Branchenmeldungen 17.01.2019

Die digitale Zahnarztpraxis: ein kontroverser Bericht



Die digitale Zahnarztpraxis: ein kontroverser Bericht

Kaum ein Lebensbereich wurde in den zurückliegenden Jahren nicht von einem tiefgreifenden technischen Wandel erfasst: „Digitalisierung“ ist in aller Munde und geht somit natürlich auch an Zahnärzten und ihrem Praxisalltag nicht spurlos vorbei. Welche Chancen und Herausforderungen sich für die Behandler und ihr Team daraus ergeben, beleuchtet der folgende Beitrag anhand eigener Erfahrungswerte.

Kürzlich fragte mich eine Kollegin um Rat, wie sie ihre Praxis digitalisieren könnte. Was sie als Erstes kaufen sollte und wann.

Es ist schwierig, diese Fragen zu beantworten. Es sind zu viele und zu verschiedene Aspekte bei der Antwort zu berücksichtigen. Grundsätzlich sollte der Zeitpunkt sorgfältig gewählt sein, an dem man sich entschließt, in der eigenen Praxis digitalen Arbeitsmethoden den Vorrang einzuräumen. Allein mit dem Kauf eines Scanners, eines digitalen Röntgengeräts oder einer neuen EDV-Anlage sind die Probleme, die man mit analogen Geräten möglicherweise hat, nicht behoben – im Gegenteil.

Wie bei jeder größeren Entscheidung sind eine Bestandsaufnahme und eine genaue Zielsetzung notwendig. Wo genau hakt es in den Abläufen? Wo hat das neue Gerät seinen Platz im Praxisgeschehen und wer soll mit dem neuen Medium arbeiten? Als ich vor neun Jahren meine geliebten Karteikarten aufgab, war die Entscheidung klar. Ich wollte nicht doppelt arbeiten: Karteikarteneinträge schreiben und die Eingabe der Leistungen in das Abrechnungsprogramm kontrollieren. Ich versprach mir von der Anschaffung Zeitersparnis und mehr Effizienz und freute mich auf die Veränderung. Ich war mir nicht bewusst, dass diese Entscheidung jeden Winkel meines Alltags erfassen würde und ich fast alle meine Abläufe umstellen müsste. Bis heute spüre ich die Folge, wenn auch sie mich nicht erschreckt und ich sie mehr als Herausforderung denn als Handicap empfinde. Neben all den Vorteilen im Umgang mit digitalen Medien zeigt sich immer wieder die Grenze des Machbaren und stellt sich die Frage, was digital und was analog gehandhabt werden muss. So habe ich seither alle Abläufe der Praxis von der Dokumentation eines Alginatabdrucks bis hin zur Abrechnung dessen durchdacht, die Alternativen ausprobiert und die optimale Variante festgehalten – und mitunter auch Entscheidungen revidiert.

© Chesky – shutterstock.com

Für und Wider

Vieles ist durch die Digitalisierung besser geworden. So möchte ich auf die hochauflösenden Röntgenbilder nicht mehr verzichten, ebenso wenig auf die sofortige Verfügbarkeit von Behandlungsunterlagen im Behandlungszimmer. Eine weitere wunderbare Sache ist, vor allem aus der Sicht unserer Patienten, das Scannen von Zähnen statt der unangenehmen Abdrücke. Obwohl dieses Verfahren im Moment nur für Zähne und einzelne Implantate anwendbar ist und wir somit nicht ganz auf Abformungen verzichten können, so bietet ein Scan dieselbe Präzision wie konventionell hergestellte Restaurationen, und das bei wesentlich höherem Komfort für Patient und Behandler.

Nicht ganz so eindeutig verhält es sich mit Dokumenten. Früher waren Unterlagen aus Papier die einzig haltbare Form der Aufbewahrung. Man hatte einen feuer- und einbruchsicheren Stahlschrank, in dem sich Akten geordnet und sicher aufbewahren ließen. Sie waren immer verfüg- und stets lesbar. Das gilt für die digitale Ablage so nicht. Im Laufe der Jahre hat sich herausgestellt, dass mit den aktuellen Versionen unserer Datenverarbeitungsprogramme die älteren Dateien nicht mehr zu öffnen, in neuen Computern Disketten zum Beispiel gar nicht lesbar sind. Zwar haben wir in unseren Aktenschränken Platz gewonnen und können von fast überall auf unsere Daten zugreifen, aber als alleinige Form können sie nicht verwendet werden. Eine Transformation in ein heute gängiges Format ist aufwendig bis (noch) nicht möglich. Und so ist mein Archiv eine Sammlung verschiedener Formate. Ich ertappe mich oft nach schmerzlichen Verlusten digitaler Dateien durch Abstürze und sogenannter Pflicht-Updates dabei, wichtige Dokumente nicht mehr ausschließlich in digitaler, sondern vermehrt in Papierform oder als Gipsmodell abzulegen. Ein Umstand, der mir, die ich mich als digitalaffin verstehe und stets „up to date“ sein will, natürlich gar nicht passt.

Neben der Unsicherheit der Speichermedien beschäftigt uns (Zahn-)Ärzte immer mehr die Zugriffssicherheit unserer Daten: Wir wurden zu Datenschutzbeauftragten unseres eigenen Unternehmens, um die Daten unserer Patienten besser zu bewahren, aber gleichzeitig zur Anwendung von Verfahren verpflichtet, die nicht ausreichend auf Datensicherheit geprüft sind oder deren Zubehör noch nicht verfügbar ist. Wir schulen unsere Mitarbeiterinnen, die einfühlsam und mit Herzblut unsere Patienten betreuen, immer öfter in der Anwendung von Geräten und verändern so Schritt für Schritt deren Arbeitsgebiet und die hieraus resultierenden Anforderungen.

Neue Herausforderungen

Die Digitalisierung verändert aber auch unser Berufsbild. Zahnärzte waren schon immer technikbegeistert und manch einer führte kleinere Reparaturen an der Praxisausstattung selbst durch, sparten hierdurch Kosten und waren bis zu einem Punkt unabhängig. Bei digitalen Geräten ist dies nicht mehr möglich und schafft in gewisser Weise neue Abhängigkeiten von Dentalherstellern. Jeder, der ein (mitunter nur mechanisches) Problem an einem datenverarbeitenden Gerät hatte, weiß, dass die Prozedur der Inbetriebnahme eines Leihgeräts und die Wiedereinbindung des Originals in das Netzwerk sowie die darauffolgende Maßnahme, die aus der Qualitätssicherung, Betriebssicherheit und anderen Vorschriften resultiert, kostenintensiv und oft nervenaufreibend ist. Neben all der Freude, die eine wieder funktionierende EDV, ein störungsfreies Röntgengerät oder die Arbeit mit einem Scanner bereitet, genießen wir insgeheim die Zeit, in der wir rein analog arbeiten und damit das tun, was wir ursprünglich studierten: nämlich Menschen zu helfen, die mit ihren Zahnsorgen zu uns kommen.

Ein weiteres Problem ist, dass ähnliche Geräte verschiedene, untereinander nicht kompatible Datenformate verwenden. Daher muss man sich bei der Anschaffung zumeist gleich für ein ganzes Produktesystem entscheiden und hat kaum Möglichkeiten, ein Element eines anderen Herstellers zu verwenden, das den eigenen Präferenzen besser entspräche. Der Kampf um Marktanteile führt mitunter auch dazu, dass Programme zu früh beworben und für die Anwendung freigegeben werden, obwohl sie noch nicht zuverlässig laufen und hierdurch Fehler verursachen, die in aller Regel wir Anwender bezahlen müssen, nicht nur rein virtuell. Hoffentlich erfolgt auch in diesem Bereich eine wirkliche Öffnung des Markts.

Fazit

Ich glaube, dass man nur dann erfolgreich und stressfrei mit digitalen Medien arbeiten kann, wenn man sich auf sie einlässt und sich mit ihnen auseinandersetzt. Dies bedeutet nicht, dass man sie vorbehaltlos akzeptiert und den herkömmlichen analogen Methoden überordnet, sondern vielmehr, dass man die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten wie auch die eigenen Präferenzen kritisch betrachtet und sich dafür entscheidet, was der eigenen Arbeitsweise entspricht.

Nicht alles, was auch in digitaler Form verfügbar ist, hat sich ubiquitär bewährt (ich verwende für meine Planungen statt virtueller Modelle immer noch viel lieber solche aus Gips), und ich kann auch nachempfinden, dass es Kollegen gibt, denen die Arbeit am Computer nicht leichtfällt und die beim Analogen bleiben. Es gibt auch noch genügend Probleme, die auf unausgereifte Software, mangelhafte Anwendungsbeschreibung oder auf einfache Missverständnisse zurückzuführen sind. Dennoch führt trotz aller Schwierigkeiten, die die Digitalisierung mit sich bringen kann, kein Weg an ihr vorbei und wir Zahnärzte müssen uns dieser Herausforderung stellen. Hat uns früher bei der Verwendung von Vollkeramik der Leitspruch „think ceramics“ die Denkrichtung vorgegeben und war Stütze bei der Umstellung, verhält es sich heute mit der Digitalisierung ähnlich: Nicht die Anschaffung eines Geräts bereitet uns den Weg in diese Welt. Wir selbst müssen ihn erarbeiten und für uns definieren. Unsere Welt ist digital geworden, und ich kann mir nicht mehr vorstellen, nur nach dem Goldstandard und rein analog zu arbeiten.

Der Beitrag ist in der DENTALZEITUNG erschienen.

Foto: MAD_Production – shutterstock.com

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