Branchenmeldungen 28.10.2024

Die ePA kommt: Eine kritische Einschätzung des FVDZ



Die ePA kommt: Eine kritische Einschätzung des FVDZ

Foto: natali_mis – stock.adobe.com

Die elektronische Patientenakte für alle (ePA) soll ab dem kommenden Jahr den Austausch und die Nutzung von Gesundheitsdaten zwischen den behandelnden Ärzten verbessern und die Patientenbehandlung gezielt vereinfachen. Doppelte Untersuchungen, unnötiger Papierkram sowie Aktenberge sollen künftig der Vergangenheit angehörigen. Die Versprechungen sind groß, die Kritik im Vorfeld aber noch viel größer. Wir haben den Freien Verband Deutscher Zahnärzte e.V. (FVDZ) gefragt, welche Haltung sie dazu einnehmen.

Herr Dr. Öttl, bis zur Einführung der ePA vergehen nur noch wenige Wochen. Wie stehen sie als FVDZ zu dieser Reform?

Dr. Christian Öttl: Der Zug, der die Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen aufhalten könnte, ist schon lange abgefahren. Deshalb sind wir gegen Sanktionierungen und für nutzbringende, ausgereifte und funktionale Lösungen. Diese müssen die Praxen, vor allem bei dem bestehenden Fachkräftemangel entlasten und nicht, wie es derzeit der Fall ist, die Abläufe behindern und die Praxen zu „Testern in the field“ machen. Zusätzlich werden die Praxen auch noch mit den Kosten belastet, um die notwendige jetzt schon vorhandene IT-Landschaft kompatibel und funktionsfähig zu halten, trotz der Eingriffe der BMG-TI-Landschaft. Eine gut gemachte ePA wäre bei klaren Datenschutzvorgaben und einer Anonymisierung der Daten anstelle der rückführbaren Pseudonymisierung ein Gewinn, wenn gleichzeitig der Patient Herr über seine Daten bliebe, wie es bei der Opt-In-Variante der Fall gewesen ist. Vorausgesetzt ist natürlich eine hohe Anwenderfreundlichkeit, damit die Praxisbelegschaft nicht ausschließlich mit TI und deren Auswüchsen beschäftigt ist.

Dr. Zimmermann, was sind Ihre Hauptkritikpunkte an der aktuell geplanten ePA?

Dr. Kai-Peter Zimmermann: Mit der Einführung der „ePA für alle“ wiederholt die Politik den gleichen Fehler, den sie in der Vergangenheit immer wieder bei der Implementierung von TI-Komponenten gemacht hat: Es werden Fristen und Stichtage festgesetzt, die realistischerweise nicht einzuhalten sind und gleichzeitig wird die Sanktionskeule geschwungen, um den Druck auf die Praxen zu erhöhen. Die PVS-Hersteller müssen unter hohem Zeitdruck die neuen Module entwickeln, was das Risiko von Problemen bei der Anwendung massiv erhöht und die Mitarbeitenden in den Praxen müssen in kurzer Zeit den Umgang mit den neuen Tools lernen. Und das betrifft jetzt nur die Rahmenbedingungen. Inhaltlich haben wir immer noch große Sorgen, was den Datenschutz angeht: Viele Fragen wurden hier bislang noch nicht beantwortet.

Die Umstellung auf das Opt-Out-Verfahren war ja die Antwort auf das furchtbar bürokratische Verfahren bei der bisherigen ePA, was zu einer Verbreitung von unter einem Prozent der Versicherten geführt hat. Doch statt den Modus operandi einfacher und anwenderfreundlicher zu gestalten, wird die ePA jetzt für alle angelegt und Menschen ohne Smartphone oder Internetzugang haben es schwer, an Informationen zu kommen, beziehungsweise von ihren Widerspruchsrechten Gebrauch zu machen. Das widerspricht grundsätzlich unserem Verständnis von der Entscheidungsfreiheit aller Beteiligten.

Welche zusätzlichen bürokratischen und technischen Anforderungen entstehen Ihrer Meinung nach für Zahnarztpraxen durch die Einführung der ePA, und wie sollte der damit verbundene Mehraufwand kompensiert werden?

Dr. Kai-Peter Zimmermann: Die technischen Anforderungen halten sich auf den ersten Blick prinzipiell erst einmal in Grenzen. Ein aktualisiertes PVS, ein Konnektor auf dem neuesten Stand und ein elektronischer Heilberufsausweis sollen reichen, um mit der neuen ePA arbeiten zu können. Der bürokratische Aufwand ist bislang aber noch nicht absehbar, da viele Informationen noch nicht verfügbar sind. Die neuen ePA-Module müssen eingepflegt und der Umgang damit gelernt werden. Außerdem wissen wir nicht, wie viele Patienten mit welchem Aufklärungsbedarf in die Praxen kommen und welcher Aufwand bei der sogenannten Erstbefüllung entsteht. Der Freie Verband Deutscher Zahnärzte hat sich auf der letzten Hauptversammlung eindeutig dafür ausgesprochen, die ePA nur mit strukturierten Daten zu befüllen. Wie mit alten Befunden umgegangen wird, die von Patienten mit in die Praxis gebracht werden, muss sich noch rausstellen.

Bezüglich der Kompensation des Mehraufwandes haben wir eine ganz klare Meinung: Alle Aufwendungen, egal ob materiell oder zeitlich, müssen eins zu eins erstattet werden, sofern es sich um eine Pflichteinführung beziehungsweise Pflichtanwendung handelt. Dies war leider vor der Einführung der TI-Pauschale nicht gegeben und ist es wie erwartet auch mit dieser Pauschale nicht. Die Kosten für die benötigten neuen PVS-Module verschärfen dieses Missverhältnis zusätzlich. Der für die Bewertung der Erstbefüllung erwartete Zeitaufwand ist unserer Meinung nach viel zu niedrig angesetzt. Auch hier sehen wir die große Gefahr, dass die gesetzlich vorgeschriebene Mehrarbeit in den Praxen nicht angemessen honoriert wird. Deshalb appellieren wir immer wieder an die Politik, die Akzeptanz der Digitalisierung nicht durch unterfinanzierte zusätzliche Belastungen zu untergraben.

Herr Desoi, inwieweit sehen Sie die Entscheidungshoheit der Patienten über ihre Gesundheitsdaten durch die verpflichtende Nutzung der ePA eingeschränkt?

Damian Desoi: Zunächst möchte ich betonen, dass die Nutzung der ePA für Patienten nicht verpflichtend ist und sie aktiv widersprechen können (Opt-Out). Patienten haben außerdem die Möglichkeit, einzelne mit der ePA verknüpfte Vorhaben über die ePA-App oder die Ombudsstelle ihrer Krankenkasse abzulehnen. Jedoch gibt es mehrere kritische Punkte, die aus Sicht des FVDZ die Entscheidungshoheit der Patienten über ihre Daten einschränken.

Während bei der Opt-In-Variante der ePA ein differenzierteres Zugriffsmanagement existiert, welches Patienten erlaubt, festzulegen, wer welche Daten einsehen darf, ist dieses feingranulare Zugriffsmanagement bei der Opt-Out-Lösung reduziert worden.

Unabhängig davon, ob ein Patient der Nutzung der ePA widerspricht, werden Leistungsdaten der Krankenkasse dennoch an das Forschungsdatenzentrum (FDZ) übermittelt. Dies bedeutet, dass selbst bei einem aktiven Opt-Out Daten weiterverarbeitet werden.

Es gibt keine vollständige Garantie, dass die pseudonymisierten Daten nicht für eine Reidentifikation der betroffenen Personen genutzt werden können. Die Möglichkeit einer ungewollten Rückverfolgung zu den Patienten bleibt bestehen, was erhebliche Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes aufwirft.

Eine weitere Kritik richtet sich an die fehlende Unabhängigkeit bei der Pseudonymisierung der Daten. Das Forschungsdatenzentrum und die Vertrauensstelle des Robert-Koch-Instituts sind dem Bundesministerium für Gesundheit nachgeordnete Behörden und der GKV-Spitzenverband ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und übernimmt somit Aufgaben für den Staat.
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Möglichkeit der Krankenkassen, Versichertendaten auszuwerten und daraus Empfehlungen zum Gesundheitsschutz abzuleiten. Dies birgt die Gefahr der Schaffung „gläserner Versicherter“, bei der die Krankenkassen detaillierte Gesundheitsprofile der Versicherten erstellen könnten. Außerdem greifen nach unserer Auffassung die Empfehlungen der Krankenkassen in die ärztliche Kompetenz ein, da medizinische Entscheidungen primär von Ärzten getroffen werden sollten. Die Einmischung der Krankenkassen in den individuellen Behandlungsablauf könnte das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinträchtigen und das Vertrauen in die (zahn-)medizinische Versorgung schwächen.

Wie sähe die ideale Umsetzung einer ePA für Sie aus bzw., welche Vorbedingungen müssten Ihrer Meinung nach erfüllt sein, um das Potenzial der ePA voll ausschöpfen zu können?

Damian Desoi: Ich sehe ein erhebliches Verbesserungspotential, um den sinnvollen Nutzen der elektronischen Patientenakte voll auszuschöpfen und gleichzeitig den praktischen Anforderungen des Berufsalltags gerecht zu werden.

Dafür wäre eine ausreichende Testung vor der Einführung zwingend erforderlich. Die geplante Testphase von nur vier Wochen, beginnend am 15. Januar 2024 in den Modellregionen Franken und Hamburg, ist viel zu kurz und die Anzahl der möglichen Patientenkontakte zu gering. Wir befürchten, dass erneut die Leistungserbringer als „Testobjekte“ für eine unausgereifte Technik herhalten müssen, wie dies regelmäßig bei der Einführung einzelner Komponente der Telematikinfrastruktur (TI) der Fall war. Eine längere und intensivere Testphase ist notwendig, um Kinderkrankheiten des Systems zu identifizieren und zu beheben. Die Kosten der Entwicklung dürfen nicht von den Praxen getragen werden müssen. Hier muss der vollumfänglich bezahlen, der anschafft und das ist das BMG.

Die Akzeptanz der ePA muss durch ihre Funktionalität gesteigert werden, nicht durch Sanktionsmaßnahmen. Nur wenn die ePA einen klaren Mehrwert bietet und einfach in den Praxisalltag integriert werden kann, werden Leistungserbringer und Patienten von ihr überzeugt sein. Bisher nutzen nur etwa ein Prozent der gesetzlich Versicherten die ePA, was die derzeit mangelnde Attraktivität der ePA widerspiegelt.

Die verpflichtende Befüllung der ePA muss in einem praxistauglichen und niederschwelligen Verfahren gestaltet werden. Für eine effektive Nutzung ist es entscheidend, dass Daten aus dem Praxisverwaltungssystem (PVS) per Knopfdruck in die ePA übertragen werden können. Zudem muss der Prozess der Befüllung für alle Beteiligten einheitlich und standardisiert ablaufen, um den Aufwand zu minimieren und Fehler zu vermeiden.

Die ePA darf ausschließlich mit strukturierten Daten, zum Beispiel auf Basis von Medizinischen Informationsobjekten (MIOs) befüllt werden. Momentan steht für den zahnärztlichen Bereich lediglich das MIO „Zahnbonusheft“ zur Verfügung, was für eine umfassende Nutzung der ePA nicht ausreicht. Es müssen weitere sinnstiftende MIOs entwickelt werden, um eine flächenendeckende Integration der ePA in die zahnärztliche Praxis zu gewährleisten.

Nicht zuletzt muss das Speichervolumen der ePA erhöht werden. Das derzeitige Speichervolumen von 25 MB ist viel zu gering, um etwa medizinische Dokumente wie Röntgenaufnahmen zu speichern.

Die ePA wird kommen – Herr Dr. Öttl, welches Vorgehen raten Sie Zahnarztpraxen ab Januar 2025?

Dr. Christian Öttl: Zahnarztpraxen müssen Patienten neutral über Sinn und Zweck der ePA beraten, aber auch über die Widerspruchsmöglichkeiten aufklären, damit der Patient eine fundierte Entscheidung treffen kann. Wir stellen den Praxen das nötige Material in Form von Widerspruchsformularen zum Download zur Verfügung. In der aktuellen Version kann Patienten nur empfohlen werden, der behandelnden Praxis vor Ort umgehend und wirksam zu widersprechen, wenn es darum geht, die ePA zu befüllen oder auszulesen. Die damit verbundenen Unwägbarkeiten den Datenschutz und die Haftung betreffend sind noch ungeklärt und weder im Sinne der Versicherten noch im Sinne der Praxen. Dass man es besser machen kann, zeigt sich in vielen Ländern Europas, in denen man Nutzen mit Datenschutz unter einen Hut bringen kann und zusätzlich die Kosten alle Beteiligten im Blick hat und im Rahmen hält!

Vielen Dank für das Gespräch.

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