Branchenmeldungen 22.02.2022
„Ich beneide euch um die neue PAR-Richtlinie!“
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Im Jahr 2019 stellte Dr. Corinna Bruckmann, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie (ÖGP), zusammen mit Prof. Dr. Bettina Dannewitz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DG PARO), das wissenschaftliche Programm des Bayerischen Zahnärztetages (BZÄT) für 2021 zusammen, das ganz im Zeichen der „Paro“ stehen sollte. Damals ahnten beide nicht, dass in Deutschland ab 1. Juli 2021 eine neue PAR-Richtlinie1 gelten würde. Im folgenden Statement geht Dr. Bruckmann auf die Bedeutung der neuen Leitlinie sowie auf den Stand der parodontalen Therapie in Österreich ein.Was ist denn jetzt so viel spannender als in der Vergangenheit? Parodontitis existiert doch schon ewig! Zugegeben, sie wurde 2017 in Chicago neu klassifiziert,2 aber die Biologie ist noch stets die gleiche. Die große Neuerung für die Praxis stellte die im Jahr 2020 von der European Federation of Periodontology (EFP) herausgebrachte S3-Leitlinie zur Therapie der Parodontitis Stadium I–III dar.3 Sie diente in der Folge als evidenzbasierte wissenschaftliche Grundlage einer neuen PAR-Richtlinie in Deutschland. Leitlinien sind gesetzlich nicht verbindliche „systematisch entwickelte Aussagen zur Unterstützung der Entscheidungsfindung von Ärzten [und] anderen im Gesundheitssystem tätigen Personen und Patienten“.4
Im Gegensatz dazu sind Richtlinien verbindlich! Wie kann man darauf nur neidisch sein, handelt es sich doch um eine sehr weitreichende Änderung des BEMA, die alle wesentlichen Aspekte und Bereiche der parodontalen Therapie betrifft? Als Parodontologin in Österreich, wo jeder die „Parodontose“ so behandeln darf, wie er es für richtig hält, und die Kassen nur im Einzelfall und dann nicht nachvollziehbar Therapiezuschüsse zahlen, gratuliere ich meinen deutschen Kolleginnen und Kollegen. Die Kostenträger haben die große Rolle der Mundgesundheit als einen entscheidenden Faktor für Lebensqualität und wesentlichen Bestandteil für Allgemeingesundheit offenbar erkannt. Sie stellen für die schrittweise systematische Behandlung der parodontalen Erkrankungen erhebliche Mittel zur Verfügung. Besonders erfreulich: Es stehen nicht die chirurgischen oder medikamentösen Therapien im Vordergrund. Nein, es kommt insbesondere dem delegierbaren Aufgabenbereich eine verstärkte und sehr große Bedeutung zu. Instruktion, Anleitung zur Verhaltensänderung und Plaquekontrolle, nichtchirurgische Entfernung von Auflagerungen und unterstützende Langzeitbetreuung sind die nunmehr verbindlich anzuerkennenden Säulen der parodontalen Therapie. Das stellt eine europaweit fast einzigartige, vorausschauende und soziale Adaptation der Leitlinienvorlage dar. Als Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Parodontologie (ÖGP) möchte ich allen, die in diesem System arbeiten können, guten Mut wünschen: Die Vereinheitlichung der Behandlungsabläufe, der Definitionen, der Dokumentation etc. wird nach dem vorgeschlagenen Beobachtungszeitraum von zwei Jahren eine Menge von Daten generiert haben, die ggf. eine Adaptation des Systems ermöglicht. Bis dahin mag manches in der Abwicklung mühsam sein, aber die Sicherheit, sich auf gesicherter wissenschaftlicher Grundlage zu bewegen und in einer gemeinsamen Sprache zu kommunizieren, ist unverzichtbar bei der Therapie einer der häufigsten chronischen Erkrankungen der Menschheit.
Hier steht eine Literaturliste zum Download für Sie bereit.
Der Beitrag ist im Prophylaxe Journal erschienen.