Kieferorthopädie 17.02.2022

Anti-Aging durch kieferorthopädische Behandlungen



Anti-Aging durch kieferorthopädische Behandlungen

Foto: Dr. Claudia Obijou-Kohlhas

Kieferorthopädisches Einstellen von Lücken in der Front für eine prothetische Verbreiterung und Verlängerung der Oberkieferschneidezähne im Rahmen eines Anti-Aging-Programms. Ein Beitrag von Dr. Claudia Obijou-Kohlhas, Baden-Baden.

Einleitung

Die Welle der Faltenunterspritzungen und Anti-Aging-Behandlungen im Gesicht hat so richtig Fahrt aufgenommen, sodass sich auch für Kieferorthopäden und Zahnärzte ein neues Arbeitsfeld aufgetan hat. Sehr häufig werden Kronenverlängerungen und -verbreiterungen im Frontzahnbereich bei älteren Patientinnen gefordert, um das Lachen zu verjüngen (Abb. 1). Dafür ist die vorherige Auffächerung der Oberkieferfront durch eine möglichst kurzdauernde kieferorthopädische Vorbehandlung erforderlich.

Immer mehr Frauen lassen sich die kleinen Mundfältchen an der Oberlippe und die tiefen Nasolabialfalten durch sogenannte Dermafiller „unterfüttern“ und „aufpolstern“. Dadurch sollen Gesichtsfalten ausgeglichen und das Gesichtsvolumen zur Verjüngung des Aussehens verbessert werden. Wiederholtes und übermäßiges Spritzen von Botox und Hyaluronsäure in die Gesichtsweichteile führt jedoch häufig dazu, dass die Oberlippe verlängert und voluminöser wird (Abb. 1), sodass die oberen Frontzähne plötzlich von der Lippe überdeckt werden und kürzer erscheinen. Im schlimmsten Falle ist die Oberkieferfront durch die Überlappung der Oberlippe gar nicht mehr zu sehen. Aber woher kommt dieser negative Nebeneffekt der Faltenunterspritzung?

Die Muskeln des Gesichts erschlaffen durch das injizierte Nervengift und sacken förmlich nach unten ab, wodurch die Oberkieferfrontzähne mehr und mehr verdeckt werden. Aus einem schönen Lachen wird ungewollt ein eher verkrampftes Grinsen, wenn der Patient versucht, die aufgepolsterte Oberlippe beim Lachen nach oben zu ziehen. Bedauerlicherweise tritt durch die Verlängerung der Oberlippe häufig das Gegenteil von dem ein, was mit der Faltenunterspritzung bewirkt werden soll. Das Lachen der Patienten wirkt eher älter als jünger, denn wie beim natürlichen Alterungsprozess sinken die Gesichtsweichteile beim älteren Menschen nach unten ab und die Unterkieferzähne sind nun mehr zu sehen als die des Oberkiefers.

Natürlicher Alterungsprozess verlagert Höhe der Lippenlinie

Vergleicht man das Lachen junger Menschen mit dem der älteren, so fällt die unterschiedlich hohe Lippenlinie als signifikantes Merkmal für den Altersunterschied unmittelbar ins Auge. Beim jungen Menschen ist die Lippenschlusslinie deutlich höher als beim älteren, wodurch die Oberkieferzähne bei jüngeren Menschen mehr zu sehen sind.

Dies zeigt uns, dass die exponierte Stellung der Oberkieferzähne für ein jugendliches Aussehen und eine ansprechende Gesichtsästhetik wichtig ist (Abb. 3). In der Regel wird auch ein Gummy Smile von 1 bis 2 mm als ästhetisch jugendlich angesehen. Besonders schlimm ist es für die Patienten übrigens dann, wenn die Lippe durch unterschiedlich starke Resorptionsvorgänge der Mikrofiller asymmetrisch wird und nach einer Seite herunterhängt. Hat der Patient einmal mit der Faltenunterspritzung begonnen, so kommt er kaum noch davon los, denn immer wieder müssen Unregelmäßigkeiten ausgeglichen werden.

Exposition der oberen Frontzähne nimmt im Alter ab

Jung aussehen bedeutet eben nicht nur, dass das Gesicht faltenfrei erscheint, sondern auch, dass die Oberkieferzähne entsprechend einer positiven Lachkurve mindestens zu zwei Dritteln zu sehen sind.

Vig und Brundo zeigten bereits 1981, dass mit steigendem Alter der Patienten die Zahnexposition der Oberkieferfront durch eine Zunahme der Oberlippenlänge graduell abnimmt und dafür die Exposition der Unterkieferfrontzähne in gleicher Weise zunimmt. Nach den Messungen der Autoren weisen über 60-Jährige eine Unterkiefer-Frontzahnexposition auf, die in ihrem Ausmaß der Oberkiefer-Frontzahnexposition von unter 30-Jährigen entspricht (Tabelle 1 und 2). Um dem Alterungsprozess entgegenzuwirken, sind Kieferorthopäden und Zahnärzte gefragt.

Wie können hier Kieferorthopädie und Prothetik Abhilfe schaffen?

Durch eine gemeinsam mit dem Hauszahnarzt durchgeführte interdisziplinäre Diagnostik können wir eine kombiniert kieferorthopädisch-prothetische Therapie planen, welche die Frontzähne des Oberkiefers wieder in den Mittelpunkt des Aussehens stellt. Die Auswertung von Gesichtsfotos, Vermessung der Zahnlängen, Feststellen der Lachlinie, Beurteilung von Symmetrien und Bisslage können digital und analog zu einer gemeinsamen Behandlungsplanung führen, die das Ziel hat, die Oberkieferfrontzähne des älteren Patienten zu verlängern und damit sichtbarer zu machen.

Präprothetische kieferorthopädische Lückenöffnung

Anhand der im Folgenden dargestellten klinischen Fallbeispiele (Fall 1: Abb. 4–6; Fall 2: Abb. 7–13) soll gezeigt werden, dass die kieferorthopädische Lückenöffnung in der Oberkieferfront eine unverzichtbare Voraussetzung für die anschließende Überkronung, Kompositrestauration oder Veneerversorgung zur Vergrößerung und Verlängerung der Frontzähne erforderlich ist. Die enge Zusammenarbeit der beiden Fachdisziplinen Kieferorthopädie und Prothetik sind daher unverzichtbar.

Erwähnt werden soll in diesem Zusammenhang, dass es allgemein anerkannte Regeln zu den richtigen Proportionen der Zahnbreiten zu den Zahnlängen gibt, die als ästhetisch relevant gelten. Als Inbegriff der Ästhetik wird der sogenannte Goldene Schnitt angesehen, der 1979 erstmals von Lombardi2 angewandt wurde. Dabei kommt es auch darauf an, dass der Betrachter die Frontzähne von vorn beurteilt, da sich diese durch die Perspektive die Zahnbreiten der seitlichen Schneidezähne und Eckzähne aufgrund des Oberkiefer-Kurvenverlaufs optisch anders darstellen als sie tatsächlich sind.

Folgende Indikationen können eine Verlängerung und eine damit einhergehende Verbreiterung der Oberkieferfrontzähne notwendig machen:

  • natürliche Alterungsprozesse durch Absacken der Gesichtsweichteile
  • iatrogene Oberlippenverlängerung und -verdickung durch injizierte Filler und Toxine
  • Abrasionen/Erosionen in der Oberkieferfront
  • frontal offener Biss mit proklinierter, intrudierter Oberkieferfront
  • unterentwickeltes Mittelgesicht mit retrudierter, intrudierter Oberkiefer-Frontzahnposition (häufig skelettale Klasse III)
  • genetisch bedingte hypoplastische, verkürzte Zahnformen
  • veraltete, fehlgeplante, zu kurze Frontzahnrestaurationen
  • durch akutes Trauma verkürzte Frontzahnkronen
  • frontale Kopfbissstellungen, Bolton-Diskrepanzen
  • Aplasien der seitlichen Frontzähne und Mesialpositionen der Eckzähne.

Die kieferorthopädische Lückenöffnung in der Oberkieferfront kann entweder durch bukkale oder linguale Brackets oder mit sämtlichen Alignersystemen durchgeführt werden. In den meisten Fällen handelt es sich lediglich um die kieferorthopädisch durchzuführende Auffächerung der Front durch eine Proklination der oberen Inzisivi bei gleichzeitiger Verankerung der Seitenzähne. Oft beträgt die Behandlungsdauer je nach Ausgangssituation nur wenige Monate, sodass die Patienten weder durch zu hohe Kosten noch durch zu lange Behandlungszeiten belastet werden. Auf eine Unterkieferbehandlung kann zur Kostenersparnis für den Patienten bei einer guten Ausgangsbisslage im Einzelfall verzichtet werden. Bei den Behandlungen mit bukkalen oder ligualen Bracketsystemen empfiehlt es sich, mit sogenannten Stoppbögen zu arbeiten. Das bedeutet, dass mesial der Zähne 16 und 26 jeweils ein Stopp auf den Rundbogen aufgekrimpt wird, sodass die Frontzähne unter Ausnutzung der Gegenkraft an den Molaren nach anterior geneigt und aufgefächert werden können.

Der Utility-Effekt macht eine zügige Proklination der OK-Frontzähne schnell sichtbar. Eventuell vorhandene Kopfbissstellungen und Störkontakte mit der Unterkieferfront können durch die kieferorthopädische Behandlung gleichzeitig beseitigt werden. Neben dem ästhetischen Effekt tritt somit auch eine Verbesserung der funktionellen Aspekte in Bezug auf die Kiefergelenke ein.

Korrekte Planung der Zahnbreiten und -längen essenziell

Wichtig erscheint im Vorfeld die genaue Planung der späteren Zahnbreiten und Zahnlängen, damit während der kieferorthopädischen Therapie die Lückengröße zwischen den vier Frontzähnen genau eingehalten werden kann. Sinnvoll erscheinen ein Set-up durch den Kieferorthopäden und ein Mock-up durch den Hauszahnarzt bzw. Zahntechniker, die in diesen Fällen eng zusammenarbeiten und sich über das gemeinsame Behandlungsziel absprechen sollten. In vielen Praxen ist die digitale Planung bereits eine Selbstverständlichkeit und erleichtert den interdisziplinären Austausch zwischen den Behandlern.

Sind die genauen Abstände der Zähne zueinander und zum Gegenkiefer erreicht, so gilt es, die Zähne bis zur endgültigen prothetischen Versorgung in ihrer Position zu halten. Wird der Patient als zuverlässig eingestuft, so kann eine Tiefziehschiene das kieferorthopädische Ergebnis retinieren. Bei unsicherer Compliance können entweder linguale Drahtretainer oder aufgeklebte Kunststoffshells die Front bis zur Präparation und Eingliederung der Prothetik fixieren.

Welche Art der Zahnverlängerung und -verbreiterung durchgeführt werden soll, entscheidet der Zahnarzt gemeinsam mit seinem Patienten. Handelt es sich um kleine Ergänzungen, so können Komposite in zahnfarbenen Schicht- und Farbtechniken aufgetragen werden. Ebenso sind Veneers aus Keramik bei gesunden Frontzähnen eine gute Möglichkeit, substanzschonend additiv zu arbeiten. Ein Bleaching der Zähne sollte auf Wunsch des Patienten vor der Eingliederung der Veneers durchgeführt werden. Bei vorhersehbarer starker Belastung der Frontzähne durch Bruxismus empfiehlt es sich, eine Kronenpräparation durchzuführen, um eine gewisse Schichtstärke des Materials gewährleisten zu können. Verschiedenste zahnfarbene Vollkeramikrestaurationen sind unter Einhaltung vorgegebener Klebestandards State of the Art. Erfahrungsgemäß sollten Keramikversorgungen in enger Zusammenarbeit mit dem Zahntechniker umgesetzt werden, da die Patienten meist sehr hohe ästhetische Ansprüche haben und gelegentlich ein Nachkorrigieren erforderlich ist. Zahnform und -farbe sollten den Wünschen der Patienten entsprechen und diesem vor der definitiven Eingliederung bei Tageslicht gezeigt werden.

Fazit

Alles in allem ist die kieferorthopädische Lückenöffnung mit anschließender prothetischer Versorgung der Oberkieferfront eine sinnvolle Ergänzung zum Anti-Aging-Programm der modernen Schönheitsmedizin. Wenn gleichzeitig Frühkontakte und funktionelle Hindernisse beseitigt werden, dürfen auch medizinische Notwendigkeiten als erfüllt gelten. Das körperliche und psychische Wohlbefinden durch ein schönes Lachen machen einen bedeutenden Anteil für die Selbstzufriedenheit des Patienten in unserer leistungsorientierten Gesellschaft aus. Gut, dass wir durch unser Wissen und unsere Fachkompetenz dazu beitragen können.

Literaturliste

Dieser Beitrag ist in KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

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