Branchenmeldungen 23.06.2025
Kein Platz, kein Plan, kein Aufgeben: Leons langer Weg ins Zahnmedizinstudium
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Nach dem Abitur 2014 mit einem Schnitt von 2,1 war für Leon schnell klar, dass das für ein Zahnmedizinstudium in Deutschland nicht reichen würde. Während Jenny ihren Weg zwischen Neuseeland, Finnland, Island und Österreich ging, kämpfte Leon sich durch Bewerbungsverfahren, eine Zahntechniker-Ausbildung und das lähmende Gefühl, immer wieder abgewiesen zu werden. Erst als sich die beiden Jahre später auf einer Weihnachtsfeier wieder begegneten, bekam seine Geschichte eine neue Richtung. Jenny stellte die eine Frage, die alles veränderte: „Warum versuchst du es nicht nochmal?“ Aus dieser Frage wurde ein gemeinsames Projekt, das von Kreativität, Recherche und Hartnäckigkeit lebte und am Ende zu einem Studienplatz führte, mit dem keiner mehr gerechnet hatte. Im Gespräch erzählen Leon und Jenny von einer Zeit voller Frust, von der unterschätzten Kraft der Umwege und davon, wie entscheidend es sein kann, wenn jemand an dich glaubt, gerade dann, wenn du selbst es nicht mehr tust. Ein Interview über Bildungsungerechtigkeit, Durchhaltevermögen und die große Frage, wie man für seinen Traum kämpft, auch wenn der Weg dahin alles andere als gerade ist.
Sechs Jahre lang kämpfen, warten, umplanen. Was hat euch in dieser Zeit mental über Wasser gehalten? Gab es Momente, in denen ihr wirklich kurz davor wart, alles hinzuschmeißen?
Leon: Für mich gab es viele Momente, an denen ich meinen Traum vom Studium begraben wollte. Die 6 Jahre Bewerbung nach dem Abitur waren ein kompletter Fiebertraum. Manchmal war ich meinen Platz zum Greifen nah, doch es reichte nie. Dieses Hin und Her an Gefühlen, gepaart mit der Ungewissheit hat mich zermürbt. Als ich 2020 Jenny wiedertraf, hatte ich fast akzeptiert niemals zu studieren. Rückblickend war es dennoch wichtig, dass ich mich jedes Semester beworben hatte, da ein einziger Zufall zu einem Platz gereicht hätte. Besonders durch meine Ausbildung habe ich zudem die Zahnmedizin immer mehr lieben gelernt, was mich definitiv so lange an meinem Traum hat festhalten lassen.
Jenny: Mein Leben hat mir früh Steine in den Weg gelegt und ich musste schnell lernen das Beste aus jeder Situation zu machen. Aufgeben gibt es für mich nicht! Jedes Mal, wenn ich vor Entscheidungen stehe, folge ich meinem Bauchgefühl. Deswegen war es für mich von Anfang an klar, dass es Chancen geben muss ins Zahnmedizinstudium zu kommen abseits von Bestnoten und dem TMS-Test. Man muss sie nur finden.
Jenny, du hast den Stein ins Rollen gebracht. Was hat dir geholfen, den Überblick im Bewerbungsdschungel zu behalten und was kannst du anderen mitgeben, die gerade selbst vor scheinbar verschlossenen Türen stehen?
Am Anfang war ich überrascht, wie wenig Informativen bei meiner Recherche zu finden waren und wie uneinheitlich das gesamte System ist. Jede Uni besitzt andere Bestimmungen. Ich führte eine erste grobe Onlinerecherche durch und listete alle gefundenen Möglichkeiten auf: TMS, HAM-Nat, Med-AT, Bundeswehr, Losverfahren, europäisches Ausland, private Unis in Deutschland oder in der EU, einen Platz an der Uni Mainz über das Ausbildungszeugnis, andere Quoten, … Zu jedem Punkt habe ich intensiver recherchiert und wir haben Vor- und Nachteile erörtert, und damit schlussendlich einen Bewerbungsplan für die nächsten zwei Jahre, mit allen Fristen und Prioritäten, erstellt. Mein Tipp: die besten Infos findet man nicht auf den ersten Blick. Daher lohnt es sich selbst aktiv zu werden und immer weiter zu nachzuforschen.
Leon, deine Zahntechniker-Ausbildung war nicht der direkte Weg, aber rückblickend eine echte Bereicherung. Welche Skills oder Denkweisen aus dieser Zeit helfen dir heute im Zahnmedizinstudium ganz konkret?
Es war gut, dass ich bereits das ruhige, präzise und strukturierte Arbeiten gelernt hatte. Zudem verstehe ich besser als andere KommilitonInnen, warum wir als Zahnmedizinstudierende bestimmte Arbeiten durchführen, und kann genauere Anweisungen an das Labor weitergeben. Fachbegriffe waren mir vertrauter, auch wenn ich sie zum Teil neu lernen musste, da in Ungarn teilweise andere Begrifflichkeiten verwendet werden.
Was war für euch der größte Unterschied zwischen der Vorstellung vom Zahnmedizinstudium und der Realität an der Semmelweis-Uni? Und: Wie ist das Studieren im Ausland, fachlich und menschlich gesehen?
Leon: Ich bin ohne Erwartungen ins Studium gestartet, aber ich hatte große Angst, dass ich nicht gut genug bin. Es hat mich überaus überrascht wie viel praktische Arbeiten wir an der Semmelweis machen dürfen. Sei es im zahnmedizinischen Bereich, oder auch auf Visiten in der Dermatologie, oder wir durften live einer Kaiserschnitt Zwillingsgeburt beiwohnen. In der Zahnklinik haben wir sehr zeitig angefangen PatientInnen zu behandeln, anstatt an Phantomköpfen zu üben und wurden dabei direkt ins kalte Wasser geworfen. Wir werden nicht als Studierende gesehen, sondern als KollegInnen. Fast wie eine kleine Familie. Auch unsere PatientInnen kommen, den Umständen entsprechend, immer gerne zu uns, da sie unsere Hilfe wertschätzen. Die Semmelweis ist der größte öffentliche Gesundheitsträger in Budapest und so haben wir keine Probleme PatientInnen zu bekommen, da es normal ist in die Zahnklinik zu gehen. Besonders in unseren kleinen Gruppen ist es somit möglich jeden Tag mehrere PatientInnen als einzelner Studierender zu behandeln. Dies ist auch möglich, da wir nur die Basics an Zahntechnik lernen. Wir besitzen ein internes Zahntechniklabor, welches unsere Aufträge für uns anfertigt, sodass wir in den Zahnmedizinischen Praktika nur als BehandlerInnen am Stuhl tätig sind.

Mein Leben hat mir früh Steine in den Weg gelegt und ich musste schnell lernen, das Beste aus jeder Situation zu machen. Aufgeben gibt es für mich nicht!
Jenny: Für mich war das Studieren im Ausland eine Bereicherung. Ich durfte offene und freudige Menschen kennenlernen, und wurde in meinen Studiengängen immer äußerst gefordert und gefördert, wie dies hier auch bei Leon an der Semmelweis der Fall ist. Leider besitze ich keinen persönlichen Vergleich mit einer deutschen Universität, aber ich bin froh, dass ich andere Mentalitäten und wissenschaftliche Konzepte erfahren durfte, denen ich garantiert nicht in Deutschland begegnet wäre. Und ich weiß bis heute nicht, was die deutschen Studierenden meinen, wenn sie über „Scheine“ sprechen.
Wenn ihr heute Erstsemestern einen Rat geben könntet, sei es fachlich, mental oder ganz praktisch: Was würdet ihr ihnen mit auf den Weg geben?
Leon: Niemals aufgeben! Ich war in meinem ersten Semester so überwältigt von Makroskopischer Anatomie und all den anderen Kursen. Ich hatte immer eine kleine nagende Stimme im Hinterkopf, dass alle anderen besser sind. Aber das stimmt nicht! Andere können besser sein, oft flunkern sie aber auch. Vergleiche dich daher nicht, es ist kein Wettbewerb, wo es Verlierer gibt. Vergiss neben den Partys das Lernen nicht. Erstelle dir einen moderaten Lernplan und halte dich daran.
Jenny: Lernen musst du lernen. Die Uni verlangt eine andere Art des Denkens als die Schule. Du musst selbst strukturieren, Prioritäten setzen und kritisch filtern. Du kannst und sollst nicht die gesamte Masse an Wissen lernen. Zudem lernst du nicht für andere, sondern nur für dich und dir trägt keiner etwas hinterher. Aber, es ist okay, nicht alles perfekt zu machen. Wichtig ist, dass du dranbleibst. Erwarte auch nicht, dass du für einen Beruf ausgebildet wirst. Dies gilt auch für das Zahnmedizinstudium, denn es ist keine Ausbildung. Du lernst hier viele theoretische Konzepte, die auch mal nicht zu deinem Themengebiet passen. Dies liegt daran, dass ein Studium Wissen vermittelt und du danach in alle Richtungen gehen kannst. Du musst kein Zahnarzt oder Zahnärztin werden. Du kannst als Alternative auch in die Forschung oder Wirtschaft gehen.

Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sich in die Ecke gedrängt fühlt und denkt, dass man keine Chancen mehr hat. Umso mehr freut es uns, dass sich durch unsere Einblicke und Infos die Nachricht verbreitet, dass es noch so viel mehr gibt
Ihr seid auch auf Social Media aktiv und teilt dort euren Weg. Wie erlebt ihr die Zahnmedizin-Community online, eher unterstützend oder manchmal auch kritisch? Und wie geht ihr mit der Balance zwischen Öffentlichkeit und Studium um?
Leon: Wir haben herzliche Zahnarztpraxen, Unternehmen, Studierende und Interessierte entdeckt und wir sind immer wieder begeistert, was für eine vernetzte Community entsteht. Die Resonanz ist meist positiv und wir haben bereits viele Tipps zum Praxisalltag oder für spannende Weiterbildungen bekommen, und sogar Jobmöglichkeiten. Viele sind auch an den Besonderheiten vom Studium in Ungarn interessiert und erzählen uns ihre Sichtweise von deutschen oder anderen ausländischen Unis. Kritik und sogar Beleidigungen haben wir sehr häufig in unseren Kommentaren. Meist sind dies jedoch keine öffentlichen Profile. Wir ziehen die Grenze, wenn unsere Follower beleidigt werden oder die Beleidigungen zu derb sind. Wir gehen offen damit um und versuchen, mit fundierten Argumenten aufzuklären. Wir sprechen mit unserem Studium ein recht triggerndes Thema an, da viele das Studium nur als „erkauft“ sehen, dass es ein Abschluss zweiter Klasse ist, dass sie sich in Deutschland deswegen nicht von uns oder anderen „AusländerInnen“ behandeln lassen würden und noch weitere negative Meinungen. Die unzähligen lieben Kommentare machen dies jedoch wett.
Jenny: Wir versuchen unsere Community so viel wie möglich und ungeschönt auf unser Abenteuer mitzunehmen, zeigen unser Leben in Budapest und den Alltag als Zahnmedizinstudent. Aber es gibt bei uns auch Grenzen. PatientInnen werden nicht gezeigt. Wir machen super gerne Content und es ist eine Riesenfreude alle auf unser Abenteuer mitnehmen zu können und manchmal sogar über Unwahrheiten fachlich belegt aufklären zu können, zum Beispiel dass es keinen „Doktortitel“ gibt, sondern, dass der Doktor ein „akademischer Grad“ ist. Wir haben unsere Kanäle gestartet, um aufzuzeigen, dass es Alternativen zum normalen Weg ins Zahnmedizinstudium gibt. Wir bekommen so viele liebe Nachrichten von neuen Studierenden oder begegnen ihnen in Budapest, die sich bei uns bedanken, dass wir ihnen Mut gemacht haben diesen Schritt zu wagen. Wir wissen, wie es sich anfühlt, wenn man sich in die Ecke gedrängt fühlt und denkt, dass man keine Chancen mehr hat. Umso mehr freut es uns, dass sich durch unsere Einblicke und Infos die Nachricht verbreitet, dass es noch so viel mehr gibt und man manchmal nur über den Tellerrand schauen muss.
Und noch eine letzte Frage: Ihr begegnet heute eurem früheren Ich. Leon mit 19, frisch nach dem Abi, und Jenny irgendwo zwischen Fernweh und Uni-Chaos. Was würdet ihr euch selbst sagen?
Leon: Auch wenn dich dein Weg über viele Umwege führen wird und nicht alles immer so laufen wird, wie du es dir vorstellt, so gehe ihn dennoch selbstbewusst. Glaube immer an deinen Traum, es wird sich lohnen! Und versuche aktiver deinen Wünschen zu folgen und selbst etwas für dein Glück zu tun!
Jenny: Folge deinem Bauchgefühl und lass dir von anderen nicht einreden was du zu machen hast! Es werden sich noch so viele andere Möglichkeiten präsentieren und du bist niemals zu alt, um etwas Neues zu wagen.
Ich danke euch beiden herzlich für die offenen und persönlichen Einblicke und wünsche euch weiterhin viel Erfolg und Freude auf eurem gemeinsamen Weg in der Zahnmedizin.