenersatzmaterial ist in der genauen Kontinuierbarkeit und Modellierung der dreidimensionalen Konfiguration des Transplantates zu sehen.
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