Implantologie 15.03.2011
Neue Zähne an einem Tag – Ein Konzept zur Implantation ohne GBR
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Die implantatprothetische, festsitzende Versorgung stark athrophierter Kiefer stellt eine Herausforderung für das implantologische Team dar. Durch die maximale Ausnutzung des Restknochens kann über angulierte Implantate meist auf eine Knochentransplantation verzichtet und eine sofortbelastete, verschraubte Kunststoffbrücke eingegliedert werden. Der folgende Fall beschreibt das Vorgehen und ein besonderes prothetisches Konzept.
Wenn im zahnlosen Kiefer Implantate gesetzt werden sollen, aber nur noch wenige Millimeter Restknochen (der sogenannte basale Knochen) vorhanden ist, wird die Behandlung schwierig. Der Aufbau des Kiefers mit Beckenkammtransplantaten wird von vielen implantologisch tätigen Kollegen als die beste Behandlungoption angesehen. In einem mehrstufigen Konzept, bei dem zunächst Knochen aufgebaut wird und nach einigen Monaten Implantate gesetzt werden, kommt es für den Patienten zu schwierigen Behandlungsphasen. Mehrere Operationen, lange Wartezeiten (bis zur Endversorgung können ein Jahr und mehr vergehen) und die mit den Operationen jeweils verbundenen Risiken und Kosten schrecken viele Patienten ab. Bei jüngeren Patienten kann dieses Vorgehen, insbesondere wenn es bei hoher Lippenlinie den sichtbaren Bereich betrifft, durchaus sinnvoll sein.
Bei (fast) zahnlosen Patienten stellt sich die Situation jedoch anders dar. Es gibt Alternativen, um ohne Knochenaufbaumaßnahmen in kurzer Zeit zu einem stabilen Behandlungsergebnis zu gelangen: die Behandlungsstrategie von Malo („all on four“) kommt ohne Knochentransplantationen aus. Langzeituntersuchungen (über acht Jahre) dieses Verfahrens zeigen keine schlechteren Ergebnisse als konventionelle implantologische Verfahren. Es werden Erfolgsquoten von über 95% erreicht.
Mit einer Risikoanalyse sollte der bestmögliche Behandlungsweg gefunden werden. Neben der genauen Analyse der Knochenquantität und -qualität helfen auch mikrobiologische Untersuchungen und Gentests, um Patienten vor der Behandlung auf Knochenheilungsstörungen zu untersuchen. Wenn das sogenannte „all on four“-Verfahren möglich ist, wird nach gründlicher Vorplanung und vorbereitenden Maßnahmen binnen eines Tages ein neuer fester Zahnersatz eingegliedert. Abgesichert durch wissenschaftliche Grundlagenstudien ermöglicht dieses Verfahren auch im atrophierten Kiefer eine festsitzende Brückenversorgung ohne Knochenaufbaumaßnahmen .
Folgende Vorteile ergeben sich aus der Behandlungssystematik:
1. Beckenkammtransplantationen mit allen möglichen Komplikationen und Risiken werden vermieden.
2. Lange Wartezeiten und eine temporäre Prothesenkarenz entfallen.
3. Die „immediate function“ ermöglicht es, feste Zähne schon am Tag der Implantation einzusetzen.
4. Nur vier bis sechs Implantate müssen „gepflegt“ werden. Dies erleichtert Patient und Zahnarzt die Nachsorge.
5. Kostenersparnis durch das Wegfallen der Knochentransplantation.
Welche Vorbereitungen müssen durchgeführt werden?
Um das Konzept für neue Zähne an einem Tag zu verwirklichen, bedarf es einiger Vorbereitung. Erstens sollte eine dreidimensionale Implantatplanung und Knochenanalyse mittels DVT oder CT vorausgehen. Ebenso muss das gewünschte Endergebnis zahntechnisch vor dem Eingriff realisiert werden. Dazu werden ästhetisch perfekte Totalprothesen sowie darauf basierend spezielle Bohrschablonen hergestellt. Ein spezialisiertes zahntechnisches Team ist erforderlich. Die Implantation und Planung ist anspruchsvoll und sollte vom implantologisch-prothetisch erfahrenen Team durchgeführt werden.
Der Fall
Das folgende Fallbeispiel zeigt eine Patientin mit zahnlosem Ober- und Unterkiefer. Wegen eines starken Würgereizes klebte die Patientin schon seit Jahren ihre „gaumenfreie“ Oberkieferprothese an. In beiden Kiefern war der Knochen stark geschwunden. Statt, wie anderenorts gefordert, umfangreich Knochen aufzubauen, wurden nach dem oben beschriebenen Prinzip im Ober- und Unterkiefer jeweils vier bzw. fünf Hi-Tec Self-thread Implantate inseriert und festsitzend versorgt.
Diagnostik und Vorbereitungen
Zunächst wurden im Ober- und Unterkiefer Vollprothesen angefertigt, welche die ästhetischen Ansprüche der Patientin befriedigten. Aus den Duplikaten der Vollprothesen wurden – nach der von „Materialise“ empfohlenen Vorgehensweise – sogenannte Scanprothesen hergestellt.
Zum damaligen Zeitpunkt (2008 ) wurde die Patientin für das CT mit der OP-Schablone zum Radiologen geschickt. Heute werden alle komplexen Fälle mit unserem DVT (Picaso trio) in der Praxis analysiert. Die gewonnenen Daten werden dann mittels der SimPlant® Software (Materialise) bearbeitet. Nach der virtuellen Implantation wird entschieden, ob eine Bohrschablone möglich ist und ob sie auch eindeutig fixiert werden kann. Da es sich um grenzwertige Knochenverhältnisse handelte, wurde lediglich eine orientierende Bohrschablone für die Implantatposition sowie die Angulationsschablone von Malo eingesetzt.
Implantation und Sofortbelastung (functional loading)
Die Implantationen erfolgten getrennt nach Ober- und Unterkiefer mit einer Woche Abstand Anfang 2008. Die bukkalen Einziehungen wurden im Sinne einer GBR mit Bio-Oss und Bio-Gide-Membranen sowie mit PRGF zur Unterstützung der Weichgewebsheilung therapiert. Zur besseren Übersicht wurde der OP Situs mit Haltenähten dargestellt. Der Einsatz von potenziell traumatisierenden Wundhaken konnte somit entfallen.
Im Oberkiefer wurden fünf Implantate mit einem Durchmesser von 3,3 mm sowie einer Länge von 13 bzw. 11,5mm und einer Primärstabilität zwischen 20 und 40Ncm(Durchschnitt 30Ncm) eingebracht.Im Unterkiefer kamen Implantate des Durchmessers 3,75 und Längen zwischen 8 und 13mm mit einer Primärstabilität von 30–45Ncm (Durchschnitt 38Ncm) zum Einsatz.
Die Patientin wurde postoperativ sofort mit einer festen provisorischen Brücke versorgt. Die Basis dafür bildeten die im Vorfeld angefertigten Totalprothesen. Gerade für die provisorische Phase eignen sich die OBA-Abutments, welche durch das plane Interface jegliche Achsabweichung der Implantate tolerieren. Somit können auch die distalen, 30–40 Grad angulierten Implantate mit der FS3 Schraube und dem PCT-Zylinder starr in die provisorische Brücke eingebaut werden. Diese Immobilisierung – verbunden mit einer guten Primärstabilität – ist eine Grundvoraussetzung für das Gelingen des Sofortbelastungsprotokolls. Eine Woche post OP wurde die provisorische Brücke nochmals zur Nahtentfernung heruntergeschraubt.
Ab der dritten Woche begann das Prophylaxeprogramm, in dem auch die Anwendung von Interdentalbürsten trainiert wurde. Soll eine Versorgung von dauerhaftem Erfolg gekrönt sein, ist die biologische Komponente, d.h. die Bakterienminimierung durch häusliche Mundhygiene und organisierte systematische Kausaltherapie, ausschlaggebend.
Die definitive Versorgung
Nach einer unauffälligen Einheilphase begann Mitte Mai 2008 die definitive prothetische Versorgung.
Abformung
Zunächst wurde eine Abformung ohne Löffel durchgeführt – auf den geraden Implantaten auf Implantatniveau und auf den distalen, angulierten Implantaten auf Abutmentniveau. Die Pfosten wurden mithilfe von festem schnellhärtenden Composite (LuxaBite) sowie starren Metallstiften spannungsfrei verbunden und mit Impregum unterspritzt. Somit ist es möglich, alle relevanten Kieferteile sowie die genaue Implantatposition abzuformen.
Da im Vorfeld schon eine optimale Totalprothese angefertigt worden war und die Patientin Zeit hatte, deren ästhetische Wirkung zu testen, konnte das Design 1:1 übernommen werden. Dies ist ein weiterer, nicht zu unterschätzender Vorteil des oben geschilderten Vorgehens. In vielen ähnlichen Fällen musste die Zahnform, die Farbe oder gar die Mittellinie verändert werden. Im Provisorium ist dies keine große Mühe, bei einer fertigen Arbeit jedoch bedeutet dies meist eine Neuanfertigung
Art der Ausführung der Restaurationen
Durch die akribische Vorarbeit nach den oben genannten Kriterien war die Umsetzung der Planung ohne Zwischenfälle möglich. Zum damaligen Zeitpunkt haben wir es aufgrund häufiger Misserfolgsberichte ( Chipping) nicht gewagt, Ober- und Unterkiefer in Keramik herzustellen. Mit den Zirkonzahn Prettau-Vollkeramikbrücken ist Chipping zum Glück heute kein Problem mehr.
Im Oberkiefer wurde eine vollkeramische Brücke und im Unterkiefer eine „Composite“-verblendete Brücke eingegliedert. Die Befestigung erfolgte durch Galvanoteleskope in der Front und OBA-Abutments (Verschraubung) im Seitenzahnbereich. Für den Oberkiefer wurde ein kieferumspannendes Zirkongerüst zum Ersatz der Zähne und des Zahnfleischs hergestellt. Darauf wurden zwölf e.max Presskeramikkronen hergestellt, die zuvor als Wachsrohlinge einprobiert werden konnten.
Die zentrische Bissnahme erfolgte über das Gerüst der Oberkieferversorgung und die fertige Unterkieferbrücke. Nach Fertigstellung der e.max Kronen wurden diese im Labor mit dem Gerüst verklebt. Lediglich die Kronen über den Verschraubungen wurden beim Eingliedern im Mund zementiert, nachdem die FS3-Schrauben mit einem definierten Drehmement von 30Ncm festgeschraubt worden waren. Sollte die Versorgung aus unvorhersehbaren Gründen abgenommen werden müssen, werden lediglich die beiden Kronen über den Verschraubungen entfernt und die entsprechenden Verschraubungen gelöst.
Die Eingliederung
Bei der Eingliederung wurden zunächst Gingiva, Auflagedruck, Okklusion, Artikulation sowie die Ästhetik und Phonetik überprüft. Anschließend mussten die Galvanointermediärteile in die Brückengerüste mit Panavia eingeklebt werden. Nach Versäuberung im Labor wurde die Brücke im Unterkiefer eingesetzt bzw. mit 30Ncm geschraubt. Die zwei Schraubenlöcher wurden zunächst mit Fermit verschlossen. Im Oberkiefer wurde wie oben erwähnt vorgegangen und nach definiertem Einschrauben der zwei FS3-Schrauben das Einzementieren der zwei restlichen e.max Kronen vorgenommen.
Fazit
Verschiedene wissenschaftliche Grundlagenstudien führten zu einem Verfahren, welches im stark atrophierten Kiefer eine festsitzende Brückenversorgung ohne Knochenaufbaumaßnahmen ermöglicht. Damit wird unseren Patienten eine schnelle und relativ schonende Lösung ihrer dentalen Probleme ermöglicht. Im vorliegenden Fall konnte dies mit der Insertion von vier bzw.fünf Implantaten (Hi-Tec, Self Thread) sowie den passenden prothetischen Teilen realisiert werden.