Foto: © Medizinische Universität Graz
Der Arztberuf ist in seinem Kern ein kommunikativer Beruf.
Neben den pharmakologischen und chirurgisch-technischen Einflussnahmen
besteht ärztliches Handeln zu einem guten Teil auch aus psychologischen
Wirkfaktoren. Der Patient von heute erwartet, dass der Arzt zu einer
problem-lösenden Kommunikation befähigt ist. Er will mit seinen
Beschwerden, Ängsten und Vorstellungen wahrgenommen werden. Der Arzt
wiederum ist auf die Mitarbeit des aufgeklärten Patienten angewiesen.
Beides unterstreicht die Notwendigkeit, dass angehende Ärzte schon in
ihrer Ausbildung eine ausreichende kommunikative Kompetenz erwerben.
Wissenschaftliche Medizin auf der Höhe der Zeit muss also gleichzeitig
mit “Wort”, “Arznei” und “Messer” arbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen,
hat die Medizinische Universität Graz - ihrem Leitbild entsprechend -
den ersten Lehrstuhl mit Schwerpunkt kommunikative Kompetenz errichtet.
Bedeutung des zugrundeliegenden biopsychosozialen Modells
Studien haben ergeben, dass etwa 50% der Diagnosen allein aufgrund
der im Rahmen einer ausführlichen Anamnese (Ergebnis der Befragung des
Patienten) gewonnenen Informationen gestellt werden können. Ca. 80% der
Diagnosen stehen nach genauer Anamnese und klinischer Untersuchung fest.
Für 20% sind allerdings weiterführende Untersuchungen nötig. 80% - 95%
der Patienten wollen eine möglichst genaue Aufklärung hinsichtlich
Diagnose und Prognose und wollen in die weiteren medizinischen Schritte
einbezogen werden. Im Behandlungsverlauf beeinflusst die Kommunikation
ganz wesentlich das Vertrauen und den Therapieerfolg. Daher ist die
Ausbildung zukünftiger Ärzte im Bereich der kommunikativen Kompetenz von
großer Bedeutung. Studierende der Medizin sollen auch die Risiken für
die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Krankheiten, die mit der
Persönlichkeit sowie mit den sozialen und ökologischen Lebensumwelten
der Patienten verbunden sind, ansatzweise erkennen und handhaben lernen.
Die Med Uni Graz hat die biopsychosoziale Medizin als Leitbild des
Studiums ausgewiesen. Im biopsychosozialen Modell steht der Mensch in
seiner Ganzheit, mit seinen Beschwerden und in seinem gesamten
Lebensumfeld im Zentrum. Er ist der Empfänger der medizinischen
Interventionen und auch der geforderte Arbeitspartner für das Erreichen
eines Behandlungserfolges. Patienten erwarten vor allem, diagnostische
und prognostische Informationen zu bekommen. Allerdings werden diese
Erwartungen häufig nicht zufriedenstellend erfüllt. Die Gründe dafür
sind vielfältig und liegen sowohl auf Seiten des Arztes als auch beim
Patienten selbst. So haben z.B. die Patienten nicht gelernt, was und wie
sie mit dem Arzt kommunizieren sollen, und sprechen von sich aus
wichtige Themen nicht an, teilweise auch in der Hoffnung, dass der Arzt
schon selbst danach fragen wird. Der Arzt nimmt seinerseits an, dass der
Patient keine Fragen hat, weil er keine stellt - ein Missverständnis
auf beiden Seiten. Hier braucht es eine beiderseitige Verbesserung der
kommunikativen Kompetenz - etwa einerseits im Sinne einer Aufklärung der
Patienten, besser vorbereitet in das Gespräch mit dem Arzt zu gehen und
z.B. eine Stichwort-Liste zu den wichtigsten Fragen mitzubringen. Und
Ärzte sollten andererseits darin trainiert werden, relevante Inhalte und
Anliegen zu erfragen, wenn diese nicht vom Patienten selbst
angesprochen werden.
„In der biopsychosozialen Medizin hat die Kommunikation einen
bedeutsamen Platz. Denn der Arzt nützt hier die „Arznei“, das „Messer“
und auch das „Wort“ gleichermaßen als therapeutische Werkzeuge“. Auf
diese Weise erreichen wir eine ganzheitliche, d.h. integrierte Medizin
auf wissenschaftlicher Basis,“ so Univ.-Prof. Dr. Josef W. Egger.
Zukünftige Herausforderungen an die Lehre für eine integrierte Medizin
Ziel - Welche Ärzte braucht das Land?
Ärzte brauchen nicht nur eine technische und pharmazeutische
Kompetenz, sondern ebenso eine kommunikative Kompetenz, um den
Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein. Die Patienten wollen
adäquat informiert und aufgeklärt werden, wollen mitentscheiden, wollen
als individuelle Menschen mit ihrem Leid ernst genommen und betreut
werden.
Lehr-Inhalte
Kommunikation als Wirk- und Heilmittel in der Humanmedizin
Professionalisierung der sprechenden Medizin (die Kunst des ärztliches Gesprächs) und
Professionalisierung der Arzt-Patient-Beziehung (Arbeitsbündnis zur Optimierung des Erfolgs)
Ausbildungs-Didaktik
Biopsychosoziale Medizin in der Lehre: Vermittlung von Wissen (ausreichende wissenschaftliche Kenntnis), Wollen (adäquate Motivation, professionelle Haltung) und Können (ausreichende kommunikative Fertigkeiten) für eine integrierte wissenschaftliche Medizin des 21. Jhds.
Erforderliche Ausbildung an der Med Uni Graz
Angehende Ärzte sollen schon in ihrer Ausbildung eine ausreichende
kommunikative Kompetenz erwerben. Dazu wurden verschiedene Maßnahmen an
der Medizinischen Universität Graz gesetzt, wie zum Beispiel die
Einführung des Moduls „Kommunikation/Supervision/Reflexion“, die „Med
Uni Graz-Helpline“ und die Etablierung eines „Mentoring-Programms“ für
Studierende:
Modul Kommunikation/Supervision/Reflexion
Das verpflichtende Modul leistet einen wesentlichen Beitrag zum
Erwerb biopsychosozialer Kompetenz im Studium der Humanmedizin. Wissen,
Fertigkeiten und professionelle Haltung werden den Studierenden in vier
Lehrveranstaltungsreihen vermittelt. Es wird sowohl das Gestalten eines
professionellen ärztlichen Gespräches als auch das Gelingen einer
Problem lösenden Arzt-Patienten-Beziehung erlernt. Mit Hilfe einer
solcherart verbesserten psychosozialen Kompetenz kann der zukünftige
Arzt auf alle drei Wirkfaktoren der modernen Medizin parallel zugreifen –
nämlich „Wort“, „Arznei“ & „Messer“.
Organisation, Betreuung der Med Uni Graz-Helpline
Mit der so genannten Med Uni Graz-Helpline steht den
Studierenden eine Anlaufstelle für verschiedenste Probleme zur
Verfügung. Studierende helfen Studierenden, Probleme zu erörtern und
Lösungen zu suchen – und das auf völlig unbürokratische, schnelle Weise.
Unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ wird diese Selbsthilfegruppe
von höhersemestrigen und speziell geschulten Studierenden betreut. Die
häufigsten Anliegen der Studierenden sind erfahrungsgemäß verschiedenste
Ängste, finanzielle Schwierigkeiten, Troubles mit Eltern oder Partnern
oder ein alles okkupierender Zeitaufwand für das Studium bzw. hohe
Anforderungen in der Ausbildung.
Aufbau und Betreuung des Mentoring-Programms für Studierende
An der Med Uni Graz wurde ein innovatives Programm zur Betreuung von
Studierenden eingeführt, welches eine Begleitung vom ersten Studienjahr
bis zum Berufseinstieg ermöglicht. So genannte Junior-Mentoren
(speziell ausgebildete höhersemestrige Studierende) begleiten
Studierende vom ersten bis zum vierten Semester. Ab dem fünften Semester
stehen Senior-Mentoren (Lehrende der Med Uni Graz) mit Rat und Tat zur
Seite. Eine Erweiterung des Mentoring-Programms ist in Form der Betreuung von Turnusärzten und Ärzten in Facharztausbildung vorgesehen.
„Seit Jahrzehnten wird die mangelnde kommunikative Kompetenz der
Akteure im Gesundheitswesen beklagt. Die Medizinische Universität Graz
hat das bereits vor Jahren durch die Etablierung des biopsychosozialen
Modells als Grundlage der Studiengänge entschieden in Angriff genommen.
Durch die Professur von Prof. Egger erfährt das Thema eine weitere
Aufwertung und sichtbare Optimierung“, so Univ.-Prof. Dr. Josef Smolle,
Rektor der Med Uni Graz.
Antrittsvorlesung Univ.-Prof. Dr. Josef W. Egger
Freitag, 14. Oktober 2011, 15.00–17.00 Uhr
Ort: Hörsaal Pathologie, Auenbruggerplatz 25, 8036 Graz
Thema: „Zuerst heile mit dem Wort ...? – Zur Bedeutung der Kommunikation in der Humanmedizin”
Weitere Informationen:
Univ.-Prof. Dr. Josef W. Egger
Professor für biopsychosoziale Medizin in der Lehre
Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie
Tel.: +43/316/385-13042